Wurzelbehandlung

Elke Pilz hat elf biografische Essays zu „bedeutenden Frauen des 19. Jahrhunderts“ zusammengestellt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Erst spät“ habe man die „Qualität“ von Elisabeth Barrett-Brownings poetischem Œuvre erkannt, meint Gerhard Danzer und hält die Entdeckung der englischen Autorin im deutschen Sprachraum Rainer Maria Rilkes „kongeniale Übersetzungen“ zu Gute. Tatsächlich aber hat Helene von Druskowitz die Lyrikerin bereits 1885 in ihrem Buch „Drei englische Dichterinnen“ dafür gepriesen, dass sie in ihrem Vaterlande „unerreicht“ sei. In Deutschland, so fährt sie fort, sei Annette von Droste-Hülshoff „die einzige Ebenbürtige“. Zur Zeit dieses fulminanten Lobes stand Rilke gerade mal in seinem zehnten Jahr. Immerhin aber verweist auch Danzer darauf, dass Barrett-Brownings 1844 erschienene Gedichtsammlung Londons Kritiker „begeistert[e]“, die sie „kurzerhand zu Englands bedeutendster lebender Dichterin“ erklärten. Nachzulesen ist das – mit Ausnahme der Zitate von Druskowitz – alles in einem von Elke Pilz herausgegebenen Band mit elf Essays über „[b]edeutende Frauen des 19. Jahrhunderts“, zu dem Danzer neben Beiträgen über George Eliot und Ellen Key eben auch einen zu Elisabeth Barrett-Browning beigesteuert hat.

Wie die Herausgeberin darlegt, sollen die biografischen Essays „exemplarisch“ zeigen, „wie sehr die Frauenemanzipation des 20. Jahrhunderts hinsichtlich inhaltlicher und formaler Gesichtspunkte im 19. Jahrhundert wurzelt“. Nun bestehen diese Wurzeln zweifellos, freigelegt werden sie in den vorliegenden Arbeiten jedoch nur bedingt. Dass die Beiträge als Essays nicht ausnahmslos wissenschaftlichen Kriterien standhalten, versteht sich, auch wenn manche von ihnen ganz offenbar den Anschein erwecken wollen, indem sie beispielsweise mit einer „Conclusio“ schließen. Und gelegentlich stolpert man bei der Lektüre eines Beitrags auch schon einmal über stilistische Unebenheiten, die einem Versuch der Anverwandlung an den Stil der Altvorderen geschuldet sein dürften. Oder sollte etwa von Leihmutterschaft die Rede sein, wenn Renate Köpke konstatiert, dass 1786 „dem Ehepaar Seidler in Jena die Tochter Caroline Sophie Louise geboren [wurde]“. Leihmutterschaft im 18. Jahrhundert? Das wäre sensationell. Weniger sensationell ist, dass sich das Töchterchen später als erwachsene Frau für die „künstlerische Entwicklung“ eines Mannes verwandt, indem sie ihm Modell stand. Das taten viele. Doch trat die „Virtuosin der Freundschaft“ aus diesen Vielen hervor, da sie selbst Malerin war und sich von Kersting einzig malen ließ, um den Verkauf der Bilder des unbekannten Kollegen am Weimarer Hof zu befördern.

Nicht für einen bestimmten Mann, sondern für alle Frauen machte sich hingegen Meta von Salis stark. Genauer gesagt für deren Recht zu wählen und sich wählen zu lassen. Gisela Schwarz berichtet nun, dass die frühe Frauen(stimm)rechtlerin aufgrund ihrer persönlichen Bekanntschaft mit Friedrich Nietzsche feststellen konnte, dass der Aphoristiker und Altphilologe „im Grunde kein Frauenverächter war, ihm aber ein anderer Frauentyp vorschwebte als das konservative Frauenbild“. Wenn sie da mal nicht irrte. Die bereits erwähnte Helene von Druskowitz etwa war ebenfalls mit Nietzsche bekannt und urteilte ganz anders. Von Salis aber verehrte den Propagandisten des Übermenschen in einem Buch als „Edelmensch“. Es erschien 1897, also zwei Jahre, nachdem Lou Andreas-Salomé, die Dritte im Bunde der Nietzsche-Bekannten, den mit grobem Handwerkszeug Philosophierenden auf die Couch gelegt hatte.

Die Herausgeberin selbst ist mit einem Text über die „Pädagogin aus Leidenschaft“ Betty Gleim vertreten, die heute zwar weithin vergessen ist, ihrerzeit aber mit 15 Bücher an die Öffentlichkeit trat. In dem wichtigsten, dem 1818 erschienenen Werk „Erziehung und Unterricht des weiblichen Geschlechts“, tritt sie Rousseaus Vorstellungen weiblicher Bildung entgegen, die dieser an dem seinem fiktiven Zögling Emile zur Seite gestellten Mädchen Sophie exemplifizierte.

Weitere Essays gelten so namhaften Frauen wie Maria Montessori (Barbara Gucek), George Sand ( Ellen Ellrodt-Schmähl), Annette von Droste-Hülshoff (Marlies Frommknecht-Hitzler), Selma Lagerlöf (Marianne Roehl-Schlott und Rüdger Schlott) und der ebenfalls mit Nietzsche bekannten Malwida von Meysenbug (Josef Rattner).

Titelbild

Elke Pilz (Hg.): Bedeutende Frauen des 19. Jahrhunderts. Elf biographische Essays.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2010.
224 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783826043154

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