Misogyn und antisemitisch

Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“ in neuer Übersetzung

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Oskar Wilde ist einer der bekanntesten und wohl auch heute noch beliebtesten englischen AutorInnen der vorletzten Jahrhundertwende. Sein 1890 publizierter Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ dürften zu den meistgelesenen Werke der Epoche zählen.

Bekanntlich lässt der Wunsch, sein Porträt möge an seiner Stelle altern, dafür sei er bereit, sogar seine Seele zu geben, den bislang mit schüchterner Anmut durch Leben und Gesellschaft wandelnden Protagonisten zu dem werden, der er sein wird: „das verdorbenste Geschöpf auf Erden“. Ohne den ebenso unbedachten wie fatalen Wunsch würden die folgenden Jahrzehnte zwar die Furchen des Alters in das jugendliche Antlitz des schönen, vielleicht auch bloß hübschen Mannes gegraben haben. Doch würde es sich wohl kaum zu dieser von Laster- und Boshaftigkeit entstellten Fratze verwandelt haben, die im Porträt mit jeder Untat Grays immer stärker hervortritt, bis Gray zuletzt Suizid begeht, indem er sein Bildnis ersticht.

Der Roman selbst ist heute noch so lebendig wie vor 120 Jahren. Dies ist allerdings weniger der Gestalt des titelstiftenden Protagonisten zu verdanken als viel mehr den Aphorismen Lord Henry Wottons, dem gewissenlosen Verführer des jungen Gray. Würde man seine maliziösen Dikta streichen, blieben von den ersten Kapiteln nicht vielmehr als ein paar weiße Seiten übrig. Wottons Bonmots sind es, die den Beginn des Romans auch heute noch höchst amüsant machen. „Er spielte mit dem Gedanken und wurde dabei immer eigenwilliger; er warf ihn in die Luft, formte ihn um; gestattete ihm zu entkommen und fing ihn wieder ein; ließ ihn phantasievoll in allen Regenbogenfarben schillern und beflügelte ihn mit scheinbar widersinnigen Behauptungen,“ charakterisiert Wilde das aphoristische Verfahren des Zynikers, dem er später die Worte „Keine Frau ist ein Genie. Frauen sind ein dekoratives Geschlecht. Sie haben nie etwas zu sagen, aber sie sagen es bezaubernd. Frauen verkörpern den Triumph der Materie über den Geist, so wie Männer den Triumph des Geistes über die Moral verkörpern“, in den Mund legt. Erst die letzte Wendung der misogynen Sentenzen nimmt ganz überraschend eine – oder gar die eine – große männliche Schwäche aufs Korn. So wird die Misogynität in diesem Falle, wenn zwar nicht zurückgenommen, so aber doch relativiert. Meist aber belässt es Wotton bei der Frauenverachtung, die von Seite zu Seite stärker hervortritt. Und spätestens wenn er erklärt, „Frauen schätzen Grausamkeit, unverblümte Grausamkeit, mehr als alles andere. Sie haben erstaunlich primitive Instinkte. Wir haben sie in die Freiheit entlassen, aber sie bleiben dennoch Sklavinnen, die ihre Herren suchen. Sie lieben es, beherrscht zu werden“, werden seine zu Beginn so amüsante Reden abstoßend. Doch Gray übernimmt die misogynen Lehren seines Mentors und macht sich glauben, Frauen seien „besser geeignet, Kummer zu ertragen, als Männer“, denn „[s]ie lebten von ihren Gefühlen. Sie dachten nur an ihre Gefühle“.

Anders als mit der Frauenfeindlichkeit, die zwar den Figuren, nicht aber dem Autor anzulasten ist, verhält es sich mit dem Antisemitismus des Romans. Er manifestiert sich in den Beschreibungen und Darstellungen eines jüdischen Theaterdirektors. Gray beschreibt ihn ein ums andere Mal als „richtige[n] Widerling“, „widerliche[n] alte[n] Jude[n]“, „außerordentlich widerwärtiges Scheusal“ oder „widerwärtige[n] Jude[n]“. Auf seinem „schmutzigen Hemd“ funkele ein „riesiger Diamant“. Und wenn Gray die „fettige[n] Locken“ des Theaterdirektors erwähnt, so darf wohl vermutet werden, dass er an den Schläfenlocken Anstoß nimmt, die gläubige Juden zu tragen pflegen. Auch im Gespräch zwischen der von ihm geliebten Schauspielerin und ihrer Mutter werden antisemitische Klischees bedient. Hier tritt der jüdische Theaterdirektor als Geldverleiher auf, der das junge Mädchen von sich abhängig macht. „Er ist kein Gentleman, Mutter“, klagt dieses, „und ich mag nicht, wie er mit mir spricht.“ Der Subtext dieser Stelle legt sexuelle Belästigung zumindest nahe. Doch nicht nur die Figure auch die Erzähl-Instanz zieht vom antisemitischen Leder, wenn sie dem „fette[n] jüdische[n] Theaterdirektor“ mit „fetten juwelengeschmückten Händen“ ausstattet und ihm in seiner „wichtigtuerischen Unterwürfigkeit“ ein „schmierige[s] zuckende[s] Lächeln übers ganze Gesicht“ gleiten lässt. Im gesamten Roman wird die Figur des Theaterdirektors wohl nicht einmal erwähnt, ohne dass er negativ charakterisiert wird, und ohne dass angemerkt wird, er sei ein Jude.

Auch ist noch eine Kritik anderer Art vorzubringen. Wilde gelingt es nicht, das lange Zeit hohe literarische Niveau bis zum Ende durchzuhalten. Nach dem Suizid der von Gray geliebten Schauspielerin fällt der Roman deutlich ab.

Ingrid Rein hat das Werk nicht nur neu übersetzt, sondern auch mit einem Kommentar versehen – ohne allerdings jede erläuterungsbedürftige Stelle zu berücksichtigen. Dass der Topos „Kampf ums Dasein“ auf Charles Darwin zurückgeht, kann man zwar als bekannt voraussetzen. Wohl jedoch nicht, dass Wilde mit der Wendung „Lob der Torheit“ (so zumindest übersetzt Rein) den Titel eines Buches von Erasmus von Rotterdam zitiert. Auch dürfte heute nicht mehr unbedingt zur Allgemeinbildung zählen, dass die Kardinaltugenden auf Platon zurück gehen, bei dem es deren vier sind: Mäßigung, Tapferkeit und Klugheit sowie diese Trias überwölbend und garantierend die Gerechtigkeit. Die christliche Lehre fügte später drei weitere hinzu.

Titelbild

Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray. Roman.
Herausgegeben von Ulrich Horstmann.
Übersetzt aus dem Englischen von Ingrid Rein.
Reclam Verlag, Ditzingen 2010.
350 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783150107454

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