Ein unkritisches Epos, das nicht überzeugt

Robin Lane Fox lässt in seiner Universalgeschichte über die Antike zentrale Aspekte außer Acht

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Universalgeschichte über die Klassische Welt, wie sie jetzt der britische Althistoriker und renommierte Alexander-Biograf Robin Lane Fox vorgelegt hat, erscheint ihrerseits bereits als ein klassisches Unternehmen. In der Zunft werden derart ambitionierte Versuche jedoch kaum noch unternommen, nicht zuletzt deshalb, weil man die dabei unausweichlichen Kompromisse und darstellerischen Unschärfen scheut. Einzig eine thematische Klammer oder eine überzeugende Perspektive, die den hinlänglich bekannten Stoff neu strukturiert, würde also aus wissenschaftlicher Sicht die unerhörte Mühe lohnen.

Dass indes auch dieser jüngste Versuch kaum überzeugt, liegt nicht am fehlenden erzählerischem Niveau des Verfassers, der – im Gegenteil – mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit den Bogen von der archaischen Zeit der Griechen bis zur Regierung des Kaisers Hadrian spannt. Problematisch und wissenschaftlich auch kaum gerechtfertigt erscheinen vielmehr die konsequenten Abgrenzungen, die Fox auf seinem spannenden Weg durch ein angeblich griechisch-römisches Jahrtausend zu den anderen Kulturen des Mittelmeerraumes vornimmt. Auch wenn man ihm zugute halten muss, dass der viel zutreffendere Untertitel seines Werkes im englischen Original keine Weltgeschichte von Homer bis Hadrian verspricht, – wie es der deutsche Verlag getan hat – sondern schlicht von einer „Epic Historiy of Greece and Rome“ spricht, erscheint die fast völlige Exklusion von Persern, Karthagern und Ägyptern in seinem „Epos“ kaum gerechtfertigt.

Fox erklärt an keiner Stelle seiner fast 700 Seiten schlüssig, was genau er unter „Klassik“ verstehen will und weshalb nach seiner Ansicht die Nichtgriechen und die Nichtrömer daran kaum Anteil hatten. Ohne Frage betrachteten sich die Griechen und später auch die Römer als erstklassig in der ganzen Mittelmeerwelt, und der heute noch verwendete Exklusionsbegriff „Barbar“ hat schon selbst etwas Klassisches. Aber reicht es einfach nur, wie der Autor es tut, von der Kunst, Literatur und der Philosophie, von den Diskursen und der Politik zu reden, die damals wie angeblich auch in unserer Zeit als erstklassig galten und noch gelten? Diese Definition hat etwas Tautologisches und blendet vollkommen den Vorbildcharakter des Klassischen aus. Können denn patriarchalische und – nach heutigen Maßstäben – rassistische Gesellschaften, die in großem Stil Sklaven hielten und Frauen als minderwertige Wesen ansahen, trotz ihrer kulturellen Leistungen überhaupt als klassisch im Sinne einer zeitübergreifenden Richtschnur angesehen werden? Was nutzen die hoch gelobten Reflexionen eines Perikles, Demosthenes oder Cicero, wenn sie Freiheit und Gerechtigkeit nur für einen verschwindend geringen Teil der damaligen Menschheit einforderten. Gewiss ist es nicht gerechtfertigt, moderne Maßstäbe an längst vergangene Epochen anzulegen – doch ihre Idealisierung als klassische und damit herausragende Zeit, wie Fox sie betriebt, dürfte ebenso unstatthaft sein. Fox gibt sich auch nur wenig Mühe, seine Vorlieben und Aversionen zu verbergen: Ohne Anführungszeichen spricht er von den barbarischen Persern und spekuliert in düsteren Farben über das Schicksal der Griechen im Falle einer Niederlage. Verdankten aber die Griechen ihren unerwarteten Sieg über die persische Übermacht allein ihrem Freiheitssinn, wie es der Verfasser seinen Lesern nahe legt? An den antiken Juden lässt er ebenso kein gutes Haar. Hadrian hat sie wegen ihrer angeblichen Aufsässigkeit nachweislich gehasst und einen Vernichtungskrieg gegen sie geführt, den Fox nicht übermäßig kritisiert. Karthago wiederum bezeichnet er als mächtigste Alternative zum griechischen „Way of Live“, obwohl doch längst geklärt ist, dass zumindest der Feldherr Hannibal sich als Nachfolger des von ihm verehrten Heroen Herakles fühlte und dessen mythischen Zug über die Alpen nach Rom im Jahre 218 vor Christus realiter nachvollzog. Dabei begleiteten ihn sogar zwei griechische Historiker, deren Werke allerdings verloren gegangen sind.

Was aber brachte nun die Griechen der archaischen Epoche überhaupt dazu, Strukturen und Vorstellungen zu entwickeln, die nicht nur zu ihrem wohl einzigartigen Individualismus, sondern schließlich auch zur Polis führten? Wo also liegt der Keim des klassischen Andersseins der Griechen?

War nun das Fehlen eines mächtigen Königtums die Ursache für den griechischen Freiheitswillen oder verhielt es sich genau umgekehrt?

Eine überzeugende Antwort darauf kann Fox nicht geben, was zunächst einmal an der für die archaische Zeit dürftigen Quellenlage liegt, aber gewiss mehr noch an seinem verengten Blick, der einen Vergleich mit anderen zeitgenössischen Kulturen eben nicht vornimmt. Was das Besondere der Griechen war, hätte sich eben nur auf diese Weise – vielleicht durch einen Vergleich der Religionen – wenigstens deuten lassen. Zwar geht Fox ausführlich auf die religiösen Vorstellungen der Griechen ein, die sich durchaus von ihren Göttern abhängig fühlten. Zugleich hielten sie aber auch stets eine scheue Distanz zu den Olympiern, was ihnen wohl im Vergleich zu anderen Kulturen einen gewissen Freiraum in ihrer Lebenspraxis verschaffte. Da Fox aber auf vergleichende Betrachtungen mit altorientalischen oder ägyptischen Religionen verzichtet, verharren seine Schilderungen nicht nur zu dieser Thematik völlig im Narrativen.

Gewiss lesen sich seine Kapitel flüssig und enthalten auch einige neue Gesichtspunkte, die in einer geschickten Mischung aus chronologischer und systematischer Darstellung geboten werden. Auch die ständigen Klassenkämpfe in den griechischen Poleis werden erwähnt, jedoch nicht in einem zusammengefassten Abschnitt abgehandelt, was ihrer zentralen Bedeutung für die Geschichte der griechischen Polis eher gerecht geworden wäre. Zusätzliche Kapitel über die antike Sklaverei wie auch über die Technik hätten vielleicht Zusammenhänge offen gelegt, weshalb trotz des unbestrittenen zivilisatorischen Niveaus der Antike schließlich ein technologischer Stillstand eintrat, der erst anderthalb Jahrtausende später durch die industrielle Revolution überwunden werden konnte.

Gerade in derart pointierten Fragestellungen hätte die Berechtigung einer neuen Universalhistorie der Antike liegen können, so aber reiht Fox in seinen Kapiteln nur brav sattsam Bekanntes auf, das der Fachmann in zahlreich vorhandenen Spezialuntersuchungen präziser geboten bekommt. Der bloß historisch Interessierte dürfte seine Darstellung der Antike trotz der erwähnten Abstriche gleichwohl noch mit Gewinn lesen, zumal der Band mit einem brauchbaren Bild- und Anmerkungsteil versehen ist und zudem übersichtliches Kartenmaterial enthält.

Titelbild

Robin Lane Fox: Die klassische Welt. Eine Weltgeschichte von Homer bis Hadrian.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2010.
730 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783608944679

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