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Paul Beatty eröffnet in seinem Roman „Slumberland“ die Welt des Vinyl

Von Kay ZiegenbalgRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kay Ziegenbalg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Keine Zeit ist zu schade für Paul Beattys Roman „Slumberland“. Viel Nick Hornby, etwas Rainald Goetz – vielleicht noch Hans Nieswandts Ramallah-Tagebuch und die Alben von Abstract Rude – könnten direkt auf seinem Schreibtisch gelegen haben, wäre der neue Roman des New Yorkers nicht ein klarer Fall von Eine-Klasse-für-sich.

DJ Darky macht sich auf die Suche nach einer ominösen Jazz-Ikone, genannt der Schwa. Dessen Stücke haben es als Soundtrack eines Sodomiepornos über den großen Teich geschafft. Nur nebenbei findet Darky heraus, dass der „Hühnerficksong“ sich vorteilhaft auf das Begehren seiner weiblichen Bekanntschaften auswirkt. Fortan läuft die VHS-Kassette in seinem Appartment auf Heavy-Rotation – ohne Bild, versteht sich. Der Mann hinter diesem Soundtrack, der Schwa also, soll Darkys frisch produzierten Jahrhundert-Beat mit einer virtuosen Zusatzspur absegnen. Seine Freunde sind sich einig darüber, dass er es geschafft hat, die richtigen Samples korrekt zitiert und in eine organische Verbindung gebracht zu haben: „Du hast Dein Leben gesampelt.“

Die Spur führt nach Ost-Berlin. Dort heuert Darky als Jukebox-Sommelier im Slumberland, einer aus der Welt gefallenen Bar an und quält sich bald mit dem Berliner Winter rum. „Keiner der Germanenstämme besaß einen Sonnengott.“ Selten scheint ihm etwas klarer gewesen zu sein.

Als gewandter Ich-Erzähler schüttet er dem geneigten Leser sein Herz aus. Genau so, wie es zwischen die Schatten der Hochhäuser passt. Es kostet Zeit, das Buch zu lesen. Man muss einige Plattenläden aufsuchen, denn der Soundtrack, den DJ Darky serviert, ist überaus gelungen. Beatty zelebriert detailreich die Liebe zum Vinyl. Selbst die kreisenden Spuckeflecken auf den Scheiben entgehen ihm nicht. Die etwas altbackene beamtische Geste, die Finger anzulecken, erfreut sich unter DJs reger Pflege. „Und da wusste ich, dass ich eine eingestaubte Dreißig-Zentimeter-Miniaturausgabe des Weltalls in Händen hielt.“

Nicht zuletzt unternimmt Beatty einen interessanten Vergleich. Er setzt sich über die Marginalisierung seiner schwarzen Vorfahren hinweg und empfindet eine Leidensgenossenschaft mit den Ostdeutschen – etwas, dass sicher die Distanz des atlantischen Ozeans braucht, um einem in den Sinn zu kommen. Das ist vielleicht witzig, aber allein die extrem divergierende Dauer beider Marginalisierungsphänomene sträubt sich am Ende doch gegen diesen Brückenschlag. Für Darky funktioniert das jedenfalls, denn er sucht vor allem etwas Klarheit in dem ganzen Chaos, das ihn plötzlich umgibt. 1989 ist schließlich der zweitpeinlichste Moment in seinem Leben, als er fragen muss: „Welche Mauer?“

Der Afroamerikaner Darky kam überhaupt erst zur Musik, weil er seiner Hautfarbe wegen nicht zur Universität zugelassen wurde. Die Auseinandersetzung mit der schwarzen Identität erhält eine überraschende Wendung, als er Zeuge der Maueröffnung in Berlin wird. Als er einen Schuljungen beim Parolenschmieren beobachtet, fasziniert ihn vor allem das quietschende Geräusch auf der Fensterscheibe. Der Junge bemerkt den Zuschauer und rennt weg. Aber Darky holt ihn zurück und bittet ihn, die Parole zu beenden – schließlich hat er noch nicht herausfinden können, an welchen Song ihn das erinnert. Als das Werk vollbracht ist, steht auf der Scheibe „Ausländer raus!“ und Darky weiß Bescheid: „Das Quietschen klang genau wie Oliver Nelsons Tenorsaxofon auf „Stolen Moments“. Song Eins der Jukebox ist gefunden.

Song Eins ist nur der Ausgangspunkt einer humorvollen, bildstarken Reise in die Zwischenwelt. Wo die VHS-Kassette mit dem gequälten Huhn herkommt, kann man gar nicht verraten, ohne gleich das Buch zu entwaffnen. Aber soviel geht: Darkys Musik war schon früher in der DDR bekannt, denn er hatte sich aus Geldnot für die musikalische Untermalung von Pornos hergegeben. „In der Tat, so hochgestellte Persönlichkeiten wie Heiner Müller, Valerie Borzow, Nicolae Ceausescu und Deng Xiaoping lobten ihre Filmmusik“, eröffnet ihm ein trüber Stasi-Offizier.

„Slumberland“ überzeugt durch Beattys fesselnde Zutaten. In einer ungemütlichen Umgebung schildert er seinen kompromisslosen Protagonisten – einen abgeklärten und zugleich neugierigen Fanatiker in Sachen Selbstbehauptung.

Titelbild

Paul Beatty: Slumberland.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Robin Detje.
Blumenbar Verlag, München 2009.
319 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783936738605

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