Gesichter sprechen

Zu Jeffery Deavers Kinesik-Thriller „Allwissend“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kathryn Dance ist die Ermittlerin in Jeffery Deavers neuem Roman „Allwissend“. Ihr Fachgebiet ist die Kinesik. Der aufmerksame Beobachter der Kriminalserien im TV kann gerade die ersten Folgen der ersten Staffel einer amerikanischen Serie namens „Lie To Me“ auf dem Bildschirm betrachten, die sich mit der Kinesik, einem Teilgebiet der ethologisch orientierten Kommunikationswissenschaft – ihr Untersuchungsgegenstand ist das Bewegungsverhalten des Menschen in seiner Bedeutung für die Kommunikation – beschäftigt. Im Bereich der Ermittlung werden der Mimik, Gestik, Motorik besondere Beachtung in Hinsicht auf Straftaten und Zeugenaussagen geschenkt – und inwiefern man mit Hilfe der Kinesik Aussagen von Zeugen und Tätern verifizieren oder widerlegen kann.

Dance ermittelt in einer mittleren Kleinstadt an der Westküste Nordamerikas. Ihr Mann war Polizist und ist ein Jahr vor Beginn der Romanhandlung im Einsatz zu Tode gekommen. Ihre Mutter arbeitet als Krankenschwester in einer Klinik und wird angeklagt, Sterbehilfe bei einem schwerkranken Polizisten geleistet zu haben. Und der Fall, den Dance bearbeiten muss, beinhaltet mehrere zuerst vermeintlich heterogene Elemente: die Entführung von Teenagern, Mordversuche an diesen, ein verdächtiger Onlinegamer, ein seltsamer Betreiber eines Internet-Blogs – und dazwischen ein auf Medienwirksamkeit bedachter Staatsanwalt, der sich auf Kosten der lokalen Ermittler und Behörden profilieren möchte. Dabei behält Deaver souverän die Handlungsführung im Auge, vermittelt die nötigen Informationen, die der Leser benötigt, um den „Tatort Internet“ zu verstehen und versäumt es auch nicht, den Figuren Charakter zu verleihen und sie in sympathische Zeitgenossen zu verwandeln. Die Kinesik wird von Agent Dance immer wieder genutzt, bleibt aber auch dezent im Hintergrund, so dass man sich nicht in kriminaltechnischen Diskursen verliert, wie es an anderer Stelle schon zu finden war. Daneben hat Deaver vor allem auch die Veränderungen im Auge, die die Digitalisierung der Welt mit sich bringt. So formuliert er eine treffende Beschreibung der Veränderungen des Journalismus aus der Perspektive des Bloggers Chilton, in dessen Blog der vermeintliche Täter seine Opfer aussucht: „Nur die Wortgewandten, die Gebildeten – und die Gemäßigten – dürfen sich äußern? Nun, dann herzlich willkommen in der neuen Welt des Journalismus, Agent Dance. Hier gibt es freien Austausch von Ideen. Sehen Sie, es dreht sich nicht mehr alles um die großen Tageszeitungen, die namhaften Kolumnisten und Chefredakteure. Es geht um das Volk.“

Trotzdem geht die Erzählung an ein paar Stellen etwas zäh von der Hand und man hat in der Mitte des Buches das Gefühl, dass die Substanz fast aufgebraucht ist. Aber Deaver führt die Handlungsstränge zusammen und den Leser zu einem unvermuteten und überraschenden Plot. Mit Dance wurde eine interessante neue Figur in Deavers Universum eingeführt und man ist gespannt, wie sich diese entwickeln und entfalten wird. Zu hoffen ist, dass der Leser nicht zum letzten Mal an der Ermittlungsarbeit von Kathryn Dance teilnehmen darf.

Titelbild

Jeffery Deaver: Allwissend. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Haufschild.
Blanvalet Verlag, München 2010.
541 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783764503369

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