Curryblätter und Bürgerkrieg im Rotationsverdampfer

Martin Suters Roman „Der Koch“ ist eine Hommage an die Geschmacksnerven

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der Koch“ ist die Geschichte von Maravan, einem Tamilen, der als Flüchtling in Zürich lebt und dort als Tellerwäscher und Handlanger in einem Sternelokal sein Überleben sichern muss. Heimlich leiht er sich ein teures Küchengerät aus, um zu Hause seinem Schwarm Andrea ein aphrodisisches Menu zuzubereiten. Das Menu wirkt, die eigentlich lesbische Kellnerin Andrea verbringt die Nacht bei Maravan, doch Maravan verliert seinen Arbeitsplatz, als das Fehlen des ‚Rotationsverdampfers‘ bemerkt wird. Zusammen gründen Maravan und Andrea den Catering-Service „Love Food“ und bringen scharf gewürzte Küche zu frustrierten Ehepaaren, um deren Liebesleben anzufeuern.

Aus den Seiten scheint der intensive Geruch von Ghee, Langpfeffer, Kardamon, Zimt und Palmzucker zu steigen. Wenn Maravan Curryblätter in heißes Kokosöl wirft oder wenn in einer Pfanne Okras mit grünen Chilis, Zwiebeln, Bockshornkleesamen, rotem Chilipulver, Salz und immer wieder Curryblätter garen, umhüllt ein exotischer Duft den Leser, der in der Nase entsteht und zum Innehalten während des Lesens einlädt. Schließt man die Augen und legt das Buch kurz in den Schoß, ertappt man sich dabei, das Köcheln der Gerichte im Nebenzimmer zu erahnen. Es ist, als könnte der Leser jedes Gewürz aus den Seiten des Buches herausschmecken. „Der Koch“ ist eine Hommage an die Geschmacksnerven.

Doch die erotische Kochkunst ist nur der Vordergrund, quasi die Vorspeise des Menus, das Martin Suter serviert. Hauptgericht ist der seit 1983 schwelende Bürgerkrieg in Sri Lanka. Maravan wird von tamilischen Exilseparatisten unter Druck gesetzt, viel Geld für die Befreiungskämpfer der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) zu „spenden“. Nichtsahnend bereitet gleichzeitig „Love Food“ für einen Pakistani ein Essen zu, bei dem ein Geschäft eingefädelt wird, das die sri-lankische Armee über ein paar Umwege mit ausgedienten Schweizer Schützenpanzern versorgt. „Love Food“-Stammkunde Eric Dallmann, nutzt die Atmosphäre exklusiver Essen, um Geschäftsleute zusammenzubringen, Informationen zu sammeln und selektiv weiterzugeben, zu schweigen und zu reden und schließlich mit Prostituierten zu schlafen. Das zwielichtige, krisensichere Waffenschiebergeschäft Dallmanns übersteht die globalisierte Finanzkrise der globalisierten Welt.

Aufgedeckt werden die Geschäfte Dallmanns in Martin Suters Roman im „Freitag“, einer tatsächlich existierenden linksliberalen Wochenzeitung aus Berlin. Der „Freitag“ ist aus dem Ost-Berliner „Sonntag“ und der DKP-nahen „Volkszeitung“ hervorgegangen. 2008 vom Verleger Jakob Augstein gekauft, müht sich der „Freitag“, seine Leserschaft zu vergrößern und sich als „Meinungsmedium“ und Kritikführer Gehör zu verschaffen. Für die Erwähnung in „Der Koch“ bedankt sich der „Freitag“ in der Online-Ausgabe artig: „Der Freitag kommt ganz groß raus“, heißt es dort jubelnd. Martin Suter will zu Kritik aufrufen und wählt daher mit Absicht den „Freitag“ als Enthüllungsmedium. „Dritte-Welt-Kriege“ wie der Bürgerkrieg in Sri Lanka seien im Gegensatz zu guten Geschäften kein Thema für die „Erste Welt“, klagen die Figuren in Suters Roman an. Die Handlung des Romans endet im April 2009, kurz vor dem endgültigen militärischen Sieg der sri-lankischen Armee und dem Tod der Führungselite der LTTE. So bleibt die Anklage subtil, Martin Suter erhebt nicht den moralisierenden Zeigefinger. Nie verliert sich die Geschichte im Strudel der Finanzkrise. Die köchelnde Leichtigkeit bleibt erhalten. Diese etwas wild klingende Mischung mundet hervorragend.

Der Bestsellerautor Martin Suter verführt daher mit seinem neuen lukullischen Roman einmal mehr seine Leser. Er schafft es, dass der Appetit steigt – zusammen mit der Neugierde auf die vorgestellten verführerischen Köstlichkeiten. Welch Glück, dass das Buch über einen umfangreichen Anhang verfügt. In ihm werden Rezepte zum Nachkochen präsentiert; alle Zutaten, Mengen, Vorbereitungen und Reihenfolgen sind beschrieben, damit Maravans Zauber in die eigene Wohnung eindringen kann. Die molekulare Küche, die Bissfestes in Schaum und Rauch verwandeln kann, kann allerdings von Laien nur bedingt nachvollzogen werden. Die Faszination der Vorgänge, die – wie Suter es selbst ausdrückt – ein paar krude Rohprodukte in etwas ganz anderes verwandeln, schlägt in Resignation um, wenn für „gelierte Spargel-Ghee-Phallen“ Sud frischen Spargels im Rotationsverdampfer reduziert werden oder Stickstoff für „Espuma“ in einem Dewar-Gefäß Metalllöffel herunterkühlen muss. Dann klappt zumindest der Rezensent das Buch zu und is(s)t ein wenig enttäuscht.

Titelbild

Martin Suter: Der Koch. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2010.
311 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067392

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