Die Lebedame und das Gemälde

Jan Seghers verknüpft seinem Roman „Die Akte Rosenherz“ Fakten und Fiktion

Von Jutta LadwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Ladwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits Robert Marthalers erster Fall „Ein allzu schönes Mädchen“ wurde ein Bestseller. Die Nachfolger „Die Braut im Schnee“ und „Partitur des Todes“ knüpften nahtlos an den Debüterfolg von Jan Seghers’ an: Der Frankfurter Autor wurde mit dem „Offenbacher Literaturpreis“ und dem „Burgdorfer Krimipreis“ ausgezeichnet. Jetzt liegt der vierte Fall des eigenbrötlerischen Kommissars vor. Nach dem Ansturm auf die Büchertische am Erstverkaufstag und einer stark besuchten Lesereise kann davon ausgegangen werden, dass auch die „Akte Rosenherz“ wieder zum Bestseller wird.

Diesmal muss Marthaler die Verbindung zwischen einem ungeklärten Mord, der fast 40 Jahre zurückliegt, und einem brutalen Kunstraub herstellen. Seine Ermittlungen führen ihn über verschlungene Pfade zur Lösung. Und tief in die Abgründe einer biederen Gesellschaft.

Hauptkommissar Marthaler hat die Leitung der Frankfurter „Cold Cases Unit“ übernommen. Gemeinsam mit seinem Team versucht er bisher ungeklärte Verbrechen zu lösen. Unterdessen bereitet Tereza, Marthalers schwangere Lebensgefährtin, den Gemäldetransport des „Paradiesgärtleins“ aus dem Frankfurter Städel Museum nach Budapest vor. Doch der Transport wird überfallen, ein Wachmann getötet und Tereza schwer verletzt. Marthaler wird von den Ermittlungen ausgeschlossen, doch der Kommissar wäre nicht er selbst, wenn er dies einfach so akzeptieren würde: Er recherchiert auf eigene Faust und stößt auf den „Kleinen Bruno“, einen obdachlosen Exhäftling. Bevor dieser erschlagen wird, gibt er Marthaler den entscheidenden Tipp: Rosenherz. Gemeint ist der Mord an der Edelprostituierten Karin Niebergall, die auch als Karin Rosenherz bekannt war. Das Verbrechen von 1966 ist nie aufgeklärt worden, auch nicht als der Fall in den 1970er Jahren erneut aufgenommen wird. Aber wie steht dieser Fall mit dem Raub des „Paradiesgärtleins“ in Verbindung? Marthaler macht sich auf die Suche nach den Ermittlungsakten und stellt fest, dass sich das einzige Exemplar nicht im Hauptarchiv, sondern im Besitz der angehenden Journalistin Anna Buchwald befindet.

Nachdem Anna erfahren hat, dass der Fall Rosenherz wieder aufgerollt werden soll, reist sie nach Frankfurt und nimmt Kontakt zu Marthaler auf. Der kauzige Kommissar sieht sich gezwungen, mit der Journalistin zusammenzuarbeiten. Gemeinsam stoßen sie auf ein Netz aus Korruption, Intrigen und Gewalt. Als das Skelett einer lange vermissten Frau am überwucherten Ufer eines Sees ausgegraben wird, ist Anna und Marthaler klar: Jemand ist daran gelegen, dass der Fall Rosenherz für immer ungelöst bleibt. Und dabei ist ihm jedes Mittel recht.

Der Kunstraub ist fiktiv, der Mord an Karin Niebergall Realität. Allerdings hat Jan Seghers die äußeren Details verändert. 1966 wird die „Lebedame“ Helga Matura in ihrer Frankfurter Wohnung mit sechzehn Stichen eines stumpfen Gegenstands brutal ermordet. Der Fall wurde nie aufgeklärt. Seghers’ Interesse für diesen Fall weckte das 1980 erschienene Buch „Hamlet oder die Liebe zu Amerika“ von Peter Kuper, der zeitweise mit Helga Matura liiert war.

Die anschließende Recherche führte Seghers ins Hessische Hauptstaatsarchiv nach Wiesbaden. Dort arbeitete er sich durch die 10.000 Seiten starke Akte Matura, las Ermittlungs- und Autopsieberichte und betrachtete Fotos des Tatorts und der Leiche. Für Seghers eine besondere Gelegenheit, erklärt er in einem Interview: „Als Außenstehender hat man ja kaum je die Möglichkeit eine Ermittlung so von Anfang bis Ende nachzuverfolgen. Und das ist alles in diesen Akten – von der ersten Meldung: Eine Leiche ist gefunden worden in der Gutleutstraße 85, bis zum 1. Eintreffen der Ermittler, dann kommt der Polizeipräsident dazu, der Gerichtsmediziner kommt dazu, alles wird sozusagen protokolliert, und eine solche Gelegenheit kriegt man nur äußerst selten.“ Seghers ermöglicht dem Leser derartige Einblicke, da er die Vorgehensweisen und Ergebnisse der Ermittler anschaulich in die Handlung einbindet und immer wieder Bezug darauf nimmt.

In „Die Akte Rosenherz“ bringt Seghers eine verschwiegene Geschichte zum Sprechen. Dafür verwebt er die Fakten um den Mord an Helga Matura geschickt mit dem erdachten Kunstraub. Dadurch erhält das Buch Tiefe, die Handlung wirkt greifbarer als die einer rein fiktiven Geschichte.

Auch die Kulissen von Seghers’ neuem Roman sind nicht erfunden. Oft lässt sich Seghers auf seinen Fahrten durch Frankfurt inspirieren, sucht nach möglichen Tatorten oder Treffpunkten der Protagonisten und überträgt sie dann in sein Werk. Detailliert und feinsinnig, aber ohne zu übertreiben, fängt Seghers Orte, Stimmungen und die Atmosphäre der Mainmetropole ein, dass der Leser glauben möchte, hier eine durch und durch wahre Geschichte vor sich zu haben.

Authentisch sind auch die Figuren: Robert Marthaler agiert gewohnt eigenbrötlerisch und dickköpfig – ein hessischer Wallander. Seine Sorge um Tereza lässt ihn zwischen Depression und Selbstmitleid balancieren, teilweise verfällt er in Lethargie. Anna Buchwald ist die ideale Ergänzung dazu: Couragiert verfolgt sie jede noch so kleine Spur und scheut auch nicht davor zurück, fehlende Informationen durch Körpereinsatz zu beschaffen. Durch ihre Ecken und Kanten wirken die Figuren lebendig und menschlich.

Die beiden unterschiedlichen Fälle nehmen den Leser von der ersten Seite an gefangen. Durch nicht vorhersehbare Wendungen wird die Spannung konstant gehalten. Und je mehr Teile des Rätsels zusammenkommen, desto tiefer wird der Leser in die Handlung hineingezogen. Er blickt hinter die Fassade der Frankfurter Gesellschaft um 1966, wird mit bizarren Vorlieben und sexuellen Praktiken, Korruption und die Angst, das Gesicht zu verlieren, konfrontiert.
Geschickt und logisch stellt Seghers die Verbindungen zwischen den Fällen her, so dass am Ende, wie schon bei Marthalers vorherigen Ermittlungen, keine Fragen offen bleiben.

Jan Seghers landet auch mit dem vierten Fall des hessischen Wallanders einen Erfolg. Und so bleibt am Ende für Autor und Kommissar nur noch eins: „Weitermachen! Was sonst?“

Titelbild

Jan Seghers: Die Akte Rosenherz. Roman.
Wunderlich Verlag, Reinbek 2010.
475 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783805208482

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