Der Hüne tritt ab von der Bühne

Philip Roth hat mit seinem Roman „Die Demütigung“ nachdrücklich seinen Anspruch auf den Nobelpreis unterstrichen

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Er hatte seinen Zauber verloren. Der Impuls war erloschen.“ So beginnt der bedeutende amerikanische Autor Philip Roth seinen neuen, novellistisch zugespitzten Roman „Die Demütigung“, in dessen Mittelpunkt ein in die Jahre gekommener Schauspieler steht. Der gefeierte Bühnenstar Simon Axler, der die großen Rollen in den Stücken von William Shakespeare, Henrik Ibsen und Anton Pawlowitsch Tschechow spielte, hat die Sechzig überschritten, als er plötzlich feststellt: Es geht nicht mehr. Von einem Tag auf den anderen kann er nicht mehr spielen, wird von Panikattacken, Albträumen und schlimmen Rückenschmerzen heimgesucht. Seine Frau, eine arbeitslose Tänzerin, hat ihn verlassen. Der hünenhafte Simon pendelt zwischen Todestrieb („Selbstmord ist die Rolle, die man für sich selber schreibt“) und Lebenssehnsucht; er ist zum hoffnungslosen Verlierer geworden, wird von Kollegen und Freunden bemitleidet. Wohl das schlimmste, was einer empfindlichen Künstlerseele passieren kann. „Der Schmerz war furchtbar, und doch bezweifelte er seine Echtheit, was das Ganze nur um so schlimmer machte.“ Simon Axlers größtes Problem: Er sieht auf sich und sein Leben, als wäre alles eine Fiktion, eine Inszenierung für die Bühne.

Mit dem inzwischen 77-jährigen Roth sind im Laufe der Jahre auch die Figuren zusehends gealtert. „Das Alter ist keine Schlacht, das Alter ist ein Massaker“, hieß es im 2006 erschienenen „Jedermann“. Mit gnadenloser Schärfe und großer medizinischer Präzision beschrieb er darin den körperlichen Verfall seines Protagonisten. Genau jene Erfahrungen machte auch der von Inkontinenz und Gedächtnislücken geplagte Zuckerman in „Exit Ghost“ (2008). Und nun als Fortsetzung des altersbedingten Verfallsprozesses der erfolgreiche Schauspieler, dem die Bühne abrupt zur Obsession wird und der sich freiwillig für einen knappen Monat in die Psychiatrie begibt.

Dort lernt er in der Therapie eine junge Frau kennen, die behauptet, dass ihr Mann ihre achtjährige Tochter missbraucht hätte. Zunächst denkt man, dass Roth sich diesen nicht handlungstragenden Schlenker hätte sparen können, doch peu à peu erschließen sich Analogien zu Axlers weiterem Lebensweg – zu der tödlichen Mischung aus Macht, Sex und Gewalt.

Nach Beendigung seiner Therapie begegnet Axler der Tochter eines Schauspielerkollegen. Mehr als zwanzig Jahre hat Simon jene Pegeen nicht mehr gesehen, in seiner Erinnerung ist sie noch die junge Studentin, die ihre Eltern mit ihrem Bekenntnis zur lesbischen Liebe schockiert hat. Plötzlich lodern zwischen diesen beiden so ungleichen Figuren die Flammen der Begierde auf. Simon glaubt, noch einmal das Gefühl der großen Liebe in sich geweckt zu haben. Roth lässt seinen Protagonisten richtig aufleben, befreit ihn von allen physischen und psychischen Qualen, gönnt ihm noch ein Jahr jugendliche Vitalität, ehe er den Handlungsknoten platzen und seinen Protagonisten von der Lebensbühne abtreten lässt.

Die Dozentin Pegeen, „eine geschmeidige, vollbrüstige Frau von vierzig“, hat – wie auch Simon – demütigende Erfahrungen einstecken müssen. Sie war 17 Jahre mit einer Lehrerin liiert, die sich dann entschlossen hatte, sich einen Bart wachsen zu lassen und das Geschlecht zu wechseln.

Roths ausschweifende Beschreibungen des stürmischen Bettgetümmels des Paares (es geht bis zum „Dreier“ mit einer betrunkenen Thekenbekanntschaft) überschreiten hier und da die Grenzen des „guten Geschmacks“, doch eigentlich verbirgt sich hinter dem Hardcore-Sex von Simon und Peegen ein knallhartes Duell. Es geht um Macht und Demütigung, um Täuschung und Domestizierung.

Pegeen entpuppt sich am Ende als kühl-kalkulierende Figur, die dem Bühnengreis vorspielt, dass er als Mann noch die Fähigkeiten besitzt, die ihm als Schauspieler abhanden gekommen sind – die des Magiers, der eine „Lesbe umpolen“ kann. Doch zwischen Simon und Pegeen sah es tatsächlich ganz anders aus: „In Wirklichkeit war sie diejenige, die ihn vollständig unter Kontrolle hatte, die ihn ergriffen und übernommen hatte.“

Die neuerliche Demütigung mündet geradewegs in einem dramatischen Finale. Simon wird von einer Putzfrau tot auf dem Speicher aufgefunden – neben ihm ein Zettel mit dem Hinweis auf Tschechows Bühnenfigur Konstantin Gawrilowitsch aus der „Möwe“. Trotz des finalen Freitods wollte Tschechow die „Möwe“ als Komödie sehen, Roths „Demütigung“ hingegen ist eine große Tragödie in Prosa – schonungslos und radikal. Mit diesem schmalen (und doch so großen) Roman hat Roth noch einmal nachdrücklich seinen Anspruch auf den Nobelpreis angemeldet.

Titelbild

Philip Roth: Die Demütigung. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren.
Carl Hanser Verlag, München 2010.
144 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783446234932

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