Essen im Film: Mehr als nur Kalorienzufuhr

Über „Ist man was man isst?“ von Anton Escher und Thomas Koebner

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

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„Ein Tier, das kocht“, so definierte James Boswell bereits 1785 die soziokulturelle Bedeutung des Essens für den Menschen, die ihn vom Tier abhebt: Denn keineswegs nur das vorhandene Nahrungsangebot bestimmt, was und wie Menschen essen – dies unterliegt vielmehr kulturellen Normen und Regeln und stiftet so gleichzeitig Identität und Zugehörigkeit.

Das spiegelt sich natürlich auch auf der Leinwand wider: Einsame Mahlzeiten vor dem Fernseher, romantische Dinner für zwei oder große Familienessen, bei dem lauernde Konflikte zu Tage treten – in Filmen wimmelt es geradezu von Szenen, in denen gegessen wird. Allerdings geht es dabei in der Regel weniger darum, was man zu sich nimmt oder wie es schmeckt, sondern um die soziale Bedeutung als kulturell geprägtes Ritual.

Denn Essen umfasst bekanntlich mehr Aspekte als nur den der (mehr oder weniger genussvollen) „Nahrungszufuhr“, wie Anton Escher und Thomas Koebner, die beiden Herausgeber des filmwissenschaftlichen Sammelbandes „Isst man, was man isst?“, in ihrem Vorwort betonen. Essen setzt nicht nur dem Magenknurren ein Ende, sondern beinhaltet darüber hinaus vielfältige psychische Komponenten und soziale Beziehungsebenen.

Dabei verläuft ein Essen in der Regel nach kulturell geprägten Verhaltensmustern ab, die situationsbedingt variieren – je nachdem, ob man im Kreis der Familie, mit Geschäftspartnern oder gar bei einem Festbankett seine Mahlzeit zu sich nimmt. Und dem Kontext entsprechend ist dabei nahezu jeder Bereich im Rahmen dieser Handlung klar geregelt: Was man wann isst, wer wo sitzt, worüber man spricht, wann man wieder vom Tisch aufsteht.

Somit eignet sich gerade das Ritual des gemeinsamen Essens ganz hervorragend, um es als filmisches Mittel einzusetzen. Ess-Szenen im Film dienen fast immer als symbolische Akte: „Die Figuren essen nicht einfach ‚nur so‘, als eine Art Requisitenspiel, sie fügen sich ein in ein kleineres, unter- oder nebengeordnetes Sonder-Drama ‚bei Tisch‘, das mit der überwölbenden Handlung der Story verschweißt ist“, erläutern Escher und Koebner.

Sie definieren Essrituale als „hochstandardisierte Handlungen“, deren filmische Bedeutung in Typologien eingeordnet werden kann, die vom „erotisch-verführerischen Essen“ wie in Fellinis ‚Casanova‘, über die „Pastorale“ wie in Fatih Akins ‚Solino‘ bis hin zum „heiligen Mahl“ wie in Gabriel Axels ‚Babettes Fest‘ reicht.

Grundlage ihres Sammelbandes der im September 2009 bei ‚edition text + kritik‘ erschien, ist eine Tagung zum Thema Essrituale an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, die gemeinsam von den Instituten der Geografie und der Filmwissenschaft durchgeführt wurde. Aus den Beiträgen und Diskussionen dort entwickelten sich die 13 Aufsätze, in denen Kulturgeografen, Ethnologen, Soziologen, Film- und Literaturwissenschaftler die Rituale des Essens untersuchen, die der Dokumentarfilm festhält und der Spielfilm inszeniert.

Darin versuchen sie, die vielfältigen Bedeutungen des gemeinschaftlichen Speisens zu ergründen und widmen sich dabei der satirischen Ekel-Ekstase in Monty Pythons „Der Sinn des Lebens“ ebenso kenntnisreich wie der kolonialen Überheblichkeit der frühen ethnologischen Filmaufnahmen des Anthropologen Rudolf Poech zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Papua-Neuguinea.

Somit schlagen die Autoren einen interessanten Bogen von der ersten Thematisierung des Essens im Film – Auguste Lumière füttert in ‚Repas de Bébé‘ 1895 seine Tochter im Säuglingsalter vor laufender Kamera – bis hin zu jüngsten Beispielen des globalisierungskritischen Dokumentarfilms wie ‚Unser täglich Brot‘ 110 Jahre später.

Mit einer gelungenen Mischung an Aufsätzen, wie etwa dem körpersoziologischen Blick Christian Steuerwalds auf das Essen am Beispiel von „Pretty Woman“ oder der Interpretation von Fressorgien im Film durch Manuel und Michelle Koch, gibt der Sammelband nicht nur einen Einblick in den aktuellen Diskurs der Wissenschaft zum Thema – auch für den interessierten Nichtwissenschaftler bieten sich hier überraschende Blickwinkel auf eine der essentiellsten Handlungen des menschlichen Lebens.

Titelbild

Anton Escher / Thomas Koebner (Hg.): Ist man, was man isst? Essrituale im Film.
edition text & kritik, München 2009.
230 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783869160047

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