Afrikanische Vergangenheitsbewältigung

Bernhard Jaumann versucht sich in seinem Kriminalroman „Die Stunde des Schakals“ an der Beantwortung der Frage, was Gerechtigkeit sei

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Nachwirkungen gesellschaftlich etablierter Gewalt, einer Staatsmacht, die über Jahrzehnte mit allen Mitteln die Überlegenheit eines rassistischen Systems zu beweisen sucht, sind kaum zu unterschätzen. Staatlich sanktionierte Gewalt wirkt lange nach – der Wunsch nach Sühne, Recht, Gerechtigkeit wirkt aber eben nicht nur als Instrument, vormalige Gewalt auszubalancieren. Er ist auch ein Instrument, Gegenwart zu bestimmen.

Gerade dieser zwiespältige Charakter des Rechtsempfindens kann den Übergang von Gewaltregimes zu zivilen Gesellschaftsformen deutlich stören. Freilich bleibt auch dann noch die Frage, ob es eine Alternative zu einer rechtlichen Aufarbeitung von Vergangenheit gib. Eine, die sich aufs subjektive Rechtsempfinden stützt, kann sie jedenfalls nicht bieten – nicht zuletzt, weil es mit gutem Grund irren muss.

Die Frage nach dem Recht und dessen einzig legitimen Träger beschäftigt den Kriminalroman in den letzten Jahren intensiv. Legalisten stehen dabei Legitimisten beinahe unversöhnlich gegenüber. Legalisten wollen das Recht in die Hände der Betroffenen legen und jedes formale Verfahren unterlaufen, weil sie ihm nicht zutrauen, korrektes Recht zu sprechen. Das führt zu gerechten Morden und legitimen Hinrichtungen ohne jeden Rechtsanspruch von Tätern.

Dem stehen jene gegenüber, die in jedem Fall das Rechtsverfahren gewahrt sehen wollen, auch auf die Gefahr hin, dass es die offensichtlichen Täter ungestraft davon kommen lässt, weil die Beweise nicht reichen oder Formalia verletzt wurden. Dass aufgrund von Täterrechten Taten ungesühnt bleiben, ist dabei eines der moralischen Dilemmata, die der Krimi-Legalismus entstehen lässt. Dennoch bleibt es eines der Basisprinzipien des Rechtsstaats, jemanden davonkommen zu lassen, weil er als Täter nicht zweifelsfrei erkannt ist.

Bernhard Jaumann diskutiert diese Problematik nun anhand eines Falls aus dem südlichen Afrika. In Namibia werden ehemalige Agenten eines südafrikanischen Geheimdienstes, der in den Spätzeiten der Apartheid aggressiv gegen die Anti-Apartheid-Bewegung vorgegangen ist, ermordet. Sie waren, wie es aussieht, allesamt am Mord an einem weißen Aktivisten der Bewegung beteiligt, der aber ungesühnt geblieben ist – aus welchen Gründen auch immer verliefen die Ermittlungen im Sande. Anklage wurde nie erhoben, die Täter kamen unbehelligt davon und leben mittlerweile in den verschiedenen Staaten des südlichen Afrikas.

Eine junge schwarze Polizistin wird als Ermittlerin eingesetzt, eingespannt in ihr anstrengendes Familienleben, das durch ihren nutzlosen Bruder und zahlreiche Tanten geprägt wird, und in ihren Ermittlungen durch schläfrige Behörden und Vorgesetzte, denen die Ermittlungslinien nicht zu passen scheinen, behindert.

Die Verbrechen treffen dabei Opfer, die im alten Regime erbarmungslose Täter waren – was nun geschieht, ist also in einem höheren Sinne rechtens? Immerhin wäre das zu fragen. Und die schwarze Polizisten, Clemencia Garises, ist immerhin so als Figur gezeichnet, dass ihr solche Überlegungen keineswegs fremd sind.

Freilich lässt sie sich von solch naheliegenden Haltungen ebenso wenig beeinflussen wie von ihren Kollegen, die sich in die eine oder andere Spur hartnäckig verbeißen. Da ist einer, der sich nur dadurch auszeichnet, dass er tut, was man ihm sagt. Ein weiterer verfolgt die Vermutung, dass die SWAPO selbst hinter dem Mord gesteckt haben muss. Der Chef selbst hetzt sie auf die Möglichkeit, dass ein einigermaßen lohnenswerter Diamantenschmuggel hinter den Morden steckt, die Opfer also nur zufällig auch alte Regimeagenten sind.

Parallel mit den Ermittlungen Garises wird der Erzählstrang um den Killer selbst geführt, den wir bei seinen Reisen und seinen Morden begleiten dürfen. Dass er krank ist, ist offensichtlich, dass er auf den Tod krank ist, wird mit der Zeit erkennbar, dass er nicht aus dem Nichts auftaucht, sondern unvermutet Verbindungen zu einer der Figuren hat, die bereits mit dem Mord an dem SWAPO-Aktivisten beschäftigt waren und damals mit der Verfolgung der Täter gescheitert sind, stellt sich mit der Zeit heraus.

Es ist dabei ermutigend, dass Jaumann bereits mit der Anlage seines Krimis die eingangs thematisierten Überlegungen zur Legitimität der Rache – denn um nichts anderes handelt es sich hier – erzählerisch umgesetzt hat. Mit dem Mörder, der Mörder tötet, wird aber kein Held etabliert, nicht einmal ein ehemaliges Opfer, dessen Handeln Verständnis fordert. Der Killer ist ein Killer, auch wenn er meint, der Gerechtigkeit zu dienen. Auch der nach Gerechtigkeit suchende ehemalige Richter, der im Leben nach dem Amt das Recht in die eigene Hand nimmt, wird nicht entschuldigt. Jaumann unternimmt stattdessen den Versuch, den Selbstgerechten wieder dem Rechtssystem zuzuführen. Und das wirkt sogar einigermaßen plausibel.

Titelbild

Bernhard Jaumann: Die Stunde des Schakals. Roman.
Kindler Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010.
317 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783463405698

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