Eine ungewöhnliche Freundschaft

Der Briefwechsel zwischen Walter Rathenau und Wilhelm Schwaner dokumentiert eine „Freundschaft im Widerspruch“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Walter Rathenau, 1867 als Sohn des AEG-Gründers Emil Rathenau geboren, war Industrieller, Schriftsteller und Politiker. Die komplexe Vielfalt seiner Interessen und Aktivitäten, so erinnerte sich der Publizist Sebastian Haffner, schuf einen einmaligen „Persönlichkeitszauber“, der auf die Zeitgenossen eine ungewöhnliche Anziehungskraft ausübte. Doch diese Anziehungskraft war zwiespältig. Während für die einen Rathenau nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg ein Hoffnungsträger war, der mit Kompetenz, Geschick und Weltläufigkeit die junge Republik wieder zu einem gleichberechtigten Partner in der Völkergemeinschaft hätte machen können, war für die anderen „der Jude“ Rathenau schlicht ein Verräter. Als Rathenau am 24. Juni 1922, inzwischen Außenminister der Republik, von Mitgliedern der rechtsradikalen „Organisation Consul“ ermordet wurde, stand dieser Mord am Ende einer hasserfüllten Feindschaft, mit welcher völkische Kreise Rathenau bereits seit Jahren verfolgt hatten.

Ausgerechnet zu diesen Kreisen gehörte auch Wilhelm Schwaner. Vier Jahre älter als Rathenau war der ehemalige Volksschullehrer zunächst mit reformerischen Gedanken zur Erwachsenenbildung hervorgetreten. Gefolgschaft in völkischen Kreisen fand Schwaner mit seiner Idee eines überkonfessionellen und undogmatischen Christentums auf nationaler, will sagen: germanischer Grundlage. Ihr Organ war Schwaners 1897 erstmals erschienene Zeitschrift „Der Volkserzieher“. Hier mischten sich die reformerischen Ansätze mit dem typisch völkisch-germanischen Religions- und Ideologiewahn jener Jahre, zu dem auch bei Schwaner zunächst ein aggressiver Antisemitismus gehörte.

Umso erstaunlicher, dass es zwischen dem Weltbürger Rathenau und dem völkischen Schwaner zu einer Freundschaft kommen konnte, die der vorliegende Briefwechsel dokumentiert. Den ersten Kontakt schuf Schwaner. Er hatte Rathenaus 1912 erschienene Schrift „Zur Kritik der Zeit“ gelesen und schrieb ihm daraufhin am 3. Dezember 1913: „Ich las und las und – wie Schuppen fiel mirs von den Augen … ich muß es Ihnen sagen: Der ,dunkle‘ Jude hat den blaublonden Germanen erlöst! […] wir sind Brüder auf dem Wege zur Menschheit, zur Gottmenschheit!“ Rathenau reagierte positiv auf diesen, wie er antwortete, „guten und männlichen Brief“. Bald kam es zu einer direkten Begegnung zwischen beiden und in den nachfolgenden Briefen schrieb man sich als „Freund und Bruder“.

Über insbesondere Rathenaus Motive für die nun einsetzende Freundschaft wurde vielfach spekuliert. War die Freundschaft Ausdruck einer verborgenen (oder gar offenen) homosexuellen Beziehung? Spielte das psychologische Moment des ,jüdischen Selbsthasses’ bei Rathenau eine Rolle? Über diese Interpretationen informieren die Herausgeber in einer Einleitung mit dem Ziel, Schwaners Anteil an der Freundschaftsbeziehung neu zu bewerten.

Für Schwaner hatte seine Begegnung mit Rathenau Folgen. Er wandte sich ab vom hasserfüllten Antisemitismus seiner völkischen Gesinnungsfreunde – ohne sich freilich von einem diffusen zeitgeistigem Rassenverständnis in gleicher Weise abzuwenden. Dies und seine Begeisterung für Rathenau brachte ihm erhebliche Gegnerschaft in der völkischen Gemeinschaft ein. So berichten denn auch die Briefe Schwaners immer wieder von den Anfeindungen, denen er und Rathenau ausgesetzt waren. Sehr viel Wert aber legte Schwaner darauf, dem Freund zu verdeutlichen, dass er sich durch dergleichen Anfeindungen nicht beeinflussen lassen wollte: „Mögen sie mich beschimpfen,“ schrieb er beispielsweise am 29. Mai 1917, „verleumden und verdächtigen; aber ich ertrage es nicht, wenn sie mir den Freund herabziehen. Dann werde ich zornig und haue drein wie in alt Eisen“.

Möglich, dass ein derartiges Einstehen in diesem Milieu für den Anderen, Rathenau beeindruckte. Seine Briefe an Schwaner sind jedenfalls in einem intensiven freundschaftlichen Ton verfasst. Das wird besonders deutlich in den wenigen Briefen, in denen sich Rathenau unmittelbar mit Schwaners Ideenwelt auseinandersetzt. Dessen nach wie vor auf pseudowissenschaftlichen Rassentheorien gründende Germanensehnsucht konnte für den weltgewandten Rationalisten Rathenau kein ernsthaftes Thema sein. Wohl aber der dieses Denken antreibende schwärmerisch-idealistische Impuls einer zum Besseren ,aufzuhebenden’ Menschheit. Es ist anrührend zu lesen, wie einfühlsam der „klügere“ Rathenau die unausgegorenen Theorien seines Freundes zurückweist, indes seinen Idealismus stützt und so das Band zwischen ihnen trotz aller Kritik doch festigt. So weist er beispielsweise Weihnachten 1914 politisch dubiose Überlegungen Schwaners zu mehr Vorrechten für die Herrschenden zurück und ,beruhigt’ zugleich den Freund: „Erschrick nicht, ich bin kein Republikaner und nicht einmal Demokrat. Ich glaube aber an die Herrschaft des Geistes und weiss, dass bei uns der Geist nur selten und durch Zufall herrscht.“

So wirkt in diesem Briefwechsel Rathenaus einfühlsame Intellektualität, sein politischer Realitätssinn auf die pseudowissenschaftlichen Theorien Schwaners gewissermaßen politisch bildend. Rathenau „erdet“ die idealistischen Motive, womöglich in der Hoffnung, damit ein Modell der Annäherung zwischen den Lagern zu erproben. Mit Schwaner trug die Freundschaft diese Hoffnung. Über ihn hinaus aber blieben weite Teile der völkischen Bewegung hasserfüllt gegen Rathenau und das Politikverständnis, für das er stand. Verfangen in ihren Vorurteilen gegen das Politische und ihrer diffusen rückwärtsgewandten Germanenseligkeit leisteten die Völkischen ihren Beitrag zum Untergang der Republik. Nicht so Schwaner: Er bekannte sich 1926, vier Jahre nach Rathenaus Tod, in seinem „Volkserzieher“ zur Weimarer Republik.

Titelbild

Walther Rathenau / Birgit Schwaner: Eine Freundschaft im Widerspruch. Der Briefwechsel 1913-1922.
Herausgegeben von Gregor Hufenreuter und Christoph Knüppel.
vbb Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2008.
305 Seiten, 26,95 EUR.
ISBN-13: 9783866502710

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