Erprobung eines poetologischen Epochenbegriffs

Detlef Kremers Romantik-Lehrbuch in der dritten Auflage

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Romantische Metamorphosen“ (1993), „Prosa der Romantik“ (1996), „E.T.A. Hoffmann zur Einführung“ (1998) und zuletzt die Herausgabe des Bandes „E.T.A. Hoffmann. Leben – Werk – Wirkung“ (2009) sind wichtige Werke, mit denen sich der im Juni 2009 im Alter von 55 Jahren verstorbene Münsteraner Germanist Detlef Kremer bleibende Verdienste als Romantik-Forscher erworben hat. In diese Reihe gehört auch sein 2001 erstmals erschienenes Germanistik-Lehrbuch „Romantik“, das er bereits 2003 in zweiter Auflage und nur vier Jahre später in dritter Auflage vorlegen konnte.

Es ist vor allem der Wandel der Kommunikation, den Kremer einleitend zu Recht als das Markenzeichen der von Reinhard Koselleck so genannten „Sattelzeit“ zwischen 1770 und 1830 betont: „Wenn man die romantische Literatur als hochgradig vermittelte, gleichwohl aber äußerst sensible Reflexion historischer Veränderungen begreift, dann muss man, um diese zu erklären, nicht unbedingt auf die protoindustrielle Einbindung von technischen Maschinen im Produktionsprozess zurückgreifen, sondern man kann sie als Funktion eines mentalitätsgeschichtlichen Wandels verstehen, der seine Eckpfeiler in einer wachsenden Differenzierung des Selbst- und Sozialbezugs, der Steigerung kommunikativer Möglichkeiten und der Ausbildung eines historischen Bewusstseins hat.“

Neben der „reflexiven Verarbeitung einer tiefgreifenden Erfahrung von historischer Beschleunigung“, wie sie beispielhaft auch in Goethes Märchen „Es ist an der Zeit“ manifest wird, ist es die „Autonomisierung des literarischen Diskurses“, die seit den 1790er-Jahren ihren Höhepunkt erreicht, die Kremer als weitere entscheidende Eckpfeiler der Epoche der Romantik einleitend nennt.

In insgesamt acht Kapitel unterteilt Kremer sein germanistisches Lehrbuch zur Epoche der Romantik. Man mag es bedauern, dass sich Kremer auf die deutsche Romantik und auch dabei „nur“ auf die Literatur und deren philosophische Implikationen beschränkt, aber was Kremer auf rund 340 Seiten bietet, ist dennoch enorm. Nach der knappen Einleitung mit dem genannten Problemaufriss, wobei der Hinweis auf die „Aktualisierung manieristischer Heterogenie“ als Signum der Romantik allzu vage bleibt, beleuchtet Kremer in Kapitel zwei den „historischen und sozialgeschichtlichen Kontext“ von der Französischen Revolution und den napoleonischen Kriegen angefangen über die preußische Reformpolitik mit dem „Beginn einer liberalisierten kapitalistischen Ökonomie“. Dabei geht er ebenso auf den Patriotismus während der Zeit der Befreiungskriege ein wie auf die verschiedenen Phasen der Restauration und die Salonkultur. Ein instruktiver Abschnitt analysiert die „Verdichtung der Kommunikation“.

Kapitel drei gilt den „allgemeinen Aspekten der Romantik“. Nach allzu knappen Hinweisen zum „Begriff der Romantik“, Bemerkungen zur „Einheit der Romantik“ und zum „Zusammenhang von Früh- und Spätromantik“, folgt ein Abschnitt über eine mögliche „Phasengliederung“ der Epoche und schließlich ein wichtiges Teilkapitel zur „germanistischen Romantik-Forschung“.

Kapitel vier widmet sich den „philosophischen und wissenschaftlichen Aspekten der Romantik“, als da sind die Bereiche der Naturphilosophie, der Sprachreflexion, der Geschichtsphilosophie und der romantischen Psychologie zu nennen, bevor die angesprochenen Themenkomplexe im fünften Kapitel unter der Thematik „Grundfiguren der romantischen Poetik“ eingeführt werden.

Im sechsten und längsten Kapitel behandelt Kremer die „erzählende Prosa“, unterteilt in den „Roman der frühen Romantik (1795-1804)“, den „Roman der Spätromantik (1810-1834), den „historischen Roman der Spätromantik (1817-1840) sowie Erzählungen und romantische Kunstmärchen. Neben den bekannten Texten von Ludwig Tieck, Ludwig Wackenroder, Friedrich Schlegel, Joseph Freiherr von Eichendorff, E.T.A. Hoffmann, Wilhelm Hauff, Clemens Brentano und einigen anderen analysiert Kremer auch weniger bekannte wie beispielsweise Sophie Mereaus Brief- und Liebesroman „Eduard und Amanda“ aus dem Jahr 1803.

Behandelt werden auch Quersteher zur Romantik wie Friedrich Hölderlin und Heinrich von Kleist. Bei letzterem etwa „ist es eher eine Gegenstellung zum Klassizismus“, die seine „Erzählungen in eine Konvergenz zur Romantik treten lässt. Ihr obsessiver Manierismus in Körperdarstellungen und die Insistenz, mit der die homogene Stillage des Klassizismus und sein Postulat einer maßvollen und harmonischen Vermittlung unterlaufen wird, trennt Kleists Prosa scharf von derjenigen Goethes und rückt sie in die Nähe der Romantik.“

Dem Kapitel über die erzählende Prosa folgt ein knapp 60 Seiten umfassendes Kapitel zum romantischen Drama, aufgeteilt in Lustspiel und Trauerspiel. Und wieder erscheint Kleist als Sonderfall, indem er etwa die Tragödie „Penthesilea“ „zum Epischen öffnet. Dabei geht es jedoch nicht um Distanzierung dramatischer Unmittelbarkeit, sondern gerade um eine narrative Steigerung von Unmittelbarkeit. Anders als in der epischen Tendenz zur Uferlosigkeit in Dramen Tiecks, Arnims oder Brentanos geht es Kleists epischer ‚Überschreitung‘ der Tragödie – so paradox das klingen mag – um eine Intensivierung des dramatischen Effekts.“

Das achte und letzte Kapitel ist der romantischen Lyrik gewidmet, bevor ein ausführliches Literaturverzeichnis und ein Namenregister das Lehrbuch abrunden.

Man mag einzelne Pointierungen und Positionierungen vielleicht nicht teilen, man mag vermutlich auch den Begriff des Manierismus zur Beschreibung der Romantik nicht unbedingt für zielführend halten, wie das etwa Ludwig Stockinger in einer ausführlichen Besprechung der ersten Auflage des Lehrbuchs bereits getan hat. Man mag auch die Beschränkung auf die deutsche Perspektive der Romantik bedauern. Dies ändert aber nichts an den Verdiensten dieser grundlegenden und grundsoliden germanistischen Einführung in die Epoche der Romantik. Zu einzelnen Spezialfragen wird man zusätzlich zu anderen Primär- und Sekundärtexten greifen, aber den romantischen Wald vor lauter Bäumen wieder sichtbar gemacht zu haben, ist nicht wenig.

Titelbild

Detlef Kremer: Romantik. 3. aktualisierte Auflage.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2007.
350 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783476021762

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