Emotionen und Literatur

Begriffsklärung, Untersuchungsperspektiven und Analyseverfahren

Von Claudia HillebrandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claudia Hillebrandt und Anna FennerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Fenner

„Lieber Bertram,
ich bin selten so an ein Buch gefesselt gewesen, wie in den letzten Tagen. Unbedingt muß ich Ihnen das Objekt empfehlen: Es ist ,Verdi, Roman der Oper‘ von Werfel. Bitte, lesen Sie es! Denken Sie, das Milieu: Venedig. Die Hauptpersonen: Verdi und Wagner. Der geistige Gegenstand: Süden und Norden. […]

[Eigenhändige Bemerkung von Thomas Mann zu einer beigefügten, negativen Rezension des Romans:] Nicht ohne Beschämung überreicht. Mein positives Urteil war Überkompensierung beleidigter Gefühle.“

(Brief Thomas Manns an Ernst Bertram vom 23.6.1924)

Wie das Eingangszitat verdeutlicht, prägen Emotionen als basale psychophysische Phänomene in für uns selbstverständlicher Weise die Produktion, Distribution und Rezeption von literarischen Artefakten. Mehr noch, es kann davon ausgegangen werden, dass es auch und gerade die emotionalen Wirkungen von Literatur sind, die Rezipienten dazu veranlassen, ein Buch in die Hand zu nehmen – zum Beispiel, um etwas über den Konflikt zwischen Verdi und Wagner oder den Verfall einer Lübecker Familie zu erfahren und dadurch eben auch emotional an deren Schicksal Anteil zu nehmen.

Seit einigen Jahren sind Emotionen verstärkt in den Blickpunkt der Literaturwissenschaft gerückt. Mittlerweile ist analog etwa zum „Spatial Turn“ oder „Iconic Turn“ auch von einem „Emotional Turn“ die Rede. Literaturwissenschaftliche Forschungsarbeiten, die sich mit dem Zusammenhang von Emotionen und Literatur beschäftigen, bewegen sich in einem mittlerweile sehr vielfältigen und fruchtbaren, in der Regel auch interdisziplinären Forschungsfeld – dies zeigt sich nicht zuletzt an der entsprechenden institutionellen Verankerung wie etwa dem Exzellenzcluster „Languages of Emotion“ der FU Berlin, dem „Swiss Centre for Affective Sciences“ der Universität Genf oder dem Sonderforschungsbereich 447 „Emotionalität in der Literatur des Mittelalters“, ebenfalls an der FU Berlin.

Wir wollen im Folgenden einen ersten, selbstverständlich nur groben und damit zum Teil auch grob vereinfachenden Überblick über dieses prosperierende und sich ausdifferenzierende Forschungsfeld innerhalb der Literaturwissenschaft geben. Dies tun wir in drei Schritten: In einem ersten Teil werden wir knapp darstellen, wie der Begriff ,Emotion’ für literaturwissenschaftliche Fragestellungen genauer expliziert werden kann. Speziell werden wir dazu auf die Frage eingehen, in welchen Dimensionen Emotionen in der Emotionspsychologie konzeptualisiert und analysiert werden und welche Begriffsbestimmung uns an diese Beobachtungen anschließend für literaturwissenschaftliche Fragestellungen sinnvoll erscheint. Dabei enden wir mit einer weiten, für literaturwissenschaftliche Forschungsvorhaben unseres Erachtens nach praktikablen emergentistischen Begriffsbestimmung.

In einem zweiten Schritt gehen wir auf die verschiedenen Untersuchungsperspektiven ein, die im Zusammenhang mit der Erforschung von Emotionen im Bereich der Literaturwissenschaft bisher eingenommen worden sind beziehungsweise unseres Erachtens nach eingenommen werden können. Dazu betrachten wir exemplarisch zwei jüngst erschienene Studien von Martin von Koppenfels und Katja Mellmann, die produktions-, text-, kontext- und rezeptionsbezogene Herangehensweisen an das zu expedierende Phänomen in je unterschiedlicher theoretischer Fokussierung auf charakteristische Weise bündeln.

Abschließend stellen wir ausführlicher dar, in welchem Zusammenhang ganz allgemein Sprache und Emotionen zueinander stehen, auf welcher theoretischen Grundlage also emotionale Kommunikation im Medium der Sprache und spezieller in Bezug auf literarische Texte genauer beschrieben werden kann und welche sprachlichen Strukturen emotionale Gehalte transportieren.

Begriffsbestimmung

Zieht man Einführungen in die Emotionspsychologie zu Rate, um sich schnell über das zu untersuchende Phänomen zu informieren, so stößt man auf eine Vielzahl von Definitionen, die den Begriff der ,Emotion‘ jeweils sehr unterschiedlich bestimmen. Stets zitiert und damit mittlerweile schon klassisch zu nennen ist die integrative Begriffsbestimmung von Anne und Paul Kleinginna, die in den 1980er-Jahren eine Fülle von Studien hinsichtlich des zugrundegelegten Emotionsbegriffs ausgewertet haben und dabei zu folgender Konklusion kommen: „Emotion is a complex set of interactions among subjective and objective factors, mediated by neural-hormonal systems, which can (a) give rise to affective experiences such as feelings of arousal, pleasure/displeasure; (b) generate cognitive processes such as emotionally relevant perceptual effects, appraisals, labeling processes; (c) activate widespread physiological adjustments to the arousing conditions; and (d) lead to behavior that is often, but not always, expressive, goal-directed, and adaptive.”

Emotionen erweisen sich demnach als komplexes psychophysiologisches Phänomen, das grob vereinfacht in vier Dimensionen betrachtet werden kann: hinsichtlich ihrer affektiv-phänomenologischen Qualität, ihres kognitiven Gehaltes, ihrer physiologischen „Symptomatik“ sowie ihrer handlungsinduzierenden Funktion. Dabei wird zusätzlich allgemein angenommen, dass eine Emotion immer auf die situative „Selbstbetroffenheit“ ihres Trägers verweist.

Im Gegensatz zu homöostatischen Trieben wie Hunger, Durst oder dem Bedürfnis nach Schlaf treten Emotionen dabei azyklisch auf, im Unterschied zu rein kognitiven „Denkoperationen“ sind sie durch eine in der Regel höhere physiologische Erregung gekennzeichnet. (Hierbei gilt es allerdings zu beachten, dass die begriffliche Trennung kognitiver und emotionaler Vorgänge im Gehirn zwar einen heuristischen Wert besitzt, in der Praxis jedoch emotionale und kognitive mentale Prozesse, wie neurophysiologische Untersuchungen etwa belegen, nicht voneinander getrennt ablaufen.) Stimmungen werden klassifikatorisch von Emotionen durch eine längere Dauer, einen unbewussten Verlauf und einen unklaren Objektbezug abgegrenzt.

Die Fülle der emotionspsychologischen Begriffsbestimmungen und der sich daraus ergebenden Untersuchungsperspektiven stellt literaturwissenschaftliche Untersuchungen dabei vor ein Problem: Soll eine Begriffsbestimmung nicht Ausgangs- sondern Zielpunkt emotionspsychologischer Forschung sein und wird der Untersuchungsgegenstand zu diesem Zweck lediglich mit Hilfe von Arbeitsdefinitionen genauer bestimmt, so stellt sich die Frage, mit welchem Begriffsverständnis von ,Emotion‘ in literaturwissenschaftlichen Studien überhaupt sinnvoll gearbeitet werden kann. Simone Winko kommt in ihrem Forschungsüberblick aus Sicht der Literaturwissenschaftlerin zu dem Schluss: „Was Emotionen als mentale Größen ,sind‘, läßt sich nur in einem dezisionistischen Akt festlegen.“ Sie schließt sich daher einer möglichst voraussetzungsarmen, offenen und weiten Begriffsverwendung an, innerhalb derer „Emotionen als emergente Eigenschaften des physischen Systems“ aufgefasst werden. Diese Begriffsverwendung scheint uns als Grundlage für literaturwissenschaftliche Analysen ausreichend zu sein, und wir übernehmen sie daher im Folgenden: Die emergentistische Position geht zwar von den physischen Aspekten emotionalen Erlebens aus, berücksichtigt aber auch die weiteren, in der oben genannten integrativen Definition enthaltenen relevanten Aspekte menschlicher Emotionalität durch den zugegebenermaßen vagen Begriff der Emergenz, ohne dass man sich vorschnell für einen einzelnen theoretischen Zugang entscheiden müsste.

Untersuchungsperspektiven

In der literarischen Kommunikation spielen Emotionen eine wesentliche Rolle sowohl bei der Produktion literarischer Werke als auch bei deren sprachlicher Umsetzung und der anschließenden Rezeption des jeweiligen Textes. Im Folgenden wollen wir exemplarisch jeweils eine stärker produktions- und eine eher rezeptionsorientiert ausgerichtete jüngere Arbeit aus dem Bereich der literaturwissenschaftlichen Emotionsforschung vorstellen, um damit das Theorie- und Methodenspektrum innerhalb dieses Forschungszweiges knapp zu veranschaulichen. Wir haben uns dazu für zwei unseres Erachtens sehr avancierte, wenn auch im methodischen Zugriff durchaus umstrittene Studien entschieden, die wir hier knapp präsentieren wollen.

Zunächst fällt unter den literaturwissenschaftlichen Arbeiten zum Thema die Fülle diskursanalytischer Studien auf, die verstärkt seit den 1990er-Jahren publiziert worden sind. Diese Studien rekonstruieren, wie über Gefühle zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten soziokulturellen Umfeld gesprochen wurde, welche Vorstellungsgegenstände mit ihnen verbunden worden sind, welchen kulturellen Prägungen also unsere Emotionen unterliegen.

Teilweise verknüpfen sie die so gewonnenen Ergebnisse auch mit Wirkungsannahmen. In seiner psychoanalytisch fundierten, diskursanalytisch verfahrenden Studie „Immune Erzähler. Flaubert und die Affektpolitik des modernen Romans“ von 2007 zeichnet Martin von Koppenfels aus komparatistischer Sicht nach, mit welchen sprachlichen Mitteln Flaubert in seinen poetologischen Stellungnahmen wie seinen literarischen Texten eine unproblematische Einfühlung in seine Figuren sowohl aus produktions- wie rezeptionsästhetischer Perspektive zu verhindern suchte, und weist diese Immunisierungsstrategie als paradigmatischen Fall des modernen Erzählens aus. Von Koppenfels entwirft in seiner Arbeit eine Traditionslinie von Flaubert über Proust, Kafka, Musil, Duras und Céline bis hin zu Imre Kertész. Der kalte Blick eines immunen Arzt-Erzählers in der Tradition Flauberts ist nach von Koppenfels gekennzeichnet durch einen akribisch beobachtenden, methodisch analysierenden, unpersönlichen Erzählgestus und eine damit einhergehende fehlende Einfühlung in seine Figuren.

Der postulierte Effekt dieser Erzählhaltung ist eine emotionale Wirkung des „Gefühls der Gefühllosigkeit“ und einer daraus resultierenden „Affektscham“: Der moderne Erzähler erfahre schmerzvoll den Verlust einer zuvor als unproblematisch gegeben angenommenen Fühlweise und unterscheide sich damit signifikant vom klassisch-romantischen Erzähler. Ob auch Thomas Manns Werk in diese Traditionslinie der immunisierten Erzählverfahren einzureihen wäre, werden wir sicherlich im Laufe der Tagung erörtern können.

Stärker rezeptionsorientierte Studien konzentrieren sich auf die emotionalen Wirkungen literarischer Rezeptionsprozesse. Diese rekonstruieren sie mitunter auch unter Zuhilfenahme von aus den Kognitionswissenschaften gewonnenen Heuristiken.

So geht es etwa Katja Mellmann in ihrer Studie „Emotionalisierung. Von der Nebenstundenpoesie zum Buch als Freund. Eine emotionspsychologische Analyse der Literatur der Aufklärungsepoche“ aus dem Jahre 2006 um eine genauere Beschreibung derjenigen emotionalen Wirkungen von Literatur, die, aus evolutionspsychologischer Perspektive betrachtet, auf biologisch evolvierte Schemata zurückgeführt werden können. Mellmann benennt das Manko diskursanalytisch verfahrender Studien wie folgt: „Er [der Diskursanalytiker, C.H.] kann damit aber immer nur zeigen, daß bestimmte Textmerkmale von den Zeitgenossen als emotional klassifiziert worden sind, nicht, ob sie auch tatsächlich emotional gewirkt haben, und riskiert, Verfälschungen durch die jeweilige historische Diskurslogik aufzusitzen.“

Um dieses Defizit auszugleichen und auch ohne empirische oder rezeptionsgeschichtliche Methoden Aussagen über emotionale Wirkungen von Literatur treffen zu können, greift Mellmann auf Forschungsarbeiten der Evolutionspsychologen John Tooby und Leda Cosmides zurück. Mellmanns Ziel ist es, diejenigen Formen emotionaler Wirkungen von Literatur genauer zu beschreiben, die auf relativ fest verdrahtete, im Laufe der menschlichen Evolution gebildete Reiz-Reaktions-Schemata zurückgeführt werden können. Sie fasst literarische Texte als emotionale Attrappen auf, die diese Schemata in kongruenter Weise nachzubilden im Stande sind.

Beide hier knapp resümierten Studien stehen unseres Erachtens vor dem gleichen Problem: Mellmann wie auch von Koppenfels entwickeln weitreichende Wirkungsannahmen aus der Betrachtung von Diskursfragmenten oder Strukturen literarischer Texte, indem sie diesen ein jeweils (noch) nicht ausreichend empirisch bestätigtes Modell emotionaler literarischer Kommunikation unterlegen. Dennoch eröffnen beide Studien damit einer zukünftigen, mit Emotionen befassten Literaturwissenschaft neue Perspektiven, indem sie das Spektrum der in diesem Zusammenhang möglichen Fragestellungen erweitern, das wir an dieser Stelle kurz überblickshaft aufzählen wollen:

Produktionsbezogene Ansätze: Konzeptualisierungen und Funktionen von Emotionen in poetologischen Stellungnahmen von Autoren oder Autorengruppen und deren möglicherweise rezeptionsleitende Funktion und Funktionalisierung

Textbezogene Ansätze: Funktion und Wirkungspotenzial von Emotionsdarstellungen in literarischen Texten; Thematisierung und Präsentation von Emotionen in literarischen Texten, insbesondere in synchron oder diachron vergleichender Perspektive

Kontextbezogene Ansätze: Rekonstruktion von einzelnen Emotionskonzepten einer Epoche oder eines Zeitabschnitts und deren entsprechende Diskursivierung, Fortschreibung und Veränderung; gattungs- und genrebezogene Spezifika emotionaler Wirkungen von Texten

Wirkungsbezogene Ansätze: Rezeptionsgeschichtliche und empirische Studien zur Erhebung emotionaler Wirkungen von Literatur

Analyseverfahren

Grundsätzlich ist vorab jedoch zu fragen: Aufgrund welcher theoretischen Voraussetzungen und mit Hilfe welcher Methodik soll es eigentlich möglich sein, emotionale Gehalte von Sprache, mit denen wir als Literaturwissenschaftler ja zu allererst befasst sind, genauer zu beschreiben. Abschließend wollen wir daher nun auf die genuin sprachlichen Möglichkeiten der Darstellung von Emotionalität eingehen.

Mit Hilfe von Sprache werden emotionale, also subjektiv erfahrene, innere Zustände kommunizierbar. Um die intersubjektive Verständlichkeit innerhalb der Kommunikation zu gewährleisten, muss dabei auf überindividuell verständliche Konzepte von Emotionalität zurückgegriffen werden. Im Rückgriff auf konventionalisierte Formen und Ausdrucksweisen können in der emotionalen Kommunikation Verständnis und weitergreifende Formen der Partizipation beim Gegenüber gewährleistet werden. Dafür stehen in einer Sprache bestimmte Gefühlswortschätze und Muster zur Verfügung, die in einer Kultur in der Regel tradiert werden. Literatur partizipiert an diesen Kodes: Zum einen nutzt sie sie, zum anderen trägt sie auch zur Bildung neuer Muster und Ausdrucksformen bei.

Wir halten für die Untersuchung emotionaler Gehalte von Literatur daher einen kodebasierten Ansatz für sinnvoll, wie ihn Simone Winko im Anschluss an soziologische Emotionstheorien für die Literaturwissenschaft entwickelt hat. Dieser kodebasierte Ansatz umfasst zwei Grundannahmen: Emotionen können semiotisch zum einen als Kodes konzipiert werden, sie gelten dann als Muster der Informationsaufnahme und -verarbeitung. Andererseits können Emotionen jedoch auch als kulturell kodiert verstanden werden. Sie erhalten also erst durch ihre Einbettung in komplexere Informations- und Wissenssysteme Sinn, die das kulturelle Wissen über Emotionen, ihren Ausdruck und emotionstypische Situationen wiedergeben.

Zum Gebrauch von Kodes zur Darstellung von Emotionen und zur Identifikation und vor allem zum Verständnis dieser kulturellen Muster sind daher kontextualisierende Analyseverfahren nicht nur möglich, sondern erscheinen geradezu geboten. Es ist vor allem zu rekonstruieren, inwieweit bestimmte emotionale Muster konventionalisiert und damit allgemein verständlich sind und auf welche kulturellen Hintergründe mit ihnen zurückgegriffen wird. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass zumindest zeitgenössische Leser und Autoren einer Kultur bestimmtes Wissen über emotionale Muster teilen.

Eine Schwierigkeit bei der Identifikation von Kodes und vor allem bei ihrer Dekodierung stellt allerdings das je nach zeitlichem Abstand zum Gegenstand oft auch fehlende Wissen über zeitgenössische Konzeptualisierungen von bestimmten Emotionen und deren Ausdrucksmöglichkeiten dar. Die Interpretation emotionaler Kodes setzt somit je nach zeitlichem und/oder kulturellem Abstand zum Untersuchungstext eine mehr oder weniger große Rekonstruktionsleistung voraus, insbesondere dort, wo eine Kulturgeschichte der Gefühle noch nicht systematisch erarbeitet und damit wissenschaftlich zugänglich gemacht wurde.

Neben den verwendeten Kodierungen müssen für die Beschreibung des Emotionspotentials eines literarischen Textes jedoch auch weitere Strategien und formale sprachliche Mittel untersucht werden. Dabei ist grundlegend festzuhalten, dass zwischen unspezifischen Emotionalisierungsstrategien und spezifischen, identifizierbaren Emotionen im Text zu unterscheiden ist. Es ist also genau darzustellen, ob die untersuchten Strukturen und Muster ganz allgemein dazu beitragen, den emotionalen Gehalt eines Textes zu steigern, ob ko- und kontextualisierende Rekonstruktionsleistungen helfen können, das Spektrum des emotionalen Gehalts eines Textes einzuschränken oder ob im Text direkt von einer bestimmten Emotion die Rede ist.

Bei der sprachlichen Gestaltung von Emotionen sind nach Winkos Ansatz außerdem zwei grundlegende Kategorien zu unterscheiden, die entweder unabhängig voneinander genutzt werden oder sich gegenseitig auch betonen oder widersprechen können: die Thematisierung und die Präsentation von Emotionen.

Bei der Thematisierung von Emotionen in (literarischen) Texten geht es um die Nennung oder Umschreibung von Emotionen und damit vor allem um die Analyse dessen, was über Emotionen im jeweiligen Text gesagt wird. Das kann Aussagen über Definitionen einzelner Emotionen, die angemessene Ausdrucksweise von Emotionen oder über emotionstypische Situationen beinhalten. Es ist aber auch zu untersuchen, wie Emotionen thematisiert werden, also mit welchen Begriffen oder Bildern auf Emotionen Bezug genommen wird.

Die Analyse der Thematisierung von Emotionen kann so zweierlei aufzeigen: zum einen deren Funktionalisierung im Einzeltext und zum anderen – im diskursgeschichtlichen Vergleich – die Konzeptualisierung und die Rolle von Emotionen in einer bestimmten Zeit oder Gruppe. Ein Problem der Untersuchung thematischer Emotionsdarstellung in literarischen Artefakten besteht daher auch darin, dass sie mit nichtliterarischen Texten insoweit konkurrieren, als die Untersuchung der Thematisierung von Emotionen in diesen unter Umständen ein sehr viel verlässlicheres Bild der Konzeption von Emotionen zu einer bestimmten Zeit liefern kann. Literarische Texte sollten somit nicht ohne weitere Kontextualisierung als Beweis für ein gültiges Emotionskonzept ihrer Entstehungszeit missverstanden werden. Denn das hieße eben auch, ihre Spezifika als literarische und damit fiktionale Texte zu missachten.

Die Präsentation von Emotionen in literarischen Texten unterscheidet sich von der Thematisierung insofern, als es hier nicht um auf Emotionen bezogene Propositionen geht, sondern um die „Vermittlung“ von Emotionen. Hier spielen vor allem implizite sprachliche Mittel und Strukturen eine Rolle. Die Präsentation von Emotionen kann somit auf sehr vielfältige Weise erfolgen. Prinzipiell können dabei alle sprachlichen Ebenen eine Rolle spielen, wobei die Wahl der zur Verfügung stehenden Mittel in der Regel kulturell kodiert ist. Bei der Analyse der Präsentation von Emotionen in literarischen Texten ist also nach den sprachlichen Mitteln zu fragen, mit denen Emotionen gestaltet werden, nach den Traditionen, in denen sie stehen und wie sie von diesen eventuell abweichen.

Lassen Sie mich die Vielfalt der Möglichkeiten, Emotionen zu präsentieren, abschließend an einigen Beispielen erläutern, die in diesem Rahmen sicherlich nur oberflächlich behandelt werden können. Sie sind alle Thomas Manns früher Novelle „Der kleine Herr Friedemann“ entnommen.

In der folgenden Textpassage werden gleich mehrere negativ konnotierte Emotionen explizit benannt:

„Vielleicht war es dieser wollüstige Haß, den er empfunden hatte, wenn sie ihn mit ihrem Blicke demütigte, der jetzt, wo er, behandelt von ihr wie ein Hund, am Boden lag, in eine irrsinnige Wut ausartete, die er bethätigen mußte, sei es auch gegen sich selbst … ein Ekel vielleicht vor sich selbst, der ihn mit einem Durst erfüllte, sich zu vernichten, sich in Stücke zu zerreißen, sich auszulöschen …“ .

Diese Textpassage macht deutlich, dass Thematisierung und Präsentation von Emotionen auch dort, wo innere Zustände mit Emotionswörtern explizit benannt werden, voneinander unterschieden werden müssen. Der Unterschied liegt in der Frage nach der Funktion der Benennung einer Emotion. Wird über die allgemeinen Erscheinungsformen und Qualitäten einer Emotion gesprochen, ist der Text als Teil eines Diskurses zu sehen, womit eine Thematisierung vorläge. Werden wie im vorliegenden Fall Emotionen jedoch benannt, um den inneren Zustand eine Figur darzustellen, ist von einer Präsentation spezifischer Emotionen zu sprechen.

Des Weiteren kann an diesen wenigen Zeilen gezeigt werden, dass für die Analyse der Gestaltung von Emotionen in literarischen Texten – beispielsweise für die Hierarchisierung verschiedener Emotionen innerhalb eines Textes oder für die Analyse seines emotionalen Wirkungspotentials – die Zuordnung der Emotionen zu einer Instanz (Sprecher, Figur, Gegenstand) im Text von großer Bedeutung ist. Eine Analyse der narrativen Präsentation, die die Erzählstrategien, und damit die Zuweisungen zur jeweiligen Sprechinstanz – vor allem über die Untersuchung von Modus und Stimme – deutlich macht, ist daher unerlässlich. In dieser Textpassage können die benannten Emotionen so als Zustand des Protagonisten identifiziert werden (interne Fokalisierung, dramatischer Modus). Es wird folglich ein Bild der inneren Situation des kleinen Herrn Friedemanns gezeichnet. Verschiedene Strategien wie Satzabbrüche und Klimax steigern dabei noch das Emotionspotential der Textpassage: die Verwirrung, die Überwältigung durch einen nur schwer zu konzeptualisierenden Gefühlszustand wird dadurch zusätzlich ausgedrückt. Verschiedene explizite und implizite Mittel der Präsentation von Emotionen (explizite Benennung, Steigerung, narrative Strategien, Syntax) kommen hier somit zusammen und verstärken sich gegenseitig.

Der expliziten Benennung von Emotionen stehen, wie hieran schon deutlich wird, also die weitaus häufiger genutzten Möglichkeiten der impliziten Bezugnahme auf Emotionen gegenüber. Sprachliche Mittel werden dabei als Verweise auf Emotionen eingesetzt. Je nach sprachlicher Ebene lassen sich verschiedene Arten der Präsentation unterscheiden.

Auf der Ebene der lexikalischen Präsentation können zum Beispiel ursprünglich neutrale Wörter emotional konnotiert eingesetzt werden. Dabei kann auf kulturelle und damit allgemeine Muster zurückgegriffen werden, wenn beispielsweise das Wort „Tod“ die Emotion Trauer konnotiert. Oder auch auf individuellere werkgeschichtliche Hintergründe, wenn die Erwähnung „roter Haare“ im Werkzusammenhang Thomas Manns beispielsweise eine bestimmte auch emotionale Konnotation aufruft. So vielfältig die Möglichkeiten hier sind, so sehr muss doch gerade bei dieser Form der Emotionsdarstellung auf Kontextwissen zurückgegriffen werden, da hier zum Beispiel literaturgeschichtliche und sprachhistorische Aspekte zur Deutung beitragen.

Eine von der lexikalischen Präsentation unter Umständen nur schwer zu unterscheidende Möglichkeit, Emotionen zu präsentieren, stellt die bildliche Präsentation mit Hilfe von Metaphern, Vergleichen und Metonymien dar. Die bildlichen Darstellungen können dabei aus den verschiedensten Lebensbereichen stammen, wobei sich kulturspezifische Präferenzen identifizieren lassen.

Ebenfalls zentral für den Bereich der Kodierung von Emotionen ist die Darstellung von Emotionen durch Rekurrenz auf typische emotionale Situationen oder auch auf körperliche Merkmale, die konventionell mit bestimmten Emotionen verknüpft werden wie in folgenden Textbeispielen:

„Hier befiel ihn ein Zittern, und das Herz pochte ihm krampfhaft und schwer gegen die Brust. Aber er ging über den Flur und klingelte drinnen. Nun war es entschieden, und es gab kein Zurück. Mochte alles seinen Gang gehen, dachte er. In ihm war es plötzlich totenstill.“


„Herr Friedemann war bleich, viel bleicher, als gewöhnlich, und unter dem glattgescheitelten braunen Haar standen kleine Tropfen auf seiner Stirn.“

Daneben lassen sich Emotionen aber zum Beispiel auch auf grammatisch-syntaktischer Ebene präsentieren:

„‚Sie wissen ja … Laß mich … Ich kann nicht mehr … Mein Gott … Mein Gott…’“

Die syntaktisch-grammatischen Mittel – Satzabbrüche, der Wechsel von höflicher zu vertrauter Anrede und die Wiederholung des flehenden Hilferufs „Mein Gott“ – legen hier eine allgemeine emotionale Beteiligung des Protagonisten nahe. Der Ausdruck „Ich kann nicht mehr“ könnte zwar Verzweiflung kodieren, in welchem emotionalen Zustand sich der kleine Herr Friedemann hier letztendlich genau befindet, muss allerdings durch den Kontext rekonstruiert werden.

Wie an diesen zugegebenermaßen etwas aus dem Zusammenhang gerissenen Beispielen vorgeführt werden sollte, kann die Darstellung von Emotionen insofern als kodebasiert analysiert werden, als ihre jeweilige Ausprägung im Text stets in Relation zu konventionalisierten Mustern der Artikulation und Konzeption von Emotionen gesetzt werden sollte. Ein spezifisch literarisches Potential der Emotionsgestaltung stellen Häufungen, Modifikationen und auch Neuschöpfungen dieser Mittel dar.

Soweit zu den unseres Erachtens wichtigsten theoretischen und methodischen Grundlagen zur Untersuchung der Darstellung von Emotionen in literarischen Artefakten. Wir hoffen, wir haben beispielhaft zeigen können, welche vielfältigen Möglichkeiten das Forschungsfeld „Emotionen und Literatur“ bietet und welches Potential in der Analyse emotionaler Kommunikationsstrategien in literarischen Texten steckt. Weitere Anregungen und konkretere Beispieldarstellungen werden uns hoffentlich die Jungen-Thomas-Mann-Forscher mit spannenden Tagungsbeiträgen liefern.