Technik-Geschichten

Zwei Veröffentlichungen des Berliner Technik-Historikers Wolfgang König

Von Stefan HöltgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höltgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit einigem Recht könnte man behaupten, dass der Mensch sowohl phänotypisch als auch genotypisch ein technisch bestimmtes Wesen ist: Heute wird er zumeist im technisch gut ausgestatteten Krankenhaus-Kreissaal geboren und beendet sein Leben nicht selten an Apparate angeschlossen. Und auch seine Evolution scheint vornehmlich technisch flankiert zu sein, geht man davon aus, dass der große Umbruch im Neolithikum im Wesentlichen ein technischer war, der den nomadischen Menschen zu einem gemacht hat, der Ackerbau, Viehzucht und Vorratshaltung betrieb, die neue Techniken darstellten, benötigten und weitere hervorbrachten. Dass die Gesellschaften heute in enger Verbindung zu ihrer Technik stehen und teilweise existenziell auf diese angewiesen sind, wird kaum jemand ernsthaft bestreiten.

Man könnte also denken, dass diese uralte und intensive Beziehung des Menschen zu seinen Techniken ein wohl bekanntes und erforschtes Gebiet ist. Dennoch zählt die akademische Technikgeschichte zu den jüngsten Teildisziplinen der Geschichtswissenschaften und ist ebenso als Fach innerhalb technikwissenschaftlicher Disziplinen, der Ingenieursausbildung und sogar der schulischen Allgemeinbildung eher die Ausnahme als die Regel. Dies konstatiert der Berliner Technikhistoriker Wolfgang König in seinen beiden kürzlich im Stuttgarter Franz-Steiner-Verlag erschienen Büchern zur Technikgeschichte. Dass vom selben Autor aus dem selben Verlagshaus in kurzer Folge gleich zwei Bücher zum selben Thema erschienen sind, hat Methode. Im Herbst vergangenen Jahres wurde in der Reihe „Wirtschaftsgeschichte“ eine Monografie Königs zur Technikgeschichte veröffentlicht, die „eine ,Einführung in ihre Konzepte und Forschungsergebnisse’“ – so der Untertitel des Bandes – darstellt. Im Frühjahr wurde von König als Herausgeber zudem eine Anthologie zentraler technikhistorischer Texte vorgelegt, die den Wandel der Disziplin, ihre Methoden und Perspektiven in Originalbeiträgen nachzeichnet. Beide Publikationen haben einführenden Charakter, sind jedoch im Detail überaus anspruchsvoll und entfalten die Thematik ,Technikgeschichte‘ in großer Komplexität.

In den „Basistexten“ zur Technikgeschichte liefert der Autor im Vorwort eine Einführung in das Thema und eine systematisierende Übersicht über die nachfolgenden Beiträge, die in einem Zeitraum von 110 Jahren (1898-2008) erschienen sind. Es geht König in seiner Anthologie keineswegs darum, die überaus facettenreiche Technikgeschichte „erschöpfend darzustellen“, wie er schreibt, sondern „in theoretischer Absicht wirkungsgeschichtlich bedeutsame Ausprägungen historischen Denkens auf die Schwierigkeiten und möglichen Lösungen des Problems hin befragen, wie die Technik in den Geisteswissenschaften ihre Historizität gewinnt.“

Es kann in den Basistexten schon der Textsorte (einer Aufsatzsammlung) wegen also kaum um eine Ereignisgeschichte gehen, in der die Historie von Erfindungen und Produkten vorgestellt wird. Derlei Geschichten sind bereits zahlreich verfügbar (König selbst hatte zwischen 1990 und 1992 mit der fünfbändigen „Propyläen Technikgeschichte“ das für die deutsche Sprache maßgebliche Werk dieser Art veröffentlicht); es verlangt vielmehr, wie der Autor betont, einer Strukturgeschichte der Technik, womit ein turn ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Geschichtswissenschaften angesprochen ist, nach dem nicht mehr das Ereignis (also hier: das technische Artefakt), sondern seine strukturelle Beziehung zur Gesellschaft im Fokus steht: Wie wirkt sich Technik auf soziale Klassen und Schichten aus? Von welchen Kräften ist sie beeinflusst und welche beeinflusst sie? Wie steht sie im Verhältnis zum sozialen Raum, welchen Niederschlag findet sie in den Mentalitäten und so weiter?

Die jeweiligen Antworten auf diese Fragen werden in den 13 Beiträgen des Bandes auf ganz unterschiedliche Weise fokussiert und beantwortet. An ihnen zeigt sich nicht nur die methodische und perspektivische Akzentverschiebung innerhalb der technikhistorischen Forschung, sondern diese Forschung – und das könnte sozusagen als der erste von zwei Kernen beider Bücher Königs formuliert werden – wird selbst in seiner Genese dargestellt. Kurzum: Beide Bände stellen auch eine Geschichte der Technikgeschichte dar. König, der sich zuletzt vor allem mit dem Thema ,Konsumgesellschaft‘ (2008 erschien bei Steiner seine „Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft“) befasst hat, stellt dieses Konzept auch ans Ende beider Bücher; in der Anthologie, die mit seinem Aufsatz „Produktion und Konsumtion als Gegenstände der Geschichtsforschung“ endet und sich damit auch an das diesseitige (vorläufige) Ende der Geschichte der Technikgeschichte setzt, legt er damit die Begründung für die Perspektive seiner Monografie.

Diese Monografie hat allerdings weitaus deutlicher einführenden Charakter als die Anthologie. Wenngleich die Fülle an Überlegungen es schon kaum zulässt, einen vollständigen Überblick über das Buch zu bieten, sei dieser dennoch grob skizziert. Zunächst problematisiert König die Begriffe Technik und Technikgeschichte, wie sie von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen aufgegriffen wurden und werden. Das eingangs geschilderte Phänomen einer noch jungen Technikgeschichte als eigenständiger Disziplin (die sich als solche nicht zuletzt dadurch definiert, dass es Professuren für Technikgeschichte gibt – allerdings eben erst seit den 1960er-Jahren) zeigt sich hierbei in seiner ganzen Komplexität, ist Technik doch ein traditioneller Gegenstand etwa Philosophie und (natürlich) der Ingenieurswissenschaften. Dagegen ist sie in anderen Technik-, Geistes-, Natur- und Sozialwissenschaften teilweise arg unterrepräsentiert oder wird unterkomplex abgehandelt, was König am Beispiel der Politologie und Ökonomie darlegt. Einzig die Soziologie habe von je her eine enge Beziehung zum Gegenstand und untersuche diesen in seiner Beziehung zur Gesellschaft.

Die wissenschaftsgeschichtliche Einordnung des Phänomens verbindet König schon gleich hier mit der übergeordneten Fragestellung, ob sich die Disziplinen überhaupt so scharf voneinander abgrenzen lassen, wie es bislang geschieht. Wie er zeigt, lässt sich der Gegenstand „Technik“ sehr gut zur „Grenzauflösung“ von Natur- und Kulturwissenschaft nutzen, „haben es heute die Naturwissenschaften mit einer vom Menschen überformten oder umgestalteten Natur zu tun“. Die Agenda, die sich hinter dieser Grenzauflösung zeigt, offenbart den zweiten Kern beider Publikationen: Nicht nur kann die (Technik-)Geschichte metadisziplinäre Theorieangebote für die Einzelwissenschaften formulieren, sie zeigt sich auch offener gegenüber derartigen Überschreitungen. Dies scheint auch das Forschungsprogramm Königs zu bestimmen, betont dieser doch immer wieder, wie fruchtbar Ansätze sind, die die methodische und gegenständliche Grenze der jeweiligen Disziplin überschritten haben. (Schon seinem Aufsatz „Technikakzeptanz in Geschichte und Gegenwart“ des 1993 von ihm mit herausgegebenen Sammelbandes „Technik und Kultur“ schlägt er etwa vor, Technik-Fiktionen der Belletristik als Quelle zur Erforschung der Technikakzeptanz in der Kultur auszuwerten.)

Die Monografie fährt im zweiten Großkapitel mit dem fort, was König in seiner Anthologie an Originaltexten vollzogen hat: Hier stellt er diverse Theorien der Technikgeschichte vor, die sich vielfältig voneinander unterscheiden. Um ein Beispiel vom Anfang dieser Rezension aufzugreifen, das im Band behandelt wird: Wie entwickeln sich Gesellschaften und ihre Techniken aneinander? Gibt es die in letzter Zeit vermehrt im Diskurs befindliche „Ko-Evolution“ von Technik und Mensch? König stellt hier beispielsweise deterministische eher konstruktivistischen Theorien gegenüber: Bestimmt die Technik die Entwicklung der Gesellschaft und wenn ja, in welchem Grad? Oder konstruiert die Gesellschaft Technik durch Bedeutungszuschreibung? Beide Positionen weisen Verkürzungen auf. Diese werden – wie alle in der Monografie vorgestellten Theorien – anhand der Publikationen der Protagonisten, die sie vertreten haben, diskutiert.

In den beiden folgenden Großkapiteln des Bandes wird der Autor dann konkreter: Die Technik in und nach der industriellen Revolution im 19. und 20. Jahrhundert ist zunächst der „Gegenstand“. Das heißt: die hier auftauchenden technischen Gegenstände (Baumwoll-Verarbeitung, Stahl-Industrie, Transport und Kommunikation etc.) und Strukturmerkmale („industrielle Revolution“, „Globalisierung“) werden in ihrer Diskussion durch Technik-Historiker dargelegt. Zuletzt stellt Wolfgang König folgerichtig seine eigenen Überlegungen zur „Technik in der Konsumgesellschaft“ an und beschließt den Band mit der Frage, ob sich aus der Technikgeschichte lernen lasse. Hier wird nicht nur noch einmal die wichtige Institutionalisierung der Technikgeschichte in Universität und Schule angesprochen, sondern auch, ob und wie die Technikgeschichte künftige Technik- und Gesellschaftsentwicklung beeinflussen kann – also letztlich die Frage nach dem Nutzen der Disziplin. Und auch an dieser Stelle liefert König noch einmal einen übergeordneten Blick, der die im Prinzip alte Frage, ob man aus der Geschichte lernen kann, mit der Gegenfrage kontert, warum diese Frage, an die Technikgeschichte gestellt, vor allem im 20. Jahrhundert so akut geworden zu sein scheint – einer Zeit, in der die Technik so weitreichenden Einfluss auf die Gesellschaft, die Umwelt und den einzelnen Menschen bekommen hat. Beide Bücher Wolfgang Königs sind als 264-seitige Paperbacks im Franz-Steiner-Verlag erschienen, verfügen über umfangreiche Bibliografien sowie jeweils ein Namens- und Sachregister.

Titelbild

Wolfgang König (Hg.): Technikgeschichte. Basistexte.
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2009.
264 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783515093569

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Wolfgang König: Technikgeschichte. Eine Einführung in ihre Konzepte und Forschungsergebnisse.
Reihe: Wirtschafsgeschichte/Grundzüge der modernen Wirtschaftsgeschichte.
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2009.
264 Seiten, 21,00 EUR.
ISBN-13: 9783515094238

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