‚Religionskrieg’ um den Religionskrieg

Martin C. Wald zeichnet den konfessionellen Geschichtskampf um den Dreißigjährigen Krieg nach

Von Christoph JürgensenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Jürgensen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus mediengeschichtlicher Perspektive ließe sich in Variation einer alten Fußball-Weisheit pointieren: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Anders formuliert, folgt auf den ‚eigentlichen‘ Krieg stets der Interpretationskrieg: Er begleitet ihn schon, indem die jeweils aktuellen Entwicklungen medial nachvollzogen und gedeutet werden, und er dauert zumeist noch an, wenn die ‚eigentlichen‘ Waffen schon lange niedergelegt sind. Denn zum einen prägen sich Kriege, ihre Ereignisse und Protagonisten tief in das kollektive Gedächtnis ein und bieten daher einen prädestinierten Referenzbereich für die Propagierung und Durchsetzung ideologischer Konzepte. Und zum anderen lässt sich durchaus darum ‚kämpfen‘, wer eigentlich Sieger und wer Verlierer ist. Wolfgang Schievelbusch etwa hat in seiner äußerst lesenswerten Studie „Die Kultur der Niederlage“ an den Niederlagen des amerikanischen Südens 1865, Frankreichs im Krieg von 1870/71 und Deutschlands im Ersten Weltkrieg vorgeführt, wie militärische Niederlagen in moralische Siege umgeschrieben und so kollektivpsychologisch produktiv gemacht werden können.

Einem solchen Deutungs- beziehungsweise Funktionalisierungskrieg widmet sich auch Martin C. Wald in seiner ebenso voluminösen wie materialreichen Studie „Die Gesichter der Streitenden“: und zwar dem ‚Krieg‘ zwischen Protestanten und Katholiken um den Dreißigjährigen Krieg, der zwischen 1830 und 1933 ‚tobte‘, von der Phase der Rekonfessionalisierung bis zur von den nationalsozialistischen Machthabern verordneten Dekonfessionalisierung – und damit einem Krieg, dessen Erforschung in letzter Zeit in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen hohe Konjunktur hat. Hingewiesen sei nur auf Nicola Kaminskis kürzlich erschienene Arbeit „Ex Bello Ars oder Ursprung der Deutschen Poeterey“, die die Geburt der deutschen Nationalliteratur aus dem Geiste des Dreißigjährigen Krieges verständlich gemacht hat.

Wild geht es um konfessionelle Geschichtsbilder, mittels deren protestantische und katholische Konzepte gegeneinander in Stellung gebracht und ausgefochten wurden. Aber mehr noch: Über diese für die theologische Diskussion relevante Dimension hinaus soll erhellt werden, in welchem Verhältnis zu anderen Geschichtsdeutungen und historischen Ereignissen (wie der Reichsgründung) diese religiös imprägnierten ‚Erzählungen‘ vom Dreißigjährigen Krieg stehen und welchen Anteil sie an der Herausbildung des kulturellen Gedächtnis beziehungsweise der Idee einer deutschen Nation haben. Überwölbt werden diese einzelnen (religions-)historiografischen Erkenntnisziele vom Impetus, den Zusammenhang ‚Glauben und Wissen‘ in einer Weise wissenschaftlich zu behandeln, die einerseits dem Glauben „seine äußere Würde bewahrt“, andererseits aber auch sein „inneres Welterklärungspotential“ ernst nimmt.

Diese Ziele verfolgt Wald, indem er in die titelgebenden ‚Gesichter der Streitenden‘ blickt, die er als „Stellvertreter und Platzhalter konfessionell-weltanschaulicher Positionen“ deutet. Gefunden hat er diese Gesichter vor allem in den Leser beeinflussenden, emotionalisierenden belletristischen Texten – namentlich solchen, die der Trivialliteratur zuzurechnen sind, sprich: in Romanen, Erzählungen und Dramen, die heute weitgehend vergessen sind, zu ihrer Zeit aber (mutmaßlich) eine erheblich größere Leserschaft hatten als die sogenannte ‚Hochliteratur‘, in ihren Protagonisten, Erzählmustern, Topoi und symbolischen Handlungsorten. Zudem stellt er diesen fiktionalen Verarbeitungen des Dreißigjährigen Krieges nichtfiktionale Geschichtsdeutungen an die Seite, wie Zeitschriftenartikel, geisteswissenschaftliche Studien und gesellschaftspolitische Streitschriften, und schließlich Volks- und Schulbücher, um den gesamten Diskursraum abzuschreiten. Dementsprechend rekurriert Wald in methdologischer Hinsicht auf eine Reihe von theoretischen Diskussionen und Konzepten verschiedener Disziplinen, die in der Einleitung allesamt recht knapp angerissen werden, wie unter anderem Michel Foucaults Diskurs-Begriff, die narratologisch prekäre Grenzziehung zwischen faktualen und fiktionalen Texten, Hayden Whites Poetik der Geschichtswissenschaft oder Nussers Trivialliteratur-Analyse, die Wald zu einem methodenpluralistischen Bündel schnürt.

Zur Anwendung gelangt dieses Konglomerat von Methoden dann auf durchaus handfeste Weise in sechs umfangreichen Kapiteln, die zwar insgesamt die Geschichte des innerkonfessionellen Kampfes um das ‚richtige‘ Bild vom Dreißigjährigen erzählen, aber argumentationslogisch jeweils in sich geschlossen und daher auch als Einzelstudien mit Gewinn lesbar sind. Kaum andeuten lassen sich diese Gewinne im Einzelnen, aber immerhin sollen die diskursiven Kerne benannt werden, um die die Großkapitel kreisen. Ihren Auftakt nehmen sie mit einer Analyse des Erzählmodells vom ‚verlorenen Sohn‘, in dessen Rahmen sowohl die protestantisch als auch die katholisch akzentuierten Geschichtsdeutungen den Dreißigjährigen Krieg einbetteten, um das Freiheitsproblem gegenüber Gott zu veranschaulichen. Zudem führt Wald hier instruktiv vor, dass aus den kontextuellen Bedingungen, der Politisierung und nationalen „Meinungsmobilisierung“,  ein narrativer Paradigmenwechsel resultierte, ein Wechsel von der vertikalen Vater-Sohn-Achse zu einer horizontalen Brüder-Achse: Nicht mehr von sittlich-patriarchalen Strukturen wurde erzählt, sondern von einer symbolisch zu verstehenden Verfeindung innerhalb der Familie. Anschließend widmet sich Wald mit der Belagerung und Zerstörung Magdeburgs einem der zentralen ‚Ereignisbilder‘ des Dreißigjährigen Krieges, das wie ein „Magnet die ‚Eisenspäne‘ gesellschaftspolitischer und kirchlich-kultureller Agenden und Projekte, Konflikte und Probleme anzuziehen in der Lage war“, der Leitfrage folgend, knapp gesagt, ob sich die Parteien im Lager oder in der Stadt verorteten, mit wem sie sich also identifizierten.

Die weiteren Kapitel handeln von der belletristischen Verarbeitung von Hexenwahn und Hexenprozessen, einem Thema von offenkundig ungebrochener Faszination für die (Literatur-)Produzenten und Rezipienten während des Untersuchungszeitraums; von literarischen Repräsentationen des Krieges, die gleichsam über ‚Gesichter der Streitenden‘ im Wortsinn modelliert wurden, nämlich über die Gesichter des katholischen Feldherrn Tilly und des lutherischen Schwedenkönigs Gustav Adolf; von der ‚Erzählten Integration‘ unter anderem in Gustav Freytags „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ und mittels des biblischen Erzählmodells vom ‚Volk in der Wüste‘: Sichtbar wird hier, wie sich zwischen 1859 und 1933 im Zuge der Herausbildung der nationalen Einheit eine Entwicklung innerhalb der Erinnerungspolitik vollzog, die sich auf die Schlagwörter der ‚Enthistorisierung‘ und ‚Entkonfessionalisierung‘ bringen lässt. Und schließlich erzählt Wald unter der Signatur ‚entrückte Geschichte‘ und durch den Blick auf Ricarda Huchs „Der große Krieg in Deutschland“ und Alfred Döblins „Wallenstein“-Roman davon, wie die (religiöse) Emphase aus dem Diskurs weicht und einer distanzierten Ernüchterung Platz macht.

So erweist sich Wald als versierter ‚Kriegsberichterstatter‘, der den Verlauf der konfessionellen ‚Schlachtformationen‘ klar nachzuzeichnen und dabei immer die zentralen Linien im Blick zu behalten versteht. Vor allem überzeugt seine Studie aber durch ihre disziplinär weitgefächerte Perspektive: Wechselseitig können sich in diesem Zugriff die verschiedenen Erzählformen, die verschiedenen Modi des historischen Erzählens erhellen und insgesamt ein anschauliches Geschichtsbild zeichnen vom ‚Religionskrieg‘ um den Religionskrieg.

Titelbild

Martin C. Wald: Die Gesichter der Streitenden. Erzählung, Drama und Diskurs des Dreißigjährigen Krieges 1830 bis 1933.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008.
603 Seiten, 72,00 EUR.
ISBN-13: 9783899714487

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