Die Veredelung des Menschen

Das 20. Jahrbuch des „Forums Hamburger Autoren“ gibt Einblicke in die Lyrik, Kurzprosa und Romane seiner Mitglieder

Von Nils KasperRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nils Kasper

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Yip. Veredelung des Menschen. Entschuldigung, was schmunzeln Sie da?“ So lässt Nils Mohl seinen fiktiven Dialog mit einem Schriftsteller ausklingen, der – die Einwürfe des Gegenüber konsequent aussparend – in schöner Anmaßung eine Lanze bricht für die poetische Macht der Sprache und dabei Anleihen bei allerlei hochgestimmten künstlerischen Positionen nimmt, unter denen auch die Friedrich Schillers nicht fehlen darf. Offen bleibt indessen der Ironiehaushalt in diesen delegierten Bekenntnissen zu einer ästhetizistischen Kunstauffassung. Das ist kennzeichnend für die Beiträge dieser Anthologie, welche allesamt in einem Spiel von Distanzierung und Provokation das schriftstellerische Selbstverständnis zum Thema haben. Und – darüber hinausweisend – ist dies vielleicht symptomatisch für die prekäre Situation jenes Schriftstellers, der nicht mehr als Popliterat verstanden werden will, und sich nun, nach aller spektakulären, inzwischen ritualisierten Entzauberung seines Handwerks, umsieht nach den Resten einer Metaphysik der Kunst, welche ihm gestatten würde, sein Tun wieder mit Ernsthaftigkeit zu betreiben.

Die List der Vernunft ist es jedoch, die daran hindert, unverstellt Position zu beziehen. Die Angst vor der Pose à la „Tristesse Royale“ – jenem vielgescholtenen Manifest der Popliteratur – verbietet hier einen unbefangenen Umgang mit dem Thema und erzwingt den Rückzug auf den doppelten Boden der Ironie. Die meisten der versammelten Texte sind deshalb durchzogen von einem uneingestandenen Verhältnis zum literarischen Schaffen, woraus den Autoren der Vorwurf gemacht werden könnte, ihr Thema verfehlt zu haben. Nun handelt es sich aber nicht um Schulaufsätze, sondern um Literatur, und das Abschweifen ist durchaus willkommen. In dieser Hinsicht sind die präsentierten Texte äußerst vielfältig.

Martin Felder und Paula Coulin erzählen vom Verschwinden des Schreibers in der Schrift und nehmen damit einen schönen Umweg um die Frage nach dem Selbstverständnis des Schriftstellers. Felder stellt seinen Protagonisten vor die Aufgabe, einen Auftragstext über das Schreiben zu verfassen. Dem fällt dann auch prompt nichts Dienliches mehr ein. Stattdessen denkt er in der Badewanne liegend über seinen möglichen Tod nach, fragt den „Künstlernachbarn“ wegen des Schreibauftrags um Rat, um sich schließlich von einem Eichhörnchen den Wunsch auszubitten, im nächsten Leben als Vogel wiederzukehren. Ein Text bleibt ungeschrieben und ein Vogel bereitet sich zum Flug. Es sind diese knappen Bilder, welche der Erzählung lyrische Dichte und zuweilen hintergründige Komik verleihen.

Coulin begibt sich auf die Reise durch eine indische Großstadt, die sich mit ihren Spiegeln, Schildern, Drähten und hektischen Taxifahrern in der Sonnenhitze zu einer dunstigen Atmosphäre verdichtet. Die Protagonistin drohte im Gewühl der Metropole verloren zu gehen, wäre da nicht ihre Gefährtin Bessie, mit der sie sich im stillen Einvernehmen auf den Weg macht in eins der Cafés, in denen es so europäisch temperiert, so glatt und gesittet zugeht, und das mit seinen schalldicht verglasten Fenstern ihr das Treiben da draußen vom Leib hält. Eine Tasse Milchkaffee bereitet ihre Wandlung vor und lässt sie schließlich in der stillen Ordnung, die sich nun zwischen dem Gewirr der Stadt abzuzeichnen beginnt, verschwinden.

Auch die Figur Andreas Münzners ist vom genius loci des Cafés erfasst. Der Autor lässt in „keine Geschichten, bitte“ seinen Helden, von Lektüreerlebnissen durch den Tag verfolgt, jenen Fäden nachspüren, die die Fantasie ihm durch den Alltag windet und ihn gelegentlich in amüsante Begebenheiten verstrickt. Dieser kleine Text kann als ironischer Selbstkommentar eines Schriftstellers gelesen werden, dem beständig ein Erzählzwang in die Wahrnehmung funkt und noch die disparatesten Erlebnisse wie von selbst und wider Willen zu Geschichten spinnt.

Sigrid Behrens nähert sich von anderer Seite dem Thema. Sie schildert jene Situation, welche sie zum Schreiben bringt: Alleinsein, der Blick durchs Fenster in die Ferne, Schreibzeug. „Drei gute Dinge“, grundiert von Klarheit, Langsamkeit und Konzentration – eine Stimmung, die in den Text selbst übergeht und dessen poetischen Wert ausmacht.

Der Schreibtisch unter dem Fenster ist auch für Oskar Sodux der bevorzugte Arbeitsplatz des Dichters, an dem die Welt jenseits der Glasfront herbeigeschrieben wird. In dieser kurzen Erzählung ist dies die überschaubare Welt des etwas verwilderten Vorgartens, in dem bald schon „Fricke“ erscheint – ein Störenfried in Gärtnermontur – und den Schreiber zur Unterbrechung seiner Arbeit auffordert. Man sei verabredet zur gemeinsamen Arbeit im Freien. Es entspinnt sich ein amüsanter Dialog zwischen beiden, in dem der Schreiber seiner Figur aufmunternd zuredet und gleichzeitig seine Charakterstudie verfasst. Reizvoll ist dieser Text deshalb, weil er mit wenigen Mitteln dem originellen Einfall Wirkung verleiht.

Etwas angestrengt wirkt dagegen der Prosatext „container“ von Nicolai Kobus, der sich in der Beschreibung einer Hafenlandschaft zu einem endlosen Gehäkel vage assoziierter Details auswächst und in seiner atemlosen Diktion an geläufige Slam-Poetry erinnert. Daran wäre nun nichts zu beanstanden, wenn nicht eben der Bezug zum Dargestellten völlig unklar bliebe.

Mit dieser Jahresanthologie eröffnet das „Forum Hamburger Autoren“ Einblicke in die Lyrik, Kurzprosa und Roman seiner Mitglieder. Aus den Reihen dieser Gruppe, die bereits seit 1989 unter wechselnder Besetzung in Hamburg besteht, sind einige Schriftsteller hervorgegangen, die inzwischen auch überregional Anerkennung fanden. Zum Glück sind die versammelten Texte längst nicht so bemüht, wie es das Geleitwort, in dem den Autoren „Kampfkraft gegenüber dem Literaturbetrieb“ gewünscht wird, zunächst vermuten lässt. Prägnanz und sprachliche Genauigkeit der beigetragenen Arbeiten bereiten eine unterhaltsame Lektüre, die auch in der Wiederholung noch fasziniert.

Titelbild

Sigrid Behrens / Nils Mohl / Andreas Münzner / Gunna Wendt / Wolfgang Schömel: Schreiben, das geht, aber Lesen, das halte ich nicht aus. Forum Hamburger Autoren.
Textem Verlag, Hamburg 2009.
128 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783941613102

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