Lost in Transplantation

Daniel Asa Rose verfasst in seinem Roman „Larrys Niere“ eine erstaunliche Liebeserklärung an China

Von Oliver DietrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Dietrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Daniels Cousin Larry ist nicht gerade ein wünschenswertes Familienmitglied: Das Schwarze Schaf der Familie hat sogar seinen Cousin Burton mit einer Fatwa belegt. Dennoch willigt Daniel ein, als er von Larry gebeten wird, den Sterbenskranken nach China zu begleiten, um für ihn eine neue Niere aufzutreiben. Natürlich ist die ganze Sache von vornherein ausgemachter Irrsinn, moralisch absolut verwerflich und – auch das muss Larry einräumen – völlig illegal. Aber hat der religiöse Familienmensch Daniel überhaupt eine andere Wahl, als diese Bitte anzunehmen? Larry jedoch hat noch ein ganz anderes Eisen im Feuer: Über das Internetportal candyblossoms.com hat er sich eine Chinesin ausgesucht und ist fest entschlossen, die Unbekannte zu heiraten.

Es sollte gar nicht erst versucht werden den Wahrheitsgehalt dieser unglaublichen Geschichte zu überprüfen. Je mehr sich der Autor, der seinen Protagonisten aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, auch bemüht, seine Geschichte als autobiografisches Ereignis zu verpacken (in der Danksagung zum Ende des Buches wird dies geradezu beteuert), um so absurder wirkt sie schließlich. Aber geht es darum überhaupt? Zumindest kann man Daniel Asa Roses eigenwilligem Schreibstil eines ganz sicher attestieren: einen ausgefallenen Sinn für Humor. „Larrys Niere“ besticht durch geradezu wahnwitzige Dialogstärke, gelungene Brüche in der Textstruktur (ganz besonders durch Einzelauswertungen und Aufzählungen) und eine ausgeprägte Spannungsintensität – auch wenn es anfangs noch etwas Zeit kosten mag, sich an diese Form der Erzählung zu gewöhnen.

Sicherlich stellt der thematisierte Schritt in die Illegalität – in China soll es ja angeblich ein Leichtes sein, auf dem Schwarzmarkt eine Niere zu beschaffen – einen Seitenhieb auf die amerikanische Gesundheitspolitik dar: horrende Preise und ewige Wartelisten entlassen die todkranken Patienten in eine ausweglose Situation. Gleichzeitig wird ein Plädoyer für die Bereitschaft zur Organspende gehalten (in den USA geht ein Teil der Erlöse aus dem Buchverkauf an die Donate Life America-Stiftung), ohne dafür den Zeigefinger zu erheben. Larrys Situation wird derart lebensnah beschrieben, dass der Einsatz didaktischer Elemente völlig überflüssig erscheint – von einem Aufruf zum Organspende-Tourismus ganz zu schweigen.

Die Lebendigkeit des Buches entsteht viel mehr durch den beschriebenen Cultural Clash: da ist von „drückender Smoghitze“ die Rede, die „ambossschwer und feucht auf den Schädel drückt“, von allgegenwärtiger Beschattung und Kontrolle, einem „Feuersturm aus Neon“, welcher die Nächte diabolischer als die Tage macht, von Walzer tanzenden Rotarmisten und ungenießbarem Essen wie Suppe in einer Plastiktüte, in welcher ein Hühnerfuß schwimmt – „eine haarige, blass in der Flüssigkeit schwimmende Kralle nur für Sie allein!“

Das Buch lebt außerdem von der Wandlung, welche der Erzähler erfährt. Während des monatelangen Aufenthalts – fern der Familie in einem fremden Land, aufgerieben durch nervenzehrende Wochen des Wartens – beginnt er zu verstehen, was das chinesische Volk ausmacht, wie es tickt und was von ihm zu erwarten ist, und er entwickelt eine zarte Bewunderung. Während ihm die Chinesen ans Herz wachsen, wandelt sich Daniels Blick hin zum Wesentlichen.

Zugleich ist diese Geschichte aber auch eine Familiengeschichte, ein Appell zum Zusammenhalt; die Ungleichheit beider Cousins stellt letztlich einen vitalen Impuls für den Plot dar. So kann es dem Leser irgendwann gelingen, für den wehleidigen, unzufriedenen Larry, welcher auch nach gelungener Operation einen Selbstmord nicht ausschließt, etwas wie Sympathie zu empfinden.

Titelbild

Daniel Asa Rose: Larrys Niere. Oder: Wie ich mich plötzlich mit meinem seltsamen Cousin und seiner Katalogbraut in China wiederfand, das Gesetz brach, eine Spenderniere erwarb und ihm so das Leben rettete.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence.
Berlin Verlag, Berlin 2009.
411 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783827008800

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