Vergewaltigungen durch Soldaten der Wehrmacht

Regina Mühlhäusers signifikante Untersuchung zu sexuellen Gewalttaten und intimen Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941-1945

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem die feministische Filmemacherin Helke Sander schon vor Jahrzehnten auf die Massenvergewaltigungen deutscher Frauen während der Endphase des Zweiten Weltkrieges und in den ersten Friedensmonaten durch die Soldaten der siegreichen Armen der Alliierten hingewiesen hatte und damals noch heftig dafür angefeindet wurde, hat sich in den letzten Jahren die Zahl der einschlägigen Publikationen erhöht. Das Skandalon besteht nun zurecht nicht mehr darin, dass die Verbrechen thematisiert werden, die von den Männern der Siegermächte an deutschen Frauen gegangen wurden, sondern dass sie überhaupt geschahen. Inzwischen ist auch bekannt und weithin anerkannt, dass Kriegsvergewaltigungen sowohl der sexuellen Befriedigung der Vergewaltiger dienen, wie auch der Demütigung und Demoralisierung nicht nur der vergewaltigten Frauen, sondern auch der Männer des Kriegsgegners, die sie nicht beschützen konnten. Denn dies gilt als ihre Aufgabe. Somit handelt es sich bei derartigen Vergewaltigungen um in Kriegsgeschehen strategisch eingesetzte sexuelle Gewalt, deren sich durch die Jahrtausende hindurch so ziemliche alle Kriegsparteien der Geschichte bedienten.

Darum ist es auch zu begrüßen, dass seit längerer Zeit nun mal wieder eine Publikation die sexuelle Gewalt, deren sich deutsche Soldaten während des zweiten Weltkrieges schuldig machten, zum Gegenstand ihrer Untersuchung wählt. Verfasst wurde sie von Regina Mühlhäuser, die sich in ihrer Monografie „Eroberungen“ auf die „sexuelle Gewalttaten und intimen Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion“ während der Jahre 1941 bis 1945 konzentriert. Der Titel ihres Buches bezieht sich auf „das bis heute weitverbreitete Bild, dem zufolge die militärische Eroberung eines Territoriums quasi selbstverständlich mit der sexuellen Eroberung einheimischer Frauen einhergeht“.

Mühlhäusers Erkenntnisziel besteht in der Beantwortung der Frage, „auf welche Realität sich solche romantisierenden Eroberungsnarrative gründen“. Im Zentrum ihres Interesses steht nicht so sehr die Vergewaltigung als Mittel der Kriegsführung, sondern „ob und wie Angehörige von Wehrmacht, SS und zivilen Besatzungsbehörden in der Begegnung mit einheimischen Frauen Sexualität erlebten“. Die Fragestellung zielt also nicht auf militärische Strategien oder Taktiken, sondern auf das individuelle Erleben. Zugleich ist sie weitgefasst und nimmt nicht nur auf sexuelle Gewaltakte, sondern alle „Formen sexuelle[n] Zusammentreffen[s]“ in den Blick, also auch einvernehmliche. Damit ist „der für diese Untersuchung zentrale Begriff“ genannt. Er „umfasst das ganze Spektrum sexueller Kontakte von zwei oder mehreren Personen: das Erzwingen der Nacktheit, unterschiedliche Formen sexueller Folter, Vergewaltigung und sexueller Versklavung ebenso wie sexuellen Tauschhandel, gewerbliche Prostitution, einvernehmliche Affären und romantische Verhältnisse.“

Diese einvernehmlichen Sexualkontakte allerdings, so eine Erkenntnis Mühlhäusers, können von Frauen einer zum Geschehenszeitpunkt unterlegenen Nation gegenüber Angehörigen der siegreichen Armee wohl kaum je ganz aus freien Stücken vollzogen werden. Sei es nun, dass sie sich prostituieren, eine Liebschaft, Verlobung oder Ehe eingehen. Denn alles Handeln von Soldaten in Kriegen liegt nicht „jenseits der Kriegshandlungen“. So bestimmte auch der deutsche Vernichtungsfeldzug das „Klima“ und die „Bedingungen“, „in denen sich intime Verhältnisse überhaupt erst entwickeln konnten“. Daher drückte sich die Sexualität der deutschen Soldaten in den besetzten Teilen der Sowjetunion nicht nur „in Verbindung mit kriegerischen Gewaltakten“ aus. Denn alle ihre Begegnungen mit „einheimischen Frauen“ wurden durch „die alltägliche Präsenz von Gewalt“ bestimmt. Das gilt auch für „einvernehmliche Verhältnisse“ bis hin zu Ehen.

Ausgehend von der Erkenntnis, dass „sexuelle Gewalttaten“ oft von „einfachen Soldaten“, die „Verhaltensregeln und disziplinarischen Vorgaben“ missachteten, begangen wurden, sie aber auch „Teil einer militärischen Strategie“ sein konnten, die darauf zielte, „das gesamte gesellschaftliche Gefüge des Gegners nachhaltig“ zu zerstören, interessiert sich Mühlhäuser des weiteren dafür, welche Strategien Heeresleitung und SS zur Kontrolle der sexuellen Handlungen der Soldaten entwickelten. Insgesamt geht es der Autorin also darum, „der vielschichtigen Verwobenheit von Geschlecht, Sexualität, Krieg und Gewalt während des Vernichtungskrieges auf den Grund zu gehen“. Anzahl und Umfang der von deutschen Soldaten und Polizisten sowie von SS-Angehörigen während des Russland-Feldzuges begangenen sexuellen Gewalttaten lassen sich zwar nicht mehr detailliert rekonstruieren, doch zeigt Mühlhäuser, „dass sexuelle Gewaltverbrechen keine Ausnahme waren“.

Wenn sie auch nicht zu den nach dem damals gültigen deutschen ‚Recht‘ legalen Taten gehörten, so doch zu den erlaubten. Befassten sich Wehrmachtsgerichte ausnahmsweise mal tatsächlich mit Kriegsvergewaltigungen, urteilten sie „gemäß der Vorstellung, dass die ‚Geschlechtsehre‘ von Frauen in der Sowjetunion wesentlich niedriger anzusiedeln oder anders beschaffen sei als die deutscher Frauen“. Außerdem spiegeln die Urteile die Auffassung wieder, „ein Soldat sei seinen Trieben in bestimmten Situationen ausgeliefert, das heißt, kein bewusst entscheidendes Subjekt, sondern Objekt seiner eigenen Biologie“. Kam ein Gericht etwa zu der Auffassung, „dass er zum Zeitpunkt der Tat unter ‚sexuellem Notstand‘ oder ‚Triebstau‘ gelitten habe“, galt er im Falle einer Vergewaltigung nur als „eingeschränkt schuldfähig“.

Hierzu und zu all ihren anderen Befunden hat die Autorin ein ausgesprochen vielfältiges Quellenmaterial zusammengetragen, das einerseits aus Wehrmachts-Akten und „zeitgenössischen Selbstzeugnisse“ sowie „späteren Erinnerungserzählungen deutscher Männer“ besteht, die als Soldaten oder SS-Angehörige an den deutschen Kriegshandlungen auf sowjetischem Gebiet beteiligt waren. Zum anderen zog sie Berichte aus der sowjetischen Bevölkerung und Selbstzeugnisse von Menschen heran, die während des deutschen Vernichtungsfeldzugs aus rassistischen oder politischen Gründen verfolgt wurden. Erst „die Fülle und das Ensemble der Quellen“ lassen die „geschlechtsspezifischen Besonderheiten in den Erzählweisen“ hervortreten. Oft bieten sie „nur wenig verlässliche Details“ zu den begangenen sexuellen Gewalthandlungen. Dies gilt sowohl für die Zeugnisse von „Tätern, Opfern, Zuschauerinnen und Zuschauern“. Wichtig ist darum deren „Gesamtschau“. „Besonders diffizil“ gestaltete sich die Auswertung der Selbstzeugnisse. Dies gilt aus unterschiedlichen Gründen sowohl für die der Täter wie auch für die der Opfer, sofern diese überhaupt noch Zeugnis ablegen konnten. Denn oft wurden die Frauen während oder unmittelbar nach der sexuellen Gewalttat ermordet. Oder die Ermordung erfolgte – etwa bei Jüdinnen – im Falle einvernehmlicher Sexualbeziehungen, wenn die deutschen Soldaten weiterzogen. Dies macht deutlich, dass auch bei diesen einvernehmlichen Sexualkontakten auf Seiten der Frauen keineswegs von Freiwilligkeit die Rede sein kann. Denn meist hofften sie, als Geliebte eines Deutschen ihr Leben retten zu können. Oft aber wurde ihr vermeintlicher Beschützer ihr Mörder. Oder aber – und dies gilt für alle Frauen – sie waren auf die mit der Sexualverbindung einhergehenden materiellen Zuwendungen angewiesen, um nicht zu verhungern.

„Wenn Frauen am Leben bleiben wollten“, konstatiert die Autorin, „mussten sie sich eigentlich prostituieren“. In diesem Zusammenhang folgten das Oberste Kommando der Wehrmacht und das Oberste Kommando des Heeres einer zweigleisige Strategie. Während sie die „nichtbordellierter Prostitution“ kriminalisierten, bauten sie zugleich ein von ihr „kontrollierte[s] Bordellsystem“ auf. So sollte etwa die „‚Zeugung unerwünschter Bastarde‘ verhindert“ werden. Häufig durchsuchten deutsche Soldaten Cafés, Kinos oder Schlangen vor Arbeitsämtern auf der Suche nach Frauen, die sie verschleppten, um sie in den offiziellen Bordellen zur Prostitution zu zwingen. Gibt es an dem vorliegenden Buch etwas zu kritisieren, dann Mühlhäusers irreführende und verharmlosende Rede von „Sexarbeiterinnen“, wenn sie von Prostituierten spricht.

Die Abschnitte, in denen Mühlhäuser ihre Forschungsergebnisse über die von Angehörigen der deutschen Besatzungsmacht verübten sexuellen Gewalttaten vorlegt, zählen hingegen ebenso wie diejenigen über die sexuellen Gewalttaten deutscher Soldaten zu den wichtigsten und zugleich entsetzlichsten Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte. Bevor sie sich ihnen zuwendet, begründet sie ebenso ausführlich wie überzeugend, warum sie den in Teilen der Frauenbewegung und Geschlechterforschung seit längerem präferierten Begriff „sexualisierte Gewalt“ ablehnt und statt dessen dezidiert von „sexueller Gewalt“ spricht. So weist sie darauf hin, dass es bei sexuellen Gewalttaten nicht, wie der Ausdruck „sexualisierte Gewalt“ suggeriert, „ausschließlich um Macht geht“, sondern „dass auch gewaltsamer Sex Sexualität ist: Ein Vergewaltiger empfindet Lust, er genießt es, den (physisch und psychisch verfassten) Körper eines anderen Menschen gegen dessen Willen in Besitz zu nehmen.“ Beides, Sexualität und Gewalt seien in sexuellen Gewalthandlungen „untrennbar miteinander verwoben“. So zeigt sie, dass deutsche Soldaten die „unbegrenzte Macht“, die ihnen Massenerschießungen boten, dazu nutzten, ihre „sadistische Sexualfantasien auszuleben“. In einer zweiten Argumentationsschiene gegen den Begriff der sexualisierten Gewalt weist die Autorin darauf hin, dass „sich die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema immer stärker auf die Vergewaltigung als Waffe in genozidalen Konflikten [konzentriert]; die geschlechtsspezifischen Aspekte des Verbrechens drohen dabei gar verdrängt oder verleugnet zu werden.“

Dabei betont sie, dass auch Männer Opfer sexueller Gewalt sein können. Dennoch bleibe der Begriff Vergewaltigung gemeinhin „fast ausschließlich für Gewalttaten gegen Frauen reserviert“, was Antije Krog „als sexistische Abgrenzung“ interpretiere. Denn Männer, so zitiert sie Krog zustimmend, machen Vergewaltigung damit „zu einer Frauensache“. Auf diese Weise, so könnte man hinzufügen, wird der Opferstatus von Frauen zementiert. Dass „in der Bundeswehr der Begriff ‚sexuelle Gewalt‘ nur in Verbindung mit Frauen benutzt“ wird, trifft allerdings nicht mehr zu. Als im Frühjahr 2010 über Verdachtsfälle von sexuellen Vergehen gegenüber Wehrpflichtigen in der Augsdorfer General-Feldmarschall-Rommel-Kaserne berichtet wurde, betonten SprecherInnen der Bundeswehr ausdrücklich, es seien keine Frauen betroffen.

Im letzten Abschnitt wendet sich die Autorin der Frage zu, wie die nationalsozialistischen Behörden mit den Kindern umgingen, die deutsche Soldaten mit in den besetzten Gebieten einheimischen Frauen gezeugt hatten. Wie Mühlhäusler zeigt, verlangten deutschen Behörden von den Vätern, dass sie die Kinder dem NS-Staat überantworteten und ihre „väterliche Verantwortung“ an ihn abtraten. Jedenfalls, sofern sie ihm als ‚arisch‘ galten. Dass die Wünsche der Mütter bedeutungslos waren, verstand sich für die NS-Herren von selbst. Der SS-Reichsführer Heinrich Himmler beabsichtigte sogar, nach dem Krieg sein „Modell“ der „biologische[n] Vaterschaft ohne Verpflichtung zu väterlicher Verantwortung“ auf die deutschen Männer insgesamt anzuwenden. Wie die Autorin darlegt, sollten damit „Männlichkeitsmuster, die sich in heterosexuellen Zweier- und Familienbeziehungen konstituierten“ zu Gunsten einer Männlichkeit abgelöst werden, die „im sozialen Umfeld des militärischen Männerbundes“ geformt wurden. Aus ihnen heraus sollte „der soldatische Mann Frauen begegnen und schwängern“. Die Frauen wiederum hatten mittels Polyandrie „die Geburt ‚arischen‘ Nachwuchses“ sicherzustellen. Doch soweit ist es dank der Niederlage des NS-Staates nicht mehr gekommen.

Titelbild

Regina Mühlhäuser: Eroberungen. Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941-1945.
Hamburger Edition, Hamburg 2010.
416 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783868542202

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch