Vieles, nur keine Spannung

Henning Mankell konzentriert sich in seinem neuen Roman „Der Feind im Schatten“ auf die Gemütslage seines Protagonisten

Von Volker HeigenmooserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Heigenmooser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neun Romane des schwedischen Autors Henning Mankell um seinen Kommissar Kurt Wallander gab es bisher, die beliebt und erfolgreich waren. Dabei behandeln diese Romane gar keinen Glanz der großen Städte und der weiten Welt, die bei uns meist mit den USA gleichgesetzt wird. Auch die Hauptfigur Kurt Wallander ist auf geradezu erschreckende Weise gewöhnlich. Ein Provinzkommissar mit Diabetes und Übergewicht aus dem südschwedischen Ystad, der geschieden ist und eine Tochter hat, die auch Polizistin ist. Diese Attribute können es kaum sein, die die Beliebtheit der Wallander-Krimis erklären. Der Schlüssel zu ihrer Beliebtheit liegt wahrscheinlich darin, dass bisher zum einen besonders brutale, gewalttätige und durchaus auch raffinierte Morde vom biederen Kommissar aufgeklärt werden mussten. Zum anderen ist der Einbruch des Verbrechens in einem scheinbar überschaubaren und beschaulichen Gemeinwesen der besondere Thrill, der dem in bürgerlicher Sicherheit sich wähnenden Leser mit diesen Romanen beschert wird. Nun hat Henning Mankell den unwiderruflich letzten, den zehnten Wallander-Krimi „Der Feind im Schatten“ vorgelegt.

Treue Wallander-Fans werden sich erinnern: der Vater von Kurt Wallander litt an Alzheimer. Doch Kurt Wallander, der im zehnten Band der Wallander-Suite von Henning Mankell befürchtet, nun selbst an Alzheimer erkrankt zu sein, erinnert sich daran komischerweise nicht. Denn ansonsten kommen viele Erinnerungen Kurt Wallanders an seinen Vater vor. Vielleicht hat es sein Schöpfer Henning Mankell vergessen? Im Gegensatz zu den Fällen, die er in den früheren Bänden gelöst hat. Diese werden nämlich im neuesten und letzten Band der Serie erwähnt oder sogar noch einmal ausführlich behandelt wie zum Beispiel der dritte Band mit dem Titel „Hunde von Riga“. In diesem Band hatte Wallander eine große Liebe getroffen. Nun im letzten Band besucht ihn die ehemalige Geliebte aus Lettland in einer Art Abschiedstour, sie hat Krebs und weiß, dass sie in Kürze sterben wird. Das ist sehr sentimental geschrieben. Kurt Wallander selbst ist zu Tränen gerührt. Es geht auch sonst in diesem letzten Wallander-Band sehr emotional zu. Bisweilen wird es kitschig, etwa dann, wenn ihn seine nun alkoholkranke Exehefrau besucht. Dann denkt er: „Und diese Frau habe ich mehr als irgendeine andere in meinem Leben geliebt.“

In diesem letzten Band um den beliebten schwedischen Romankommissar ist alles auf Abschied gestimmt. Denn Kurt Wallanders Alzheimer schreitet voran, wie ihm und uns Lesern immer deutlicher wird. Deshalb heißt es am Schluss des Epilogs: „Der Schatten hatte sich vertieft. Und langsam sollte Kurt Wallander in einem Dunkel verschwinden, das ihn einige Jahre später in das leere Universum entließ, das Alzheimer heißt. Danach ist nichts mehr. Die Erzählung von Kurt Wallander geht unwiderruflich zu Ende.“

Am Ende des Prologs jedoch, der die Leser ins Jahr 1983 führt, in dem Schweden sich weltweit lächerlich gemacht hat, als es vergeblich auf tatsächliche oder vermeintliche U-Boote in seinen Hoheitsgewässern Jagd machte, steht ein großer Anspruch. In dem Roman solle die „Geschichte von den Bedingungen der Politik, von der Reise in die Sümpfe“ erzählt werden, „wo Wahrheit und Lüge die Vorzeichen tauschten, so dass am Ende über nichts mehr Klarheit zu erlangen war“.

Um es ganz deutlich zu sagen: diesen Anspruch löst der Roman nicht ein. Wahrscheinlich hat ihn der Autor, nachdem er ihn niedergeschrieben hat, vergessen. Tatsächlich verliert man alles Verständnis für den Plot.

Darum geht es in dem letzten Band der Wallander-Romane: Wallanders Tochter Linda ist mit einem Investmentbanker liiert, von dem sie eine Tochter bekommt. Besagter Lebensgefährte Lindas hat einen ehemaligen Marineoffizier zum Vater, der kurz nach seinem 75. Geburtstag spurlos verschwindet. An diesem Geburtstag hatte Håkan von Enke, der Vater des Schwiegersohns, Wallander davon erzählt, dass er Anfang der 1980er-Jahre bei einem Manöver von der obersten Marineleitung abgehalten wurde, ein in die Enge getriebenes mutmaßlich sowjetisches U-Boot zu stellen. Er habe immer erfahren wollen, wer hinter dem damaligen Befehl gesteckt habe. Nun sei er kurz vor der Aufklärung des Falls. Doch Wallander hatte während der Erzählung des Offiziers das Gefühl, Håkan von Enke fühle sich verfolgt. Dann ist der ehemalige Marineoffizier spurlos verschwunden. Und Wallander, der eigentlich Urlaub hat, versucht dieses mysteriöse Verschwinden aus eher familiärem Interesse aufzuklären. Immerhin gelingt es ihm, ein wenig Licht in die Hintergründe des Verschwindens des ehemaligen Marineoffiziers zu bringen, der meist als Korvettenkapitän firmiert, aber einmal zum Vizeadmiral avanciert. So genau geht es in diesem Buch nicht zu. Nach einer Weile verschwindet auch die Ehefrau des Marineoffiziers, Louise. Als die Polizei sie tot findet, deutet viel auf Selbstmord hin. Doch Wallander ist skeptisch. Die Todesursache erinnert ihn sehr an Mordmethoden des DDR-Geheimdiensts, was ihm Gelegenheit gibt, eine Figur aus den früheren Romanen aufzusuchen.

Von wem wurde sie ermordet? Wallander weiß es nicht und auch der Leser erfährt es nicht, der Mord und die Motive dafür bleiben nebulös. Ex-DDR-Stasi, KGB oder CIA? Das bleibt unklar. Wie so manches. Auch der frühere Marineoffizier bleibt noch verschollen. Woraufhin Wallander in für ihn und diesen Roman typischer Weise sagt: „Ich habe das Gefühl, dass er für mich immer lebendiger geworden ist, seit Louise tot aufgefunden wurde. Ich weiß, dass es nicht logisch ist, ich habe keine plausible Erklärung für meine Reaktion. Möglicherweise meine polizeiliche Erfahrung, die mit den Jahren ziemlich groß geworden ist. Aber auch da sind meine Erlebnisse von früher nicht eindeutig. Trotzdem glaube ich, dass er lebt.“

Solche Gedankengänge müssen Wallander-Fans gefallen. Anders ist der Erfolg der Romane über diese Figur nicht zu erklären.

Vergangenheit und Erinnerung spielen die Hauptrolle in diesem Kriminalroman, der vieles hat, aber eines nicht: Spannung. Dafür wird der Wallanderkosmos in ganzer Breite entfaltet, garniert mit Anspielungen auf das große Vorbild der Kommissar-Beck-Romane von Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Im Mittelpunkt von „Der Feind im Schatten“ steht jedoch immer Wallander selbst mit seinen Befindlichkeiten. So ist – im Gegensatz zu den früheren Bänden – diese Geschichte strikt personal aus der Sicht der Hauptfigur erzählt. Als Leser weiß man also nicht mehr als der Protagonist, den gegen Schluss hin die Aufklärung des Falls weniger interessiert als seine eigene Befindlichkeit. Diese Selbstbezogenheit wird die Fans freuen, andere nerven.

Während und nach der Lektüre fragt man sich, ob Henning Mankell im Grunde keine rechte Lust hatte, dieses Buch zu schreiben, dass es ihm eine womöglich von außen aufgezwungene Pflicht war, auch, wie manches Vorbild, zehn Bände zu schreiben? Die mangelhafte Entwicklung eines abgestandenen Plots, die gelegentlich ins regelrecht Kitschige gehenden Passagen über sein Verhältnis zu seiner Ex-Gattin, zu seiner Tochter und seiner neuen Enkelin, all das deutet auf Unlust hin. Diese erkennbare Unlust scheint auch den ansonsten so großartigen Übersetzer Wolfgang Butt angesteckt zu haben, dem überraschend viele Skandinavismen unterlaufen sind. Und bei manchen Unverständlichkeiten fragt man sich, ob sie an der Übersetzung oder der Vorlage liegen. Und noch eine Kleinigkeit: im Gegensatz zur Behauptung des Klappentexts hat der verdienstvolle Wolfgang Butt nicht sämtliche Kriminalromane des Schweden übersetzt. Mankell hat beeindruckende und gute Krimis geschrieben, dieser letzte Band gehört nicht dazu.

Titelbild

Henning Mankell: Der Feind im Schatten. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2010.
589 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783552054967

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch