Ex libris Bertolt Brecht

Erdmut Wizisla, Helgrid Streidt und Heidrun Loeper beschreiben die Berliner Nachlaßbibliothek Bertolt Brechts

Von Peter LangemeyerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Langemeyer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nun liegt es endlich vor: Das langerwartete, von Erdmut Wizisla, Helgrid Streidt und Heidrun Loeper herausgegebene Bestandsverzeichnis der Nachlassbibliothek Bertolt Brechts, die in der letzten Wohnung des Schriftstellers in Berlin, in der Chausseestraße 125 aufbewahrt wird. Mehr als 4.000 Titel umfasst der Bestand, der um Bücher ergänzt wurde, die nach dem Tod des Schriftstellers erworben werden konnten. Dabei handelte es sich um Titel aus dem Augsburger Besitz, um Bände, die Brecht 1940 in Schweden deponieren musste, und schließlich um Bücher, die er in Zürich zurückließ, wo er im November 1947 mit seiner Familie Unterkunft gefunden hatte.

Bibliotheken haben ihre Schicksale. Das gilt besonders, wenn ihre Eigentümer ins Exil gezwungen wurden. Einen großen Teil seines Besitzes musste Brecht 1933 in Berlin zurücklassen. Jeder Ortswechsel im Exil brachte neue Verluste mit sich. Erdmut Wizisla weist in seinem Vorwort auf Lücken hin. Davon konnten einige im Lauf der Zeit durch Ankäufe in Antiquariaten geschlossen werden. So erwarb das Bertolt-Brecht-Archiv vor einigen Jahren ein Exemplar der Erstausgabe von Franz Kafkas „Prozeß“. Auf das Deckelschildchen hatte Brecht seinen Namen geschrieben. Erwerbungen wie diese wurden in den Katalog jedoch nicht aufgenommen.

Bereits die Gliederung des Verzeichnisses, die systematischen Gesichtspunkten folgt, erlaubt es, erste Feststellungen zu den Interessen und Vorlieben Brechts zu machen. Einen Schwerpunkt bildet die deutschsprachige Literatur von den Anfängen bis in die Gegenwart (796 Titel, davon 118 Brecht-Titel). Unter der „Literatur anderer Sprachen“ haben dänische und schwedische Werke einen relativ hohen Anteil (50 beziehungsweise 21 Titel). Im Bereich der Fachliteratur, dem etwa die Hälfte des Bestandes zuzurechnen ist, dominieren die Gebiete „Kunst“ mit 343 Titeln, „Geschichte / Politik“ mit 302 Titeln, „Antike / Altertum“ mit 153 Titeln, „Marxismus / Leninismus“ mit 152 Titeln, „Philosophie“ mit 109 Titeln, „Literaturwissenschaft“ mit 78 und – was überraschen könnte – „Naturwissenschaften / Technik“ mit 73 Titeln. Weniger überraschend dürfte dagegen der umfangreiche Bestand an englischsprachiger Kriminalliteratur (290 Titel) sein, dem die Bände aus Brechts Sommerhaus in Buckow hinzugefügt wurden. Brechts Verhältnis zum Gelesenen war instrumentell. Dennoch hatte er einen Sinn für die gelungene handwerkliche Gestaltung eines Buches und schätzte alte Ausgaben. In seinem Besitz befanden sich Erstdrucke von Johann Gottfried Herder, Johann Wolfgang Goethe und August Wilhelm Schlegel. Die ältesten und wertvollsten Bücher sind aus dem 16. Jahrhundert.

Was hat Brecht gelesen? Welche Bücher kannte er? Wie hat er gelesen? Obwohl das Vorwort diese Fragen streift: Das Verzeichnis kann und will sie nicht beantworten. Die Bearbeiter haben auch darauf verzichtet, die in Brechts Schriften erwähnten Buchtitel aufzunehmen. Man mag das bedauern, doch hätte eine solche Ergänzung vermutlich nicht nur den verfügbaren Umfang gesprengt, sondern auch die Fertigstellung des Verzeichnisses weiter verzögert. Der überlieferte Bestand dokumentiert nur einen Bruchteil der von Brecht gelesenen Bücher. Bereits das Beispiel Kafka, dessen Name im Katalog kein einziges Mal auftaucht, zeigt, dass man mit Schlussfolgerungen auf der Grundlage des Verzeichnisses vorsichtig sein muss. Dennoch gewährt die Liste interessante Aufschlüsse über Brechts Kenntnisse und über seine Arbeitsweise. Die Titelkommentare informieren nicht nur über die vollständigen bibliografischen Angaben, über Erwerbsdaten, Besitzvermerke und Widmungen, sondern auch über An- und Unterstreichungen, Randbemerkungen und Beilagen, die sich in zahlreichen Bänden fanden.

So erfährt man etwa aus einem Bearbeitungsvermerk zu Samuel Becketts „Warten auf Godot“, wie Brecht den Figuren ein soziales Profil geben wollte: „Estragon, ein Prolet / Wladimir, ein Intellektueller / Lucky, ein Esel oder Polizist / von Pozzo, ein Gutsbesitzer“. Mit Erstaunen liest man in den Kommentaren zur „Poetik“ des Aristoteles, Gotthold Ephraim Lessing habe „mit recht“ „die in der POETIK des A. aufgestellten lehrsätze für so unfehlbar gehalten wie die elemente des EUKLID. die herrschaft beider doktrinen erstreckt sich über 2 jahrtausende und für bestimmte funktionen haben die lehrsätze heute noch gültigkeit.“ Auch im weiteren reizte ihn das Urteil des Herausgebers zum Widerspruch: Aristoteles sei keineswegs ein „ent[t]hronter gesetzgeber“, kritisierte er: „die eigentliche bedeutung seiner gesetze geht der wissenschaft noch gar nicht auf, so sehr herrschen sie!“ Mit Bewunderung registriert man das intensive Studium der Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels, und amüsiert nimmt man die spöttische Notiz aus der Studienzeit über George Bernard Shaws Komödie „Der Mann des Schicksals“ zur Kenntnis: „Der kleine Bernhard findet seine Zinnsoldaten zu klein.“

Die zeitaufwendige, akribische Arbeit des Bertolt-Brecht-Archivs hat sich gelohnt. Das Verzeichnis, das durch mehrere Register erschlossen wird, stellt eine imponierende Leistung dar, von der die Forschung ohne Zweifel profitieren wird.

Titelbild

Bertolt-Brecht-Archiv (Hg.): Die Bibliothek Bertolt Brechts. Ein kommentiertes Verzeichnis.
Bearbeitet von Erdmut Wizisla, Helgrid Streidt und Heidrun Loeper.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
593 Seiten, 51,00 EUR.
ISBN-13: 9783518409763

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