Theorie und Geschichte im Doppelpack

Wilhelm Hemecker gibt den zweiten Band zur Biografie als Genre heraus

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was eine Biografie ist, weiß so ziemlich jeder: Die Beschreibung des Lebens eines Menschen. So weit, so gut. Dass aber sowohl die Art und Weise der Beschreibung als auch der Blick auf und die Selektion von Lebensabschnitte(n) und Persönlichkeitsfacetten eine schier unendliche Zahl möglicher Darstellungen dieses Menschen in seinem Sein ermöglicht, macht man sich selten bewusst. Der vorliegende Band leistet hier zunächst einmal Aufklärungsarbeit insofern, als einige wesentliche der vielen Facetten biografischer Darstellungen vorgestellt werden.

Zusammen mit dem von Bernhard Fetz herausgegebenen Komplementärband „Theoretische Grundlagen der Biografie“ bildet er nun die Grundlage für die wissenschaftlich orientierte Beschäftigung mit der Biographie als Genre.

Beide Bände sind als Essay-Sammlungen konzipiert, die die Forschung des Ludwig-Boltzmann Instituts für Geschichte und Theorie der Biografie in Wien reflektieren. Das Institutskonzept bestand zunächst darin, das Verfassen von vier größeren Lebensbeschreibungen theoretisch und historisch zu untermauern; die Praxis hat dieses Konzept weiter gefasst, obgleich es dennoch zum einen limitiert geblieben ist (vor allem durch die Beschränkung auf den deutschsprachigen Raum) und zum anderen Schwerpunkte entstanden sind, wie das besondere Interesse an der Form, in der die Biografien geschrieben sind.

Der vorliegende Band enthält auf fast 500 Seiten insgesamt 16 Essays, die in neun Abteilungen mit jeweils einem bis drei Essays untergebracht sind. Die Autoren sind, wie auch im Theorie-Band, mehrheitlich (ehemalige) Mitarbeiter des Wiener Instituts. Die Beiträge reichen thematisch von der hermeneutischen Biografik und Biografie als Geschichte über Mythografik, Psychoanalyse und Gesellschaftsbiografie bis zu literarischen Biografien. Davon abgesetzt ist schließlich die Postmoderne (Alexander Kluge, Kühn/ Hans Magnus Enzensberger und Marlene Streeruwitz) sowie die Lebensbeschreibung im Film (neudeutsch: biopic).

Jedem Essay ist ein individuelles Literaturverzeichnis beigegeben; statt eines Gesamtverzeichnisses findet sich am Ende des Bandes eine Auswahlbiographie zur neueren deutschen Biografik.

Die Anknüpfungspunkte zum Theorie-Band sind dabei nicht nur die grundsätzliche Komplementarität, sondern auch Themen und Beiträge. Dies trifft vor allem zu auf die Kapitel Psychoanalyse (die Beiträge dieses Kapitels werden ergänzt durch einen Beitrag Esther Marians aus dem Theorieband, der sich mit psychoanalytischer Frauenbiografik befasst) und Film; hier enthält jeder Band einen Beitrag von Manfred Mittermayer („Darstellungsformen des Schöpferischen in biografischen Filmen“ und „Lebensgeschichten im Biopic“), die sich direkt ergänzen.

Dass dieses Konzept zusammen mit dem umfassenden, zudem neuen Forschungsgegenstand anhand der mit höchstens drei Beiträgen recht kleinen Unterabteilungen nur exemplarisch Einblicke zulassen kann, versteht sich fast von selbst. Erläutern lässt sich dies beispielsweise am Kapitel über die Psycholanalyse, dessen zwei Beiträge – Andrew Webbers ins Deutsche übersetzter Aufsatz „Freuds ‚Leben‘ Schreibers“ und Eveline Lists Beitrag „Novellen wie Krankengeschichten gelesen – Marie Bonaparte: Edgar Poe“ –, so das Vorwort, als „Grenzfälle für eine Theorie der Biografik historisch relevant“ sind. Dieses Kriterium der Auswahl zeigt zum einen den engen Zusammenhang zwischen Theorie und Geschichte und damit auch zwischen diesen beiden Grundlagen-Bänden, und illustriert gleichzeitig die zugrunde liegende Vorgehensweise, die darin besteht, die Grenzen jedes Bereichs fundiert abzustecken, ohne deshalb den Raum zwischen diesen Grenzen vollständig auszufüllen.

Nicht erschöpfend sollte und kann der vorliegende Band in Bezug auf seine Kapitel und Themen also sein, sondern, wissenschaftlich fundiert, möglichst vielfältig im Aufzeigen der erstaunlich unterschiedlichen Erscheinungsformen von Biografie – wer sich für das wissenschaftliche Arbeiten mit Biografien interessiert, findet hier eine reichhaltige Auswahl zur Auseinandersetzung mit eben diesen Erscheinungsformen und zur Festlegung der eigenen Schwerpunkte.

Titelbild

Wilhelm Hemecker (Hg.): Die Biographie - Beiträge zu ihrer Geschichte.
De Gruyter, Berlin 2009.
508 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110219364

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