Der Mann, der seine Geliebte mit einer Violine verwechselte

Über John Maxwell Coetzees neuen Roman „Sommer des Lebens“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieser Roman endet mit einer Zusammenstellung von fiktiven Fragmenten aus dem Nachlass des Schriftstellers John Maxwell Coetzee: Geordnet, zusammengefasst und für die Publikation aufbereitet von dem fiktiven Journalisten Vincent, der nach dem Tod des Nobelpreisträgers eine Biografie über den Schriftsteller und Menschen Coetzee schreiben will. Diese Biografie über einen verstorbenen Coetzee liegt in den Händen des Lesers.

Ein ähnlich ausgeklügeltes Vexierspiel findet man auch in Coetzees 2008 erschienenen Roman „Tagebuch eines schlimmen Jahres“ (siehe literaturkritik.de 7 2008). Perspektivenwechsel, verschiedene Stimmen, die das Geschehen kommentieren oder aus ihrer subjektiven Sicht beschreiben. Die Freude an brillanten Textkonstruktionen wird deutlich: Coetzee findet eine Form der collageartigen Beschreibung, um differenzierteste Sichtweisen und die Pluralität der Meinungen und Anschauungen auch auf der literarischen Ebene deutlich zu machen, die ihm in seinem manchmal distanzierten, messerscharfen und analytischen Stil der Beschreibung ansonsten verloren gehen würden.

Der Roman beginnt mit aneinander gefügten Interviews. Die vermeintlichen Fragmente werden von dem Erzähler in der Figur des interviewenden Journalisten zu einem Panorama arrangiert, das ein differenziertes Bild des „Autors Coetzee“ vermittelt. Dies Bild ist vor allem ein literarhistorisch nicht kolportiertes. Coetzee baut mit dem Roman an einem fiktiven „biografischen Projekt“, das sich offenbar dem Schriftsteller und Menschen Coetzee zu nähern versucht. Aber was auf den ersten Blick als ein biografischer Versuch verstanden werden könnte, entpuppt sich als ein Spiegel einer Gesellschaft, die sich im Umbruch befindet. Dabei wird vor allem die Relativität der Blickwinkel und Meinungen thematisiert: „Doch ich bin nicht interessiert, zu einem abschließenden Urteil über Coetzee zu kommen. Das überlasse ich der Nachwelt. Ich erzähle die Geschichte eines Lebensabschnitts von ihm, oder wenn eine einzige Geschichte nicht möglich ist, dann verschiedene Geschichten aus verschiedenen Blickwinkeln.“ Hinzu kommt ein ironischer, zweifelnder, aber auch mit dem Selbstbild spielender Blick auf die eigene Biografie, die den Autor durch die interviewten Personen artikulieren lässt – etwa wenn Kritik an Coetzees Romanen geübt wird: „Ich kann nicht behaupten, dass mir Dusklands gefällt. Ich weiß, es klingt altmodisch, aber ich ziehe Bücher vor, die richtige Helden und Heldinnen haben, Charaktere, die man bewundern kann.“

Es sind vor allem die treffenden Formulierungen, die den Leser berühren, wenn er über Schriftsteller und Künstler im Allgemeinen resümiert: „Ich erinnere mich, dass ich John nach Dusklands gefragt habe, an welchem neuen Projekt er arbeite. Seine Antwort war vage. ‚Es gibt immer das eine oder andere, woran ich arbeite‘, sagte er. ‚Wenn ich der Verlockung nachgeben würde, nicht zu arbeiten, was würde ich mit mir anfangen? Wofür lohnte es sich dann zu leben? Ich müsste mich erschießen.‘“

Scheinen es manchmal vordergründig deprimierende Lebensumstände zu sein, die Coetzee seine Protagonisten beschreiben lässt, ist es doch vor allem eine Beschreibung der gesellschaftlichen Situation Südafrikas Anfang der 1970er-Jahre, die mit Apartheid und Gewalt die Lebenssituation der Menschen im Allgemeinen und des Künstlers im Besonderen bestimmt. Gerade den Zwiespalt zwischen den Meinungen und die Differenzen der Anschauungen sind das Thema, das auch auf der sprachlichen Ebene „behandelt“ wird. Das Verhältnis des Autors zu Frauen im Allgemeinen wird genau untersucht und scheint merkwürdig kühl und distanziert zu sein, könnte letztendlich als eine filigrane Rekapitulation des Selbst beschrieben werden – gespiegelt in den Verhältnissen zu den Frauen im Leben des Autors. Eine der interviewten Damen fasst es treffend und vielleicht ein wenig überspitzt zusammen, wenn sie Coetzee beschreibt als den „Mann, der seine Geliebte mit einer Violine verwechselte.“

Mit der letztendlich auch in der hervorragenden Übersetzung von Reinhild Böhnke sprachlich brillanten Zeit- und Personenbeschreibung, der die formale Konstruktion des Romans an nichts nachsteht, liefert Coetzee ein Werk, das ihn zwar kritisch zweifelnd, aber auf der Höhe seines Schaffens zeigt – immer die Relativität von Wahrheit, Wirklichkeit und Meinungen im Blick, wenn er seinen Erzähler, den Journalisten, feststellen lässt: „Nur glaube ich nicht, dass ihm dieses Bild gerecht wird. Die Gespräche, die ich mit Personen geführt habe, die ihn sehr gut gekannt haben, offenbaren eine ganz andere Persönlichkeit – nicht unbedingt eine wärmere Persönlichkeit, aber jemanden, der weniger selbstsicher war, verwirrter, menschlicher, wenn ich dieses Wort benutzen darf.“ Ein abwägendes, treffendes, messerscharf analysierendes, kurzweiliges Buch, dem auch der Originaltitel „Summertime“ gut zu Gesicht gestanden hätte.

Titelbild

John Maxwell Coetzee: Sommer des Lebens. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Reinhild Böhnke.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
294 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783100108357

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