Wiedergutmachungshistorie mit starken ideologischen Untertönen

Über Stefanie Michels Studie „Schwarze deutsche Kolonialsoldaten“

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schwarz-Weiß-Denken, das wisse schon der Volksmund, nehme eine bunte Realität allzu vereinfachend wahr. In dieser Farbsymbolik, so beklagt die Autorin und Afrikaforscherin an der Universität Frankfurt Stefanie Michels, stehe implizit das Schwarze für das „Negative, Unangenehme, Unerfreuliche“ und das Weiße für das „Positive, Reine, Angenehme“. So habe dann auch die von Europa ausgehende Jahrhunderte lange Exklusion von Menschen anhand rassischer Kriterien durch Sklaverei, Kolonialismus und Völkermord diese konstruierten Zuschreibungen zu tatsächlich gefühlten und erlebten Herrschaftsverhältnissen werden lassen. Dieses angeblich auch heute noch wirksame Forschungsparadigma verstelle aber nach Ansicht der Verfasserin den Blick auf eine Geschichte und Vorgeschichte des afrikanischen Kolonialismus, in denen die Verhältnisse der wesentlichen Akteure erheblich facettenreicher gestaltet waren als bisher angenommen.

Michels möchte daher einen Forschungsansatz wählen, der von den lokalen Gegebenheiten ausgeht, wie sie sich in den Rollen von afrikanischen Kontraktarbeitern, lokalen Autoritäten oder vorkolonialen Söldnern widerspiegeln und damit zu einer Dekonstruktion herkömmlicher, eurozentrischer Interpretationsmuster beitragen. Abgesehen von dem unverkennbaren ideologischen Beigeschmack einer Art Wiedergutmachungshistorie, die angebliche hegemoniale oder weiße Allmachts- und Überlegenheitsfantasien überwinden soll, verspricht diese Vorgehensweise durchaus neue Erkenntnisse. Der Autorin gelingt es dann auch mit einiger Plausibilität das Bild eines vorkolonialen kosmopolitischen Netzwerkes im atlantischen Raum zu entwerfen, in dem zahlreiche Akteure verschiedenster Provenienz mit hoher Mobilität auf zumeist gleicher Augenhöhe miteinander agierten. So waren Westafrikaner, die man allgemein als Kru – abgeleitet von dem englischen „Crew“ – bezeichnete, schon seit dem 18. Jahrhundert begehrte und selbstbewusste Seeleute. Sie dienten auf zahlreichen europäischen Seglern und selbst auf Schiffen der deutschen Kriegsmarine, wobei sich ihre Uniformen, anders als bei den späteren Kolonialsoldaten, kaum von denen der übrigen Besatzung unterschieden. In Ostafrika wiederum waren die Wanyamwezi ebenfalls eine Berufsgruppe, die von den späteren Kolonialherren jedoch als ethnische Gruppe missverstanden wurde. Sie galten als besonders zuverlässiges Karawanenpersonal, das sehr gesucht war und deswegen auch eine höhere Vergütung beanspruchen konnte. Eine afrikanische Idylle, wie es Michels Text suggeriert, hat es jedoch im vorkolonialen Raum gleichwohl nie gegeben.

Dass die von der Autorin so euphemistisch beschriebenen offenen, kosmopolitischen Räume erst von den späteren Kolonialherren in nationale Zonen gebrochen worden seien, ist aber letztlich nur ein neuer Mythos, der schlichtweg bestreitet, dass die afrikanische Welt von jeher in ein System brutaler Kriegsökonomien zersplittert war, in der die Menschenjagd ein konstitutiver Erwerbszweig für die dominierenden Warlords war. Auch vor den Europäern hat es in Afrika schon eine lange Tradition des Sklavenhandels gegeben, in der eben die Afrikaner selbst die maßgebliche Rolle spielten. Der transatlantische Sklavenhandel des 17. und 18. Jahrhunderts wäre ohne die Mitwirkung afrikanischer Potentaten überhaupt nicht möglich gewesen. Es deutet überdies auch nicht auf eine besonders entwickelte Ökonomie des vorkolonialen Afrikas hin, wenn zwischen den Zeilen bei Michels zu lesen ist, dass Menschen und Elfenbein damals beinahe die einzige Handelsware darstellten.

Über dieses erste Bild hinaus vermittelt ihre neue Sichtweise jedoch keine wesentlich neuen Erkenntnisse. Michels Geschichte der schwarzen deutschen Kolonialsoldaten folgt dann auch im Wesentlichen der Darstellung von Thomas Morlang (Askari und Fitafita) und deckt sich in ihren Kernaussagen mit dessen Befunden: Der deutsche Kolonialismus in Afrika wäre ohne die breite Mitwirkung farbiger Söldner nicht möglich gewesen. Daher entsprachen auch die in zahlreichen Selbstzeugnissen deutscher Offiziere oder in bildlichen Darstellungen sich widerspiegelnden rassischen Grenzlinien zwischen Weiß und Schwarz nicht unbedingt der Realität. Afrikanische Söldner waren gesucht und besaßen ein hohes professionelles Selbstbewusstsein, was ihre weißen Kontraktherren allerdings nur zu oft fälschlicherweise als Treue oder Anhänglichkeit kulturell unterlegener „Negersoldaten“ interpretierten. Ob nun die von Michels seitenweise betriebene etymologische Herleitung des angeblich arabischen Begriffes „Askari“ aus dem ostafrikanischen Swahili-Dialekt eine erhebliche Bereicherung des bisherigen Wissenstandes darstellt, mag jeder Leser selbst beurteilen.

Bietet Michels Arbeit in diesem ersten Abschnitt noch eine solide, wenn auch mit ideologischen Zwischentönen befrachtete Darstellung der Geschichte der Askari vom deutschen Kolonialsoldaten bis zur beinahe ikonischen Übersteigerung als Propagandafigur revisionistischer Kolonialträume, so gerät der zweite Teil ihres Bandes zur reinen Spekulation. Ihre Versuche, aus einem zufällig überlieferten Konvolut zeitgenössischer Fotografien und Postkartenmotive die Vorstellung einer dualen kolonialen Ordnung zu destillieren, in der etwa die Darstellung von Forts oder Kasernen der Visualisierung der eigenen Stärke und der Grenzziehung zwischen der Ordnung innerhalb ihrer Mauern und einer chaotischen Wildnis draußen dienten, überzeugt nicht. Allein die unterschiedliche Herkunft der gezeigten Aufnahmen lässt eine derart verallgemeinernde Interpretation nicht zu, zumal nur wenige Seiten später auch ein Foto auftaucht, das wiederum den dörflichen Charakter der Lager der schwarzen Soldaten belegen soll. Auch die Abbildungen militärischer Formationen auf dem Marsch oder beim Antreten lassen durchaus andere Deutungen als die der Autorin zu. Hier dürfte es sich eher um die Abbildung damals allgemein üblicher militärischer Hierarchien gehandelt haben. Auch ohne kolonialen Kontext war es in allen zeitgenössischen Armeen gewohnte Praxis, dass die Mannschaften in Linie antraten und Offiziere sowie Unteroffiziere sich davor in hervorgehobener Position befanden.

Schließlich bietet auch der Text des Bandes wiederholt Anlass zu Beanstandungen. So erschwert nicht nur das häufige – bei Soziologen leider übliche – Einschieben von verkürzten Literaturangaben in den Text den Lesefluss erheblich, zahlreiche Druckfehler oder Begriffsdoppelungen noch im selben Satz hätten eigentlich einem sorgfältigen Lektorat zum Opfer fallen müssen. Man kann es indes nur als eine soziologische Stilblüte bewerten, wenn die Autorin an einer Stelle von einer „kolonialen Situation“ spricht, „die als Gesamtheit unterschiedlichster spezifischer Einzelsituationen ein höchst komplexes Gebilde darstellte“. Auch der Aussagewert des folgenden nicht ganz geglückten Satzes dürfte manchen Leser irritieren: „Die Wirkungen von Kontaktzonen waren multidirektional und wirkten auch in die die europäischen Räume.“ Somit wirkten also die Wirkungen – und wir haben es mit einer vollendeten Tautologie zu tun.

Michels Versuch einer Neubewertung der Geschichte der schwarzen deutschen Kolonialsoldaten kann – ungeachtet der genannten stilistischen Mängel – nicht überzeugen. Ihr Entwurf eines vorkolonialen kosmopolitischen Afrikas ist selber unkritisch und verhilft auch nicht zu einer neuen Perspektive auf die eigentliche Kolonialgeschichte, deren längst differenzierten Forschungsstand sie daher auch nur noch einmal referieren kann. Vor allem die Bildinterpretationen der Autorin zeigen nur zu deutlich ihr ideologisches Bemühen, eine Form von wiedergutmachender Historie zu betreiben, das allerdings mit wissenschaftlichen Ansprüchen kaum vereinbar ist.

Kein Bild

Stefanie Michels: Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Mehrdeutige Repräsentationsräume und früher Kosmopolitismus in Afrika.
Transcript Verlag, Bielefeld 2009.
261 Seiten, 28,80 EUR.
ISBN-13: 9783837610543

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