Auch der Teufel darf hinter den Gesetzen Zuflucht nehmen.

Amerikas so genannter Kampf gegen den Terror droht sich gegen das Land selbst und seine höchsten Prinzipien zu wenden

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eines Morgens wird der Bankangestellte Josef K. in seiner Wohnung verhaftet. Die zwei Beamten können ihm keine Auskunft über das ihm zur Last gelegte Vergehen geben, sondern teilen ihm nur mit, dass das Gericht Anklage gegen ihn erhoben habe. Franz Kafka hatte mit dieser albtraumhaften Parabel einer unbestimmten Beschuldigung bereits 1915 die beängstigende Vision eines Staatsterrorismus abgeliefert, die für alle späteren totalitären Systeme symptomatisch sein sollte.

Doch selbst das so genannte Mutterland der Demokratie und der bürgerlichen Freiheiten zögerte 2001 keinen Augenblick, gegen die angeblichen Feinde der Freiheit seinerseits terroristische Maßnahmen zu ergreifen, nachdem Präsident George W. Bush den Kampf gegen den Terror proklamiert hatte

In seinem aufrüttelnden Bericht über das kaum glaubliche Schicksal zweier unschuldiger Männer und ihrer Familien schreibt der amerikanische Anwalt Steven T. Wax quasi eine moderne Version des Kafkai’schen Hauptwerkes. Seine Geschichte spielt jedoch nicht in der verhockten Welt einer habsburgischen Kleinstadt, sondern in einer modernen Demokratie mit einem bisher vielfach bewährten und bewunderten Rechtssystem. Jeder Beschuldigte verfügt darin über eine beispiellose Liste von Rechten mit der Unschuldsvermutung an erster Stelle – es sei denn, die Vereinigten Staaten führen gerade Krieg gegen den islamischen Terrorismus und die beiden Beschuldigten sind Muslime.

Der ehemalige New Yorker Staatsanwalt Steven T. Wax, Jahrgang 1948, übernahm im April 2004, inzwischen als Leiter eines großen Pflichtverteidigerbüros in Portland (Oregon) auf die andere Seite des Rechtssystems gewechselt, ohne Zögern die Verteidigung seines Zunftgenossen Brandon Mayfield.

Gegen den zum Islam konvertierten US-Amerikaner hatte das FBI Anklage erhoben, in das blutige Attentat von Madrid verwickelt zu sein, bei dem mehr als 190 Menschen starben. Einen Fingerabdruck auf einer blauen Plastiktüte mit Sprengstoffzündern, die in einem gestohlenen Auto in der Nähe des Tatortes gefunden wurden war, hatten Spezialisten der Bundespolizei zweifelsfrei als den von Brandon Mayfield identifiziert. Wie aber sollte ein bisher unbescholtener Anwalt aus Portland in die unmittelbare Nähe eines kaltblütigen Terroraktes gelangt sein, der im fernen Europa stattgefunden hatte? Den Ermittlern erschien dies keineswegs unwahrscheinlich, waren doch erst wenige Monate zuvor sechs so genannte Glaubensbrüder des Beschuldigten, die in derselben Moschee wie Mayfield verkehrten, mit gefälschter Identität zum Dschihad nach Afghanistan aufgebrochen. Seit dem Aufsehen erregenden Prozess gegen die unverrichteter Dinge Heimgekehrten, die bundesweit als „Portland Six“ bekannt wurden, war die ehedem liberale Stimmung in Portland völlig gekippt. Kein gutes Omen für den jetzt wegen Beihilfe zu einem Terrorakt angeklagten Brandon Mayfield.

Parallel zu diesem Fall erfährt der Leser von der unglaublichen Leidensgeschichte des Sudanesen Adel Hamad, der am 18. Juli 2002 als Mitarbeiter einer moslimischen Hilfsorganisation nachts in seiner Wohnung im pakistanischen Peshawar festgenommen wurde und bereits vier Jahre Gefangener der Vereinigten Staaten war, ehe Wax im Frühjahr 2006 seinen Fall übernehmen konnte. Tatsächlich war es jedoch überhaupt kein Fall, denn der Sudanese war wie fast alle 500 Gefangenen des Militärgefängnisses von Guantánamo auf Kuba als angeblicher Terrorist ohne Anklage inhaftiert worden. Für ausländische Staatsbürger auf einem Stützpunkt, der staatsrechtlich außerhalb der Vereinigten Staaten liegt, war kein US-Richter zuständig, so dass eine Überprüfung der Haftgründe zunächst ausgeschlossen schien. Zugleich aber verweigerten die Militärbehörden Hamad und seinen Leidensgenossen den internationalen Status als Kriegsgefangene, so dass sie auch nicht den Schutz der Genfer Konvention beanspruchen konnten. Gegen diesen diabolischen Winkelzug der Bush-Administration regte sich erst allmählich breiter Widerstand, der schließlich dazu führte, dass sich das Center for Constitutional Rights und einige andere Anwaltsorganisationen für die Gefangenen von Guantánamo einzusetzen begannen.

Auf mehreren Darstellungsebenen beschreibt Wax, wie sich zwischen ihm und dem gefangenen Sudanesen allmählich ein Vertrauensverhältnis aufbaute, während seine Rechercheure keinen Aufwand scheuten, das Leben des Adel Hamed im Sudan und später im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zu rekonstruieren, dabei nach möglichen Anhaltspunkten suchten, die für die Bundesbehörden Anlass zur Anklage hätten bieten können.

Hatte es tatsächlich eine Bedeutung, wenn etwa der Gefangene von 1984-86 der Moslembruderschaft angehörte? Hatte sich Hamad tatsächlich einmal zusammen mit dem Al-Qaida Terroristen Khalid Scheich Mohammed, dem Chefplaner der Anschläge vom 11. September und Mörder des jüdischen Journalisten Daniel Pearl, in einem afghanischen Flüchtlingslager aufgehalten?

Wax vergleicht seine Lage durchaus treffend als die eines Anwaltes, der seinen Mandanten quasi mit verbundenen Augen verteidigte, gleichwohl aber gegen jede Eventualität gewappnet sein müsse. Gleichzeitig berichtet Wax mit juristischer Akribie von dem zähen Tauziehen hinter den politischen Kulissen, um richterliche Zuständigkeiten und den Verzögerungstaktiken der Exekutive, die trotz gerichtlicher Beschlüsse Dokumente nur unvollständig oder gar nicht herausgab.

Das Problem der Guantánamo-Gefangenen berührte schließlich auch die diplomatische Ebene und machte deutlich, dass sich die Bush-Administration mit ihrer Selbstjustiz auf geradezu groteske Art in eine auswegslose Falle manövriert hatte. Es verdient durchaus als „kafkaeske“ Situation bezeichnet zu werden, wenn eine mit undurchsichtigen Praktiken agierende Exekutive plötzlich den Großteil ihrer Gefangenen wieder loswerden möchte, da sie plötzlich den Gegenwind der öffentlichen Meinung zu spüren bekommt, nun aber feststellen muss, dass kaum noch eine ausländische Regierung bereit war, ihre Staatsangehörigen, die zuvor jahrelang immer wieder als Terroristen bezeichnet worden waren, aufzunehmen. Mehr als eigenartig erscheint es dann auch, wenn sich das Außenamt im Falle des Sudanesen Adel Hamad zuletzt noch hinter dem absurden Argument verschanzte, dass man einer Abschiebung in das Heimatland nicht zustimmen könne, solange nicht sichergestellt sei, dass der Gefangene dort nicht gefoltert werden würde.

Adel Hamad und Brandon Mayfield kamen schließlich doch frei, der letztere immerhin nach neunzehn Tagen, der Sudanese erst nach fünf Jahren und drei Monaten. Schlüssige Beweise gegen sie hatte es nie gegeben. Der am Madrider Tatort gefundene Fingerabdruck erwies sich rasch als nicht identisch mit dem des Portländer Anwalts – erst die Erkenntnisse der spanischen Ermittlungsbehörden hatten hier die entscheidende Entlastung erbracht. Der Sudanese wiederum war vermutlich nur das Opfer einer lokalen Intrige geworden – er hatte sich mehrfach geweigert, Güter seiner Hilfsorganisation zu veruntreuen – und zuletzt wurde er vom pakistanischen Geheimdienst gegen die übliche Kopfprämie für Terroristen an die Amerikaner im afghanischen Baghram ausgeliefert.

Es ist eine Reise durch Absurdistan, die Steven Wax auf knapp 500 Seiten beschreibt und die sichtbare Genugtuung, die er über den halbwegs glimpflichen Ausgang der beiden Affären empfindet, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wieder gewonnene Freiheit seiner beiden Mandanten jederzeit bedroht bleibt, wenn nicht – was aber illusorisch ist – ihre Namen aus allen Geheimdienstdokumenten vollständig gelöscht würden.

Es war nur ein kleiner, aber wichtiger Sieg gegen die Tyrannei der Gesetzlosigkeit, die auch einer großen und alten Demokratie wie den Vereinigten Staaten drohen könnte, erzielt mit einem ungeheuren Aufwand an Zeit und Engagement und nicht zuletzt deshalb auch akribisch vom Verfasser dokumentiert. Die Handschrift des routinierten Juristen hat sich auch im Text niedergeschlagen. Oft gleicht er einem juristischen Schriftsatz, der alle nur irgendwie relevant erscheinenden Daten eines Sachverhaltes oder Vorganges mit bürokratischer Genauigkeit auflistet, um dann aber rasch in einen fast sentimentalen Ton abzugleiten, wenn er vom Leben seiner beiden Hauptmandanten berichtet. So heißt es etwa über Adel Hamad an einer Stelle: „Allah schenkt ihm eine fünfte Tochter“. Betulich wirkt es auf Dauer auch, wenn Wax die beiden Muslime stets mit ihren Vornamen nennt. Für den jüdischen Anwalt ist der Umstand, dass heutzutage gerade im Islam der Antisemitismus weltweit eine bizarre Blüte erlebt, kein Hinderungsgrund, seine Mandanten vorbehaltlos zu vertreten. Im Gegenteil: Als amerikanischer Jude in einer vergleichbaren Minderheitsposition entwickelt er sogar ein besonderes Gefühl der Solidarität.

Die sogenannte Verschwendung von Steuergeldern selbst für die allerschlimmsten Typen, wie es der ehemalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld einmal scharf formuliert hatte, würde Wax, selbst wenn dieses abwertende Diktum auf seine beiden Mandanten zugetroffen hätte, im Gegenteil als absolut notwendige Maßnahme in einem Rechtsstaat betrachten. Zustimmend zitiert er Robert Bolts Theaterstück über Thomas Morus: „Ach, bei Ihnen darf wohl jetzt selbst der Teufel hinter den Gesetzen Zuflucht nehmen?“ Recht geht also vor Sicherheit – in jedem Fall eine mutige Position. Wie weit sie für ein Land, das von Millionen Muslimen bewohnt wird, Bestand haben kann, wird sich zunächst an dem Fall des Majors Nidal Malik Hasan und der dreizehn von ihm getöteten Soldaten in Ford Hood erweisen.

Ein Abkürzungsverzeichnis am Ende des Bandes erleichtert die Lektüre ungemein, leider fehlt ein Personen- oder Sachregister.

Titelbild

Steven T. Wax: Kafka in Amerika. Wie der Krieg gegen den Terror Bürgerrechte bedroht.
Übersetzt aus dem Englischen von Werner Roller.
Hamburger Edition, Hamburg 2009.
496 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783868542080

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