Die Station ist der reinste Alptraum

Josh Bazell unterhält mit seinem Krimi „Schneller als der Tod“ aufs Beste

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Arzt zu werden, war immer sein größter Traum. Endlich konnte Peter Brown ihn sich erfüllen. Jetzt arbeitet er als Assistenzarzt in der Inneren Medizin im großen Manhattan Catholic Hospital in New York und kennt sich aus mit der menschlichen Anatomie. Zum Beispiel weiß er, was passiert, wenn er dem Dödel, der ihn ausrauben will, auf die Kehle schlägt: „Trifft sie, wird sie die empfindlichen Knorpelspangen zerstören, die die Wand der Luftröhre versteifen. Wenn er dann das nächste Mal einatmet, verschließt sich die Luftröhre wie ein After und ihm verbleiben vielleicht noch sechs Minuten, bis ihn der Schnitter holt. Selbst, wenn ich bei dem Versuch, ihm einen Luftröhrenschnitt zu machen, meinen Propulsatilkuli ruiniere.“ Also haut er ihm auf die Nase: „Die gibt nach wie nasser Lehm. Nasser Lehm mit Zweigen drin. Der Dödel knallt bewusstlos auf den Gehsteig.“ Und dann, er ist ja schließlich Arzt, versorgt er ihn: „Ich drehe den Dödel auf die Seite, damit er nicht erstickt, und lege ihm den nicht gebrochenen Arm unter den Kopf, damit sein Gesicht vor dem eisigen Pflaster geschützt ist. Dann prüfe ich, ob er noch atmet. Er blubbert direkt vor Lebensfreude.“

So flott, witzig, und mit einem zynischen Einschlag beginnt der Roman von Josh Bazell. Da sprüht es nur so von komischen Kommentaren über Pharmavertreterinnen und Assistenzärzte: „‚Die Station ist der reinste Albtraum‘, sagte Akfal, der andere Assi in meinem Team, als ich ihn endlich ablösen komme. Was den Zivilisten ihr ‚Hallo‘, ist den Assistenzärzten ihr ‚Die Station ist der reinste Albtraum.‘“

Aber dann erlebt der Ich-Erzähler Dr. Peter Brown seinen eigenen Alptraum. Als er nämlich in das Zimmer eines Patienten kommt, der ihn von früher her kennt: als Mafia-Killer Pietro Brnwa, der sich mit Hilfe eines Zeugenschutzprogramm von seiner Vergangenheit entfernt hat. So etwas hat natürlich die „Familie“ nicht gerne, also ist die Jagd eröffnet. Und zwar schnell. Denn die modernen Kommunikationsmittel sind nicht nur ein Segen, sondern sie lassen auch den Tod schneller kommen.

Das ist fast schon eine normale Geschichte. Aber wie Bazell sie erzählt, ist alles andere als normal. Das beginnt bei den vielen Fußnoten, in denen er manche Sachverhalte erklärt. Zum Beispiel Tibia und Fibula, die beiden Unterschenkelknochen. Oder den Unterschied zwischen dem geflügelten Stab mit zwei Schlangen (steht für Hermes und damit für den Handel) und dem ungeflügelten Stab mit nur einer Schlange (steht für Äskulap). Oder warum er sich Peter Brown nennt (nach dem Song „The Ballad of John and Yoko“, in der die Zeilen vorkommen: „Peter Brown called to say / You can make it O.K. / You can get married in Gibraltar near Spain.“ Denn Peter Brown war der „am längsten für die Band aktive Roadie der Beatles“.)

Sein Sarkasmus macht vor nichts halt. Auch nicht vor den Moribunden: „Mr. LoBrutto? Anruf für Sie auf Leitung eins. Gesagt hat er’s nicht, aber es hat sich angehört, als wär’s der Schnitter.“ Selbst nicht, als er quer durch das Krankenhaus gejagt wird, denn er hat ja noch seine Patienten. Er ist gerne Arzt. Und vor allem ist da diese junge Frau, der ein Bein amputiert werden soll. Als sich Brown fast gerettet hat, fällt ihm noch eine andere Diagnose ein, mit der ihr das Bein erhalten bleiben kann. Und deswegen kehrt er noch mal um.

Es ist ein wunderbar böses und zärtliches Buch, brutal und liebevoll, sachlich und kitschig, ernst und satirisch, realistisch und parodistisch zugleich.

Titelbild

Josh Bazell: Schneller als der Tod. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
304 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783100039125

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