Der Theaterfreund kommt nicht ganz auf seine Kosten

Henning Rischbieter berichtet in „Schreiben, Knappwurst, abends Gäste“ über sein Leben und seine Arbeit als Theaterkritiker

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer das Theater liebt und seine Entwicklung aufmerksam verfolgt, dem dürfte der Name Henning Rischbieter vertraut sein. Immerhin hat Rischbieter, Jahrgang 1927, jahrzehntelang das Theater reflektierend und kommentierend begleitet, hat 1960 die Zeitschrift „Theater heute“ ins Leben gerufen und sie bis 1997 herausgegeben. „Kein Unverzichtbarer im Theater heute hätte es ohne Rischbieter und sein ‚Theater heute‘ geschafft“, meinte einmal Ivan Nagel, Theaterwissenschaftler, Kritiker, Publizist und Theaterintendant ungarischer Herkunft.

Außerdem hat Rischbieter Bücher über die Dramatiker Bertolt Brecht, Maxim Gorki und Peter Weiss verfasst sowie das zweibändige „Hannover’sche Lesebuch“. Auch war er einer der Autoren der dreigliedrigen Monografie „Theater im Dritten Reich“ und hatte von 1977 bis 1995 einen Lehrstuhl für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin inne. Kürzlich veröffentlichte Rischbieter nun auch seine Lebenserinnerungen.

Wer sich jedoch darauf stürzt, in der Hoffnung das heutige Theater aus der Sicht eines versierten Fachmanns näher kennen zu lernen, muss sich gedul den, denn die erste Hälfte des Buches widmet der Autor ausführlich seiner Kindheit und Jugend in Hannover, beginnend mit den Eltern, mit der Mutter – „sie lächelte vieles weg“ – und dem gutmütigen Vater, der „freundlich-geduldig“ mit seinem Sohn umging. Später, 1935, kam noch ein zweiter Sohn hinzu. Selbst die Großeltern und die übrigen Verwandten werden ausgiebig vorgestellt. An einer Stelle schiebt Rischbieter den Lebenslauf seines Großvaters Fritz Schneider ein. Er beschreibt ferner den wirtschaftlichen Aufstieg der Eltern, die es dann sogar zu einer eigenen Lampenschirm-Werkstatt brachten. Im März des verhängnisvollen Jahres 1933 wurde Rischbieter eingeschult. In der Schule träumte sich der Junge oft am Unterricht vorbei. Wir lernen seine Lehrer kennen und erfahren, dass sein Lieblingsfach Geschichte war. Wie alle seine Altersgefährten wuchs auch er mit Naziparolen und Nazipropaganda auf, tat „Dienst“ in der „Hitler-Jugend“ und wurde mit widersinnigen Liedern konfrontiert, wie „Es zittern die morschen Knochen“, „Wir werden weitermarschieren/Bis alles in Scherben fällt“ und „Unsere Fahne ist mehr als der Tod“. In seiner Klasse „gab’s einen Judenjungen“, der eines Tages verschwand. Am 10. November 1938 sah Rischbieter die eingeschlagenen Schaufenster eines jüdischen Textilgeschäfts und die Synagoge brennen. Eine Zeitlang war er in einem so genannten KLV-Lager, das heißt in einem Kinderlandverschickungslager. Im Krieg tauchten – auch daran erinnert sich der Autor – Plakate auf mit der Schrift „Feind hört mit“.

Kurz vor seinem 16. Geburtstag im Frühjahr 1943 wurde er als Luftwaffenhelfer eingezogen, kam danach zum Arbeitsdienst und wurde am Ende so schwer verwundet, dass er den linken Arm verlor. Er habe, räumt Rischbieter ein, in der braunen Zeit durchaus etliches mit bekommen, vor allem den Terror gegen die Juden, und habe „darüber hinweg gesehen“. Dafür habe er nun, „mit dem Verlust des linken Arms, angemessen bezahlt“, schreibt er. „Diese Rechnung brachte mich ins Reine, Freie, machte mich offen für das Leben nach dem verfluchten Krieg.“Die Eltern, die im „Dritten Reich“ passive Resistenz geleistet, ihren Sohn aber damit nicht belastet hatten, überstanden den Zweiten Weltkrieg „leidlich“ und fingen nach dem Zusammenbruch wieder an, Lampenschirme zu produzieren.

Für Rischbieter war die Nachkriegszeit zunächst ausgefüllt mit Tanzstunden und Lesen. Nach der frühen Lektüre der Werke von Ernst Jünger wandte er sich nun anderem Lesestoff zu und verfasste eigene Texte. Von 1948 bis 1953 studierte er in Göttingen Geschichte und Germanistik. Zwischendurch, 1950, heiratete er zum ersten Mal (vier Frauen sollten es insgesamt werden, mit denen er „ehelich zusammenlebte“), wurde Vater und begann für Zeitungen zu schreiben. Das Theater nahm ihn schon bald gefangen, und zwar stärker als das Kino. „Es blieb wirkungsmächtig, lebensmächtig (fast bis heute)“, gesteht er. Selbst bei dieser Phase seines Lebens sind Rischbieter zahlreiche Einzelheiten eingefallen, nicht immer in chronologischer Reihenfolge, und so ist es wohl kein Wunder, dass die Porträts der vielen bekannten Leute, die er nach und nach kennen lernt – zunächst Carl Dahlhaus, Percy Ernst Schramm, Hans Rothfels, Hellmuth Plessner – ,und die späteren Begegnungen mit Bernhard Minetti, Fritz Kortner, dem Galeristen, Literaten und Freund Adam Seide, Botho Strauß und mit anderen Protagonisten aus der Theaterszene, wie Peter Zadek, Peter Palitzsch, Heiner Müller, George Tabori und Ivan Nagel, verhältnismäßig knapp ausgefallen sind. Hier hätte man sich manches ausführlicher und auch mehr Anekdotisches gewünscht.

Auf Anraten seines Verlegers Erhard Friedrich, mit dem Rischbieter 1960 „Theater heute“ gegründet hatte, gab er ab 1963 die Zeitschrift zusammen mit Siegfried Melchinger heraus. Als Verleger hatte sich Friedrich durch Melchinger „mehr Leser aus dem Bildungsbürgertum und damit einen Zuwachs an seriösem Ansehen für die Zeitschrift“ versprochen. Die späte Aufdeckung von Melchingers antisemitischen Hasstiraden während der Nazizeit hat den Theaterkritiker dann allerdings tief erschüttert.

Fotos in schwarzweiß zeigen den Autor in verschiedenen Lebenslagen, einige mit Freunden, zum Beispiel mit Ivan Nagel, Peter Palitzsch und Peter Zadek. Aber überwiegend ist Rischbieter allein auf den Bildern zu sehen. Hin und wieder werden die Frauen, die Rischbieters Weg gekreuzt haben, erwähnt. Aus seiner sozialdemokratischen Gesinnung macht er gleichfalls keinen Hehl. 1948 wählte er die SPD, und so entscheidet er sich heute noch.

So lesenswert und informativ der zweite Teil auch ist, so kommt doch der Theaterfreund selbst hier nicht voll und ganz auf seine Kosten. Zu gern hätte man mehr gelesen von den berühmten Schauspielern wie Peter Zadek, Frank Castorf, Jürgen Gosch und anderen Theaterleuten und auch, was Rischbieter vom Regietheater, von der Werktreue im Theater im Allgemeinen hält und wie er die Kritik des Schriftstellers Daniel Kehlmann am Regietheater im vergangenen Sommer aufgenommen hat, mit der der Schriftsteller nach Meinung sogenannter fortschrittlicher Leute eine „der verlogensten Debatten in der Kultur“ neu entfacht habe.

Titelbild

Henning Rischbieter: Schreiben, Knappwurst, abends Gäste. Erinnerungen.
zu Klampen Verlag, Springe 2009.
269 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783866740426

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