Mädchenmörder, Nazizögling

Ingrid Hedström verbindet in „Die toten Mädchen von Villette“ die Vergangenheit mit der Gegenwart

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Rande eines groß angelegten Promotionsevents, mit dem die belgische Stadt Villette sich als Kulturhauptstadt Europas zu bewerben versucht, werden drei junge Mädchen ermordet. Das Verbrechen, das zuerst einem eben aus einem Auslandseinsatz zurückgekehrten und offensichtlich unter den Erlebnissen leidenden Soldaten zugeschrieben wird, entpuppt sich nach kurzem jedoch als Tat eines Serienkillers, der bereits seit Jahrzehnten seine Opfer gesucht und gefunden hat. Unentdeckt, weil niemand den Zusammenhang zwischen den Taten herstellen könnte, die an verschiedenen Orten und zum Teil mit großen zeitlichen Abstand verübt wurden.

Dabei ist die Drapierung der Leichen, vor allem jedoch die einer der Mädchen auffällig genug. Aber erst der Zufall macht die ganze Tragweite des Verbrechens deutlich. Ein zufällig anwesender älterer Kollege erinnert sich an einen zehn Jahre alten Fall im selben Ort. Und damit beginnt die Geschichte.

Es dauert nicht lange, bis sich der Verdacht erhärtet, keiner der Einheimischen könne der Mörder sein, sondern einer der vielen Gäste, die Villette aufgrund einer alljährlichen Prozession besucht haben, an die der Ort seine Promotionsbemühungen geknüpft hat. Denn alle Taten wurden am Rande von politischen oder gesellschaftlichen Großereignissen verübt. Nicht also der böse Bube, sondern jemand aus dem internationalen Tross, der von Event zu Event zieht, muss der Täter sein.

Nun wäre eine solche Ermittlung für einen Krimi skandinavischer Provenienz in der Regel zu wenig – und Ingrid Hedström ist Schwedin, wenngleich mit hinreichend guten Belgienerfahrungen, arbeitete sie doch vier Jahre in Brüssel als Korrespondentin einer schwedischen Zeitung.

Um die Sache also komplexer zu machen, mischt Hedström nicht nur die üblichen lebensweltlichen Zutaten in das Krimigebräu. Sie baut auch einen zweiten Erzählstrang ein, der als Erzählung über die Ursachen der Verbrechensserie angelegt ist.

In diesem Erzählstrang geht es um die Geschichte der Mutter der mit dem Fall betrauten Untersuchungsrichterin, die einige Zeit im nationalsozialistischen Konzentrationslager verbracht hat. Ihre enge Freundin ist von dort nicht zurückgekehrt. Ein weitreichendes, prägendes Ereignis, hinter dem immer noch die Frage steht, wer die beiden Frauen denunziert hat und sich für den Tod der einen verantworten muss.

Im Verdacht steht der Repräsentant einer nazistischen Bewegung der 1930er-Jahre, der aber nach dem Krieg hingerichtet wurde. Und auch das wäre wiederum zu einfach, würde zudem weder erklären, warum gleich zu Beginn des Romans ein Mord im nicht allzu fernen Brüssel geschieht, noch wie sich die beiden Handlungsstränge verbinden lassen. Denn ein toter belgischer Ex-Nazi eignet sich nicht zum Serienmörder der Nachkriegsjahrzehnte.

Selbstverständlich gibt es dafür auch eine Lösung, selbstverständlich hängt diese Lösung mit Verletzlichkeiten und Verletzungen zusammen, die nicht verwunden wurden, naheliegend ist diese Lösung auch keine Auflösung aller Verstrickungen, sondern zeigt auch nur wieder, dass Gewalt immer wieder nur Gewalt erzeugt.

In diesem Fall ist es die Erziehungsgewalt eines vitalistischen und chauvinistischen Vaters, der seinen Sohn nach seinem Rollenbild erziehen will, in dem Zuneigung und Zuwendung keine Bedeutung haben. Die Moral von der Geschichte also: Alle Serienmörder sind Söhne von Altnazis(?). Naja.

Das wäre vielleicht dann doch etwas kurzschlüssig und es ist anzunehmen, dass Hedström nur so etwas versucht hat, wie die Wirkung der Vergangenheit auf die Gegenwart darzustellen, und das auf mörderische Weise.

Allerdings zeigt ein solcher Hinweis dann doch auch die Schwächen des Textes, der eben als leidlich unterhaltsame Krimikost der gehobenen Art daherkommt. Nicht mehr und nicht weniger. Das Politische ist zur Standardausstattung verkommen, die Querelen und Mühen der Untersuchungsrichterin, die unter den Anfechtungen der Institution, in der sie arbeitet, leidet, lassen sich unter der Rubrik: Keiner hats leicht, egal, was er/sie tut, ablegen. Selbst das psychologische Profil des Serienmörders ist ein wenig schablonenhaft geraten, was allerdings angesichts dessen, dass Hedström dem Trend eher hinterherläuft, als ihn zu prägen, kaum wundern kann. Mit anderen Worten, man kann das lesen, ohne sich zu langweilen. Und was will man mehr? Vielleicht ein bisschen mehr oder weniger?

Titelbild

Ingrid Hedström: Die toten Mädchen von Villette. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Angelika Gundlach.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
399 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783518461280

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