Beim Profit hört der Rassismus auf

Deon Meyer erzählt in seinem neuesten Krimi virtuos und fulminant von einer Hetzjagd durch das moderne Südafrika und baut dabei einen grandiosen Suspense auf

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Südafrika zu leben, ist nicht leicht. Nicht für die Weißen, die ehemaligen Unterdrücker und Nutznießer des Apartheid-Systems, nicht für die Schwarzen, die zwar jetzt gefördert werden, mit der Hilfe von „Gerechtigkeitsquoten“ auf höhere Posten kommen, aber auch immer noch voller Vorurteile sind. Jetzt müssen sie miteinander auskommen. Oder: Sie haben die Möglichkeit dazu.

Benny Griessel steht genau dazwischen. Seit langer Zeit wartet er auf die Beförderung zum Kaptein, die ihm eigentlich schon längst zusteht. Aber da er Alkoholiker ist, jetzt seit 156 Tagen trocken, wurde sie lange herausgezögert. Nun soll er, als einer der wenigen älteren Polizisten mit über 25 Jahren Diensterfahrung, die jungen anleiten, ihnen bei Problemen beistehen, ein Mentor sein. Aber er will sie auch nicht dominieren, will ihnen die Fälle nicht aus der Hand nehmen, will, dass sie aus Fehlern lernen. Er wird von einigen akzeptiert, von anderen nicht, von Vusumuzi Ndabeni, genannt Vusi, zum Beispiel schon, von Fransman Dekker aber nicht. Eine komplizierte Stellung.

Der mehrfach preisgekrönte südafrikanische Autor Deon Meyer hat wieder einen meisterhaften Roman geschrieben: „Dreizehn Stunden“ erzählt einen Arbeitstag eines Polizisten in einem noch nicht ganz normalen Land mit normalen und manchmal nicht ganz normalen Problemen. Um 5 Uhr 37 beginnt der Tag, als sein Telefon klingelt: Eine Leiche wurde gefunden, vor einer Kirche. Aber nicht die Leiche einer Pennerin, wie Griessel annimmt, sondern die eines jungen Mädchens, einer amerikanischen Touristin – brutal wurde ihr der Hals bis zur Luftröhre aufgeschlitzt: „Sie war weiß. Das bedeutete Ärger. Das verhieß Medienrummel. Der ganze Kreislauf der Anschuldigungen, das Verbrechen sei außer Kontrolle geraten, würde wieder von vorn anfangen. Es bedeutet großen Druck und lange Arbeitszeiten und zu viele Leute, die sich einmischen würden. Jeder würde mal wieder seine eigene Haut zu retten versuchen. Er hatte es satt bis obenhin.“ Aber dann erfahren die Polizisten, dass ein anderes Mädchen quer durch die Stadt gehetzt wird, von einer Meute Männer. Und jetzt geht es vor allem darum, diese Rachel zu retten, bevor sie geschnappt wird. Aber warum wird sie gejagt?

Ein weiterer Mord ist geschehen, an einem berühmten Musikproduzenten. Verdächtigt wird zunächst der Ehemann einer ehemals berühmten Sängerin, die ihm gestanden hatte, mit dem Produzenten geschlafen zu haben. Beide Fälle hängen am Schluss zusammen, aber auf eine Art, die man nicht erwartet hätte.

Virtuos verknüpft Meyer die beiden Mordfälle miteinander, lässt Griessel von einem Schauplatz zum nächsten hetzen, vor allem, als immer wieder Spuren des gejagten Mädchens gemeldet werden. Einmal schafft sie es, ihre Eltern in Amerika anzurufen, die den Konsul alarmieren, denn sie traut sich nicht zur Polizei: Auch die, hat sie gehört, sei darin verwickelt und hilft den Verbrechern. Einmal nimmt sie sogar Kontakt zu Griessel auf, dem sie vertraut, aber er kommt zu spät.

Die Kapitel springen zwischen den Handlungssträngen hin und her. In einem rasanten, sich steigernden Tempo, das bis zum Schluss stringent durchgehalten wird, erzählt Meyer von den Fällen und den Polizisten. Ein grandioser Suspense baut sich auf, da wir die Jagd auf das Mädchen unvermittelt und ungefiltert aus ihrer Sicht mitbekommen, ihre lebensbedrohliche Situation wird hautnah und sehr packend geschildert, eine weitere Sicht ist die der Kriminellen, die sie mal beobachten, mal aus den Augen verlieren, die mit korrupten Polizisten verhandeln und ihre kühl-brutalen Anweisungen geben.

Gleichzeitig wird aber auch die Lebenswelt der Polizisten präsentiert: Vusis hartnäckiges Bemühen um gute Arbeit und die Sympathie seines Vorgesetzten, Fransmans Leiden an der Hautfarbe, die ihn immer wieder ungerecht werden lässt und ihn Rassismus vermuten lässt, wo vielleicht gar keiner ist, Griessels Schwanken zwischen Resignation und Auflehnung und seine persönlichen Probleme mit dem Alkohol und seiner Frau, die ihn vor fünf Monaten aus dem Haus geworfen hat, weil sie es mit ihm nicht mehr aushielt: In sechs Monaten würden sie es sich neu überlegen, ob er wieder zu ihr zurückkehren kann, unter der Bedingung, dass er so lange trocken bleibt.

Und ganz nebenbei werden auch historische und politische Fakten eingebaut, so geschickt und organisch, dass man nicht das Gefühl hat, in einem Lehrbuch gelandet zu sein (wie es so vielen anderen Autoren, zum Beispiel Jeffery Deaver, immer wieder geht), sondern dass sie manchmal sogar den Suspense steigern. So in der Szene, als Rachel für kurze Zeit Unterschlupf bei einem alten Mann gefunden hat, der ihr zu essen macht, sie baden lässt: Denn da verlangsamen seine Erzählungen die Handlung, machen das kurze paradiesische Intermezzo so richtig deutlich, während man im Hinterkopf die Bedrohung aus der Sicht der Verbrecher geschildert bekommt, die das Haus des Alten längst im Visier haben. Perfekt gemacht.

Und so bekommt man von einer Gesellschaft im Umbruch erzählt, wo sich die Polizei wundert, dass Schwarze und Weiße gemeinsam ein amerikanisches Mädchen jagen, während die Kulturen sonst doch so streng getrennt sind, auch die Kulturen der Verbrecher. Aber es geht um mehr als nur um ein Mädchen, das zufällig etwas gesehen hat, was sie nicht hätte sehen sollen. Am Schluss geht es bis in die höchsten Kreise der südafrikanischen Gesellschaft. Und da ist es, wie immer, egal, mit wem man Profit macht, ob der schwarz oder weiß, Xhosa oder Buschmann ist. Der Profit steht immer und überall über dem Rassismus.

Titelbild

Deon Meyer: Dreizehn Stunden. Roman.
Übersetzt aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer.
Rütten & Loening Verlag, Berlin 2010.
470 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783352007798

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