Von der wilden Ironie zum Universalkatholizismus

Harro Zimmermanns Wagnis einer Biografie Friedrich Schlegels

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist sicher kein Zufall, dass trotz der unbestrittenen geistesgeschichtlichen Bedeutung Friedrich Schlegels lange niemand eine Biografie dieses Autors zu scheiben wagte. Schließlich ist dieser Denker kaum mit dem Instrumentarium einer Einzelwissenschaft zu fassen, zu verzweigt waren seine Interessen und Tätigkeitsgebiete. Vor allem aber steht er geradezu musterhaft für ein Denkerleben, das in zwei Teile zerfällt, die nicht einfach miteinander in Einklang zu bringen sind.

Zunächst trat er als junger, vor Ideen und intellektueller Kampfeslust sprudelnder Autor an, der sich durch „erhabene Frechheit“ einen Namen machen wollte. Mit seinen Überlegungen zur modernen Literatur, zur Gattungspoetik oder zur Theorie der Kritik wurde er zum wichtigsten Programmatiker der Frühromantik. Schreiben in Fragmenten, romantische Ironie, Denken außerhalb fester Systeme und nicht zuletzt eine gesellige Lebensform im Zeichen von Kunst und Philosophie werden mit dieser ebenso kurzen wie intensiven Epoche verbunden. Der revolutionäre und hochgebildete Theoretiker bestimmte den literarischen, philologischen und philosophischen Diskurs um 1800 maßgeblich mit, scheute keine Konfrontation und ließ keinen Skandal aus. Umso erstaunlicher mutet es an, dass gerade der aus protestantischem Elternhaus stammende Schlegel als einer der ersten Romantiker sein Heil in den Armen der katholischen Kirche suchte und als „Metternichs Günstling“ (Peter Szondi) Vertreter einer restaurativen Politik wurde.

Entsprechend der biografischen Zweiteilung lässt sich die Schlegel-Forschung vereinfacht gesprochen in zwei Lager teilen. Die eine, quantitativ sicher größere Fraktion geht von einem Bruch in Leben und Werk des romantischen Programmatikers aus und schlägt sich zumeist auf die Seite des frühen Schlegel, um die Schriften nach der Konversion abzulehnen oder erst gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Eine andere, kleinere Fraktion ist um eine Rettung des „ganzen“ Schlegel bemüht, indem eine Kontinuität behauptet und eine nachvollziehbare Entwicklung konstruiert wird. Ein Autor, der sich an einer Gesamtdarstellung Schlegels versucht, kommt nicht umhin, sich mit diesem Konflikt zu befassen.

Harro Zimmermann ist sich durchaus bewusst, dass das Unternehmen „einer biographischen Geistesphysiognomie“ Schlegels ein „Wagnis“ ist, wie er nicht ohne Stolz vermerkt, zumal sich außer Ernst Behler – dem Übervater der modernen Schlegel-Forschung, der 1966 als erster eine schmale Biografie vorlegte – niemand an dieses riskante Unterfangen gewagt habe. Man kommt nicht umhin, Zimmermann für seine Risikofreude Anerkennung zu zollen. Der Biograf kommt ohne die Inszenierung eines radikalen Bruchs aus. Er umgeht dies, indem er eine bisweilen frappierende, insgesamt aber doch nachvollziehbare Entwicklung schildert. Es ist dem Autor um eine in sich stimmige Lebenserzählung zu tun. Diese Strategie wird indes originell verfolgt, da nicht nur im späteren Wirken Schlegels nach Fortsetzungen früher Ansichten gesucht wird, sondern vielmehr mit Vehemenz die nach der Konversion dominierenden Bereiche des Politischen und des Religiösen schon für das Frühwerk als von zentraler Bedeutung herausgestellt werden sollen. So werden bereits Kindheit und Jugend unter religiösen Vorzeichen diskutiert, wenn Zimmermann den jungen Schlegel als „prometheischen Gottesverächter“ charakterisiert und eine „verdrängte Glaubensspannung“ diagnostiziert, die in direkten Zusammenhang mit der späteren Hinwendung zur Religion gebracht wird. Zudem wird der ältere Schlegel bei jeder Gelegenheit als nonkonformer, noch immer revolutionärer Denker geschildert, wodurch eine grundlegende Kontinuität des Habitus suggeriert werden soll.

In elf Kapiteln wird buchstäblich Schlegels Lebensweg nachvollzogen. Der Biograf begleitet ihn bei seinen wichtigsten Stationen, die ihn nach seiner in Hannover verbrachten Kindheit unter anderem nach Leipzig, Jena, Berlin, Paris, Köln, Wien und Rom bringen. Heimisch geworden ist Schlegel Zeit seines Lebens in keiner dieser für die geistige Topografie Europas so zentralen Städte. Vielmehr erscheint er als nicht nur innerlich rastloser und getriebener Geist, sondern gleichsam als romantischer Odysseus, dessen verschlungene Pfade aber nicht nach Ithaka (einen solchen Ort gab es für Schlegel nicht) führen, sondern allenfalls in unendlicher Annäherung einem idealen Konstrukt namens „Deutschland“ zustreben.

Entlang dieses Weges soll der „ganze“ Schlegel vorgestellt werden – und dies nicht nur zeitlich, sondern auch und gerade hinsichtlich der diversen Tätigkeitsfelder. Verdienstvoll ist bereits, dass Schlegels von restaurationsideologischem und katholischem Gedankengut durchdrungene Spätphilosophie ebenso ernst genommen und ausführlich gewürdigt wird wie die ironischen und kunstenthusiastischen Frühschriften. Der Leser lernt Schlegel als Philologen, Kritiker, Literaturtheoretiker, Philosophen, Literarhistoriker, politischen und religiösen Publizisten, Legationsrat, Staatstheoretiker und „Ahnherren der modernen Tiefenpsychologie“ kennen. Das Bestreben, Schlegel nicht auf eine Lebensphase oder eine bestimmte intellektuelle Sphäre zu reduzieren, ist begrüßenswert. Diese universalistische Perspektive wird jedoch auf Kosten einer fundierten Kenntnis der einzelnen Bereiche eingenommen. Zimmermann stellt zentrale Texte Schlegels vor, indem er ihre Argumentation oberflächlich nachvollzieht, ohne sie kritisch zu hinterfragen oder auf historische und philologische Unstimmigkeiten hinzuweisen. Allerdings scheint der Verfasser hin und wieder ein Unbehagen hinsichtlich Schlegels Ansichten zu empfinden. Dies wird dadurch ersichtlich, dass er beispielsweise die schwer erträglichen späten patriotischen Ausführungen durch einen Rückgriff auf zu Lebzeiten unveröffentlichte Notizen Schlegels zu relativieren sucht, um aufzuzeigen, dass der „wahre“ Schlegel letztlich doch anders dachte.

Eine Enttäuschung stellt sich vor dem Hintergrund der Gattungszugehörigkeit der Publikation ein, die sich munter zwischen alle Stühle setzt, was leider ungünstige Auswirkungen auf seinen Gebrauchswert hat. Das Buch will eine „intellektuelle Biographie“ sein. Zimmermann versteht darunter offenbar die weitgehende Dispensierung der Notwendigkeit, sich mit biografischem Material zu beschäftigen, um sich stattdessen vorrangig mit den Entwicklungen im Denken Schlegels zu befassen. Es ist sehr bedauerlich, dass der Leser über Schlegels soziale Kontakte, die häufig von Arbeitsbeziehungen nicht zu trennen sind, nichts Nennenswertes erfährt. Der geneigte Leser hätte sich gewünscht, etwas über – um nur zwei der wichtigsten Figuren der frühen Phase ins Spiel zu bringen – Schlegels Beziehung zu Novalis zu erfahren, an dessen Totenbett er im März 1801 Wache hielt, oder über seine von den Zeitgenossen als „Ehe“ beschriebene Freundschaft zu Schleiermacher, die ein unrühmliches Ende fand. Nicht nur, dass Zimmermann über solche Dinge nichts Neues sagt – er sagt dazu schlechterdings überhaupt nichts. Auch spätere soziale Verflechtungen, etwa mit den Gebrüdern Boisserée, die in der Forschung häufig als gravierender Einfluss auf Schlegels Entwicklung nach der Auflösung des frühromantischen Kreises gesehen werden, geraten nicht hinreichend ins Blickfeld. Selbst Schlegels Ehefrau Dorothea bleibt merkwürdig konturlos. Ihr bedeutender, aber bislang noch nicht hinreichend diskutierter Einfluss auf Schlegels Entscheidung, zum Katholizismus zu konvertieren, ist beispielsweise ein Feld, auf dem sich ein Biograf Verdienste erwerben könnte. Zimmermann lässt solche Chancen allesamt ungenutzt. Er scheint sie noch nicht einmal als Chancen wahrzunehmen.

Ohnehin drängt sich die Frage auf, an welche Leser sich das Buch richten will. Ein breiteres Lesepublikum war für Schlegel noch nie zu gewinnen, was sich kaum je ändern wird. Schlegel ist mithin vor allem für ein akademisches Publikum interessant. Mit Lesern, die mit wissenschaftlichem Interesse an diese Biografie herantreten, wird jedoch recht unfreundlich umgegangen: Es gereicht dem Buch zur zweifelhaften Ehre, dass der Leser Fußnoten vermisst. Die zahlreichen und ausführlichen Zitate werden allesamt in Kursivschrift in den Text integriert, wobei die wenigsten nachvollziehbar und eindeutig nachgewiesen werden. Nun mag es sicher sehr schlegelesk sein, sich nicht an herkömmliche akademische Gepflogenheiten zu halten; allein, es wird nicht ersichtlich, welchen Schaden ein konsequenter Nachweis der Quellen dem Buch zugefügt hätte. Darüber hinaus meidet Zimmermann den Konjunktiv wie der Teufel das Weihwasser, so dass zuweilen nicht zu unterscheiden ist, wessen Ansichten der Text präsentiert. Dadurch erhärtet sich der Eindruck, dass der Autor sich allzu bereitwillig dem Denken seines Helden untergeordnet hat.

Zimmermann hat eine in dieser Form bislang beispiellose und umfassende Einführung in Schlegels Denken vorgelegt, die Entwicklung und Veränderungen eines Geisteslebens aufzeigt, ohne die jeweils einzelnen Stationen wahrhaft kritisch zu reflektieren oder zu hinterfragen. Um Aufschlüsse über biografische Details zu erhalten, bleibt nach wie vor nur die mühevolle Auseinandersetzung mit den Briefbänden der noch immer nicht abgeschlossenen Kritischen Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Für eine Biografie ein enttäuschender Befund.

Titelbild

Harro Zimmermann: Friedrich Schlegel oder die Sehnsucht nach Deutschland.
Schöningh Verlag, Paderborn 2009.
453 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783506767172

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