Literaturkritik vor zweihundert Jahren

Anmerkungen zu einer Quellenedition zur Entstehung der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die umfangreiche Quellenedition zur Geschichte der 1803 gegründeten „Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung“ (JALZ) umfasst knapp zweihundert Seiten. Hinzu kommen in dem vorliegenden Band noch einmal zweihundertvierzig Seiten Kommentar und über hundert Seiten Anhang. Dieses Verhältnis von Text zu Kommentar lässt eine sehr detailgenaue Edition vermuten. Dabei wird dem Quellenteil eine etwa achtzigseitige Einführung vorangestellt, die gleichzeitig in Teilen 2006 als Dissertation an der Universität München eingereicht wurde. Zusätzlich wurde der Band mit einem umfangreichen Personenregister ausgestattet, was der wissenschaftlichen Nutzung des Bandes sehr förderlich ist und einen schnellen Zugriff auf die enthaltenen Informationen ermöglicht.

Goethe war aufgrund seiner Ämter verantwortlich für die Universität Jena. Diese steckte 1803 in der Krise. Bedeutende Professoren waren im Begriff, die Universität aufgrund besserer Angebote aus Wittenberg und Halle zu verlassen oder hatten dieses schon getan. Ebenfalls drohte die Abwanderung der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ unter der Herausgeberschaft von Christian Gottfried Schütz, eines der einflussreichsten zeitgenössischen literaturkritischen Organe und gleichzeitig eine lukrative Einkommensquelle der Gelehrten in Jena. Als Gegenreaktion gründete man unter Goethes Aufsicht und unter Mitwirkung von Christian Gottlob Voigt und dem redaktionell erfahrenen Altphilologen Heinrich Carl Abraham Eichstädt (1749-1848) die JALZ als neues Rezensionsorgan. Die Unterstützung des Herzogs war gesichert, allerdings musste man für die Finanzierung der Zeitschrift unter anderem den finanzkräftigen Unterhaltungsliteraten Johann Gottlieb Samuel Carl Heun (1771-1854) gewinnen. Die Probleme während und nach der Zeitschriftengründung, die Gewinnung von Rezensenten, die Definition der Zeitschrifteninhalte und die Alltagsgeschäfte der ihre Arbeit aufnehmenden Redaktion kann man anschaulich den edierten Quellen entnehmen. Ebenso allerdings auch das nachlassende Interesse Goethes an dem Zeitschriftenprojekt im Laufe des Jahres 1805.

Mit der JALZ begann für Jena und für die Literaturkritik eine neue Epoche, wurde doch die Anonymität der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ durch eine „Pluralität der Stimmen abgelöst“, indem Rezensentenzeichen eingeführt wurden und Buchbesprechungen somit einzelnen Rezensenten zugeordnet werden konnten. Goethe schrieb zum Verfahren der Literaturkritik in der JALZ am 15. September 1804 an Eichstädt: „Das alles soll nur so viel andeuten daß der Dichter, besonders der moderne, der Lebende, Anspruch an die Neigung des Lesers, des Beurtheilers machen und voraussetzen darf daß man constructiv mit ihm verfahre und nicht, durrch eine disjunctive Methode, ein zartes vielleicht schwaches Gewebe zerreiße, oder den etwa schon vorhandenen Riß vergrößere.“

Die vorliegende Edition wurde nach aktuellen Editionsprinzipien ediert und legt in dem Abschnitt „Editionsprinzipien“ die Rahmenbedingungen für die Textauswahl und Textwiedergabe offen: „Berichtzeitraum der Edition ist der Zeitraum von 26. August 1803 bis 27. Januar 1805 – sie schließt mit dem letzten in den Goethe-Akten abgelegten Brief Eichstädts. Die weiteren Briefe Eichstädts wurden wie auch andere eingegangene Briefe zum größten Teil in Goethes Briefregistratur der ‚Eingegangenen Briefe‘, in Quartalsfaszikeln archiviert.“ Für das Verständnis der Geschichte der JALZ als besonders hilfreich haben sich die edierten Texte im Abschnitt „Dokumente“ erwiesen. Zusammenfassend eine solide, gut benutzbare Edition, die für Kultur-, Buch- und Geschichtswissenschaftler ebenso interessant ist wie für den Literaturwissenschaftler.

Titelbild

Johann Wolfgang von Goethe: "Die Actenstücke jener Tage sind in der größten Ordnung verwahrt....". Goethe und die Gründung der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung im Spiegel des Briefwechsels mit Heinrich Carl Abraham Eichstädt.
Herausgegeben von Ulrike Bayer.
Wallstein Verlag, Göttingen 2009.
654 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783835305359

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