Einer der bedeutendsten Autoren seiner Zeit

Zu Band 5 „Essays und Publizistik 1930 -1933“ und Band 6 „Essays und Publizistik 1933-1935“ der Kritischen Heinrich-Mann-Gesamtausgabe, herausgegeben von Wolfgang Klein, Anne Flierl und Volker Riedel

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Innerhalb der Literaturwissenschaft existiert ein Konsens über eine große Anzahl an Autoren, zu denen Literaturwissenschaftler gearbeitet haben sollten und zu solchen, die getrost vernachlässigt werden können. Bedauerlicher Weise rutschen in die Liste der letzteren immer wieder auch einst prominente Autoren, wie zeitweilig Heinrich Mann, der gleichzeitig auch noch damit zu kämpfen hatte, im Schatten Thomas Manns zu stehen. Während Heinrich Manns jüngerer Bruder Thomas bis heute als einer der „größten“ deutschen Schriftsteller gilt, sind die Werke Heinrich Manns der breiten Masse kaum bekannt. Zu Unrecht, denn die „literaturhistorische, ja die gesellschaftliche und politische Bedeutung Heinrich Manns“ ist unzweifelbar. Er war ohne Frage einer der bekanntesten und bedeutendsten Autoren seiner Zeit.

Heinrich Mann, der 1871 in Lübeck geboren wurde, gehörte nicht nur ab 1926 der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste an, deren Vorsitzender er 1931 wurde, sondern war, so Walter Delabar und Walter Fähnders in ihrem Buch zu Mann, „zudem einer der wichtigsten Repräsentanten des deutschen Exils nach 1933. Mindestens bis zu seiner Übersiedlung in die USA 1940 galt er als unüberhörbare Stimme des Exils, auch was die Verbindungen zum medialen und politischen Establishment der Gastländer angeht.“ In dieser Funktion und als Verfasser zahlreicher Romane, als deren bekannteste wohl „Professor Unrat“ und „Der Untertan“ zu nennen wären, hat Heinrich Mann mit seinem Tod 1950 ein Gesamtwerk von Bedeutung hinterlassen. Seine Prosa – auch wenn mitunter durchaus schwache Texte darunter sind – hat bis heute nichts von ihrer Kraft eingebüßt.

Handelte es sich bei seinen Romanen eher um zugängliche Texte, so bewegte sich Heinrich Mann mit seinen publizistischen Arbeiten auf hohem intellektuellen Niveau, was die zahlreichen Forschungen zu seinem Werk erklären mag, das heute vom S. Fischer Verlag verlegt wird. Nicht nur in der Forschung, sondern auch auf Verlagsseite hat sich erfreulicherweise in den letzten Jahren einiges getan, so ist etwa ein Band mit der Korrespondenz zwischen Heinrich Mann und Felix Bertaux erschienen. Darüber hinaus wurde auch das Kriegstagebuch Heinrich Manns veröffentlicht. Nach einem ersten, im Rahmen der Vereinigung der beiden deutschen Staaten gescheiterten Versuch, eine Gesamtausgabe herauszubringen, wollte man sich bei S. Fischer allerdings an diese doch eigentlich längst überfällige Aufgabe nicht mehr wagen.

Ein Versäumnis, das nun an anderer Stelle, im Bielefelder Aisthesis Verlag, von Wolfgang Klein, Anette Flierl und Volker Riedel nachgeholt wird. Ein mühseliges Unterfangen, zu dem aufgrund der Quantität des Werkes aber auch des unbequemen politischen Ausbruch Heinrich Manns „ein außergewöhnlich langer Atem nötig ist“. Jüngstes Ergebnis dieser Bemühungen sind daher erst einmal die Bände 5 und 6 der Kritischen Gesamtausgabe, die Heinrich Manns Essays und Publizistik zwischen 1930 und 1935, „einschließlich der Reden, der Antworten auf Umfragen und der von ihm verfassten Aufrufe sowie – in jeweils gesonderten Teilen – der Interviews und der von ihm mitunterzeichneten Texte“, wie es im Vorwort heißt, enthalten.

Beim Umgang mit den beiden Bänden fällt vor allem auf, dass es den Herausgebern trotz der Komplexität von Heinrich Manns essayistischen und publizistischen Werk gelungen ist, den Überblick zu behalten und die beiden Bände nutzertauglich zu strukturieren. So wurden etwa die zahlreichen von Heinrich Mann selbst veröffentlichten Sammelbände aufgelöst und chronologisch nach dem Datum der Erstveröffentlichung in die übrigen Texte eingegliedert. Ist ein Text von Heinrich Mann „in fremder und deutscher Sprache verfasst worden, erscheinen beide Fassungen gleichberechtigt unter dem Datum der Erstpublikation. Ausführliche Anhänge geben Auskünfte zu den vorliegenden Bänden, hier werden insbesondere Lebensorte und -umstände, literarisches Schaffen, Textgruppen, Zusammenarbeit mit bestimmten Kreisen, Personen oder Publikationsorganen“ im Zeitraum, der die einzelnen Bände betrifft, berücksichtigt.

„Band 5 der Kritischen Gesamtausgabe umfasst Essays vom Beginn des Jahres 1930 bis zu dem erzwungenen Austritt Heinrich Manns aus der Preußischen Akademie der Künste am 15. Februar 1933. Der Band setzt kurz nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929 ein, dokumentiert nach den letzten Monaten der Großen Koalition unter dem SPD-Kanzler Hermann Müller die Zeit der ohne parlamentarische Mehrheit regierenden Präsidialkabinette und der auf Grund von Artikel 48 der Weimarer Verfassung erlassenen Notverordnungen untern den Kanzlern Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher und endet vor der ersten spektakulären kulturpolitischen Maßnahme der Hitler-Regierung.“

Wichtigste Publikationsorgane waren in dieser Zeit die von Willy Haas 1925 gegründete Wochenzeitung „Die Literarische Welt“ und das liberale „Berliner Tagesblatt“. Die Texte zeigen deutlich, dass „innenpolitsch der Kampf mit den Nazis und außenpolitisch die Bemühungen um eine deutsch-französische Verständigung“ zu den Leitgedanken zählen, die Heinrich Manns Schaffen prägten. Deutlich wird außerdem die Problematik, mit der sich Heinrich Mann bei der Artikulation von Gegenpositionen konfrontiert sah. Er „befand sich in dem permanenten Widerspruch, einerseits die Gebrechen der Weimarer Republik sehr genau zu erfassen und andererseits diese Republik gegen die Angriffe von rechts bewahren zu müssen.“

Trotz eines deutlichen Übergewichts an politischen Themen behandelte Heinrich Mann auch zahlreiche künstlerische Fragen. Der Band beinhaltet daher „mehrere Essays über deutsche oder französische Schriftsteller der Vergangenheit und Gegenwart, eine Serie zu zeitgenössischen Büchern und mehrere Aufsätze über das Theater, sowie über die neuen Gattungen des Films und des Hörspiels. Von einem breiteren Spektrum zeugen Reiseberichte sowie Arbeiten über Erotik und Familie. Besonderes Augenmerk sollte der Leser auch den von Heinrich Mann geführten Interviews, Aufrufen und Protestschreiben schenken, die einen „integralen Bestandteil“ seiner Arbeit darstellen. „Vor allem die letzteren zeugen vom Engagement des Schriftstellers in tagespolitischen Fragen und vermitteln einen Eindruck über seine Stellung im Kreise bedeutender Zeitgenossen.“

Band 6 beginnt mit Heinrich Manns Austritt aus der Abteilung für Dichtung der Akademie und einem Bericht über dieses Ereignis, das er für die Tagespresse verfasst hatte. Er läutet die Exil-Zeit des Schriftstellers ein, der schon kurz nach diesem Ereignis Deutschland für immer verlassen sollte. Wie alle Exilanten war auch Heinrich Mann von nun an ein Heimatloser, ein Großteil der Texte, die in diesem Band versammelt sind, entstand jedoch in Nizza, wo sich Heinrich Mann während seiner Zeit in Frankreich weitestgehend aufhielt.

Die Arbeit die in den umfangreichen Anmerkungen, detaillierten Apparaten und ausführlichen Ausführungen zu den vorliegenden Büchern steckt, sowie der hochwertige taubenblau-silberne Einband erklären den leider hohen Preis der Einzelbände, machen die erste Kritische Gesamtausgabe Heinrich Manns allerdings auch gleichermaßen zu einem Schmuck- und Liebhaberstück und wecken Vorfreude auf die noch folgenden Bände.

Titelbild

Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Band 5: 1930-1933.
Herausgegeben von Volker Riedel.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2009.
816 Seiten, 148,00 EUR.
ISBN-13: 9783895287237

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Titelbild

Heinrich Mann: Essays und Publizistik. Band 6: (2 Bände) 1933-1935.
Herausgegeben von Wolfgang Klein.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2009.
1058 Seiten, 198,00 EUR.
ISBN-13: 9783895287244

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