„Ich gönne mir das Wort Gott“

Georg Langenhorst beleuchtet mit seinem Buch die beeindruckende Vielfalt literarischer Gottesrede in der Gegenwartsliteratur

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von einer „Renaissance des Religiösen“ in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur war in den vergangenen Jahren in den Feuilletons immer wieder die Rede. Namen wie Arnold Stadler, Thomas Hürlimann, Gabriele Wohmann, Patrick Roth, Andreas Maier, Ralf Rothmann, Petra Morsbach, Felicitas Hoppe, Sibylle Lewitscharoff, Ulla Hahn und einige andere werden in diesem Zusammenhang immer wieder genannt, wenn der deutschsprachigen Literatur ab den 1990er-Jahren eine „neue Unbefangenheit“ gegenüber religiösen Phänomenen bescheinigt wird.

Für den Augsburger Religionspädagogen Georg Langenhorst ist der auch von der Soziologie konstatierte Befund einer stärkeren Thematisierung von Religion und Konfession Ausgangspunkt seiner weitverzweigten „Spurensuche nach literarischen Annäherungen an Gott“. Gegliedert in drei Teile gibt Langenhorst unter der Perspektive „Religion und Gottesfrage“ einen beeindruckenden „Panoramablick“ auf eine „literarische Landschaft“ der Gegenwart frei, wohlwissend, dass „deren Vielfalt, Lebendigkeit und Dynamik sich einer statischen und strukturierten Erfassung entzieht.“

Nach einer „Hinführung“, die die Gefahr der Funktionalisierung von Dichtung bei einer bloß inhaltlichen Diskussion literarischer Gottesrede benennt und dieser Gefahr durch die Berücksichtigung der Konsequenzen „einer derartigen Poetologie der literarischen Gottesrede für eine theologische Gottesrede“ begegnen möchte, folgt im ersten Teil der exemplarische Blick auf eine „christliche Literatur“, die „bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts“ das „Spektrum der Hochliteratur“ bereicherte und entsprechend „viel gelesen, breit diskutiert“ und „preisgekrönt“ war. „Vor allem zwei Namen repräsentieren im deutschen Sprachraum die ‚christliche Literatur‘ – ein immer umstrittener, dennoch sinnvoller und kaum verzichtbarer Begriff: einerseits Gertrud von le Fort, die in gleich bleibendem Stil und Geist noch bis in die 70er Jahre hinein weiter schrieb, andererseits Reinhold Schneider, der zentrale Texte zu dieser Tradition beisteuerte, gleichzeitig deren Grenzen erkannte und benannte.“

Während le Forts Werk sich überwiegend in der „Welt des Historischen“ bewegt und um die „traditionellen Kernbegriffe von Opfer, Sühne, Stellvertretung“ und Gnade kreist, steht das umfangreiche Werk Schneiders am Ende für den „Zweifel“ – anstelle von Affirmation, „an die Stelle der Sehnsucht“ tritt Distanz, an die Stelle der Orientierung an klassischen Gattungen treten zerbrechende Formen und Fragmente. Damit sollte er den Weg in die „Zukunft“ der Hauptströme literarischer Gottesrede weisen, auf Texttraditionen, die in den 1950er und 1960er-Jahren vorherrschend werden sollten.“

Außer einem Blick auf das Werk der Wiener Lyrikerin Christine Busta, die „im Wissen um die Brüche und die Sprachkrise des 20. Jahrhunderts“ in ihren Gedichten – häufig unter Verwendung biblischer Motive und Themen, wie auch der bewussten Fort- und Um-Schreibung der Psalmen – neue Wege der Gottesrede sucht, bietet der erste Teil auch eine Beleuchtung der Texte Ernst Meisters, des „Hermetikers aus Westfalen“, nach Langenhorst „der vielleicht ernsthafteste Verfasser einer poetisch verdichteten ‚negativen Theologie‘ des 20. Jahrhunderts.“

Der zweite Teil widmet sich der „literarischen Gottesrede heute“, indem Langenhorst „konfessionelle Identität zwischen Besinnung und Abgrenzung“ betrachtet. Dabei wird deutlich: „Der Katholizismus entfaltet in der Literatur unserer Zeit eine deutlich stärkere Wirkungskraft als die evangelische Tradition, die für die Ausbildung der deutschsprachigen Hochliteratur im 18. und 19. Jahrhundert verantwortlich war.“

So klagte denn auch vor über 100 Jahren der badische Pfarrer und Schriftsteller Heinrich Hansjakob, der durch den Konstanzer Arzt, Maler und Schriftsteller Andreas Beck (siehe literaturkritik.de 7/2010) wieder stärker ins Bewusstsein gerückt ist, in seinen „Nachtgesprächen“ mit Recht: „Dass wir Katholiken aber in der ‚Schönen Literatur‘ so zweifellos rückständig sind, hängt sicher mit dieser scheinheiligen Kritik zusammen, welcher katholische Schriftsteller ausgesetzt sind. Aber traurig ist es, dass es unter den Katholiken in unseren Tagen, wo der Zug nach Freiheit durch alle Stände geht und wo die Zeiten vorbei sind, in welchen die Autorität alles war, – dass es so viele Leute gibt, die das Wort des Apostels: ‚Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit‘ – in keiner Weise kennen und die Zeter und Mordio und gleich nach dem Ketzerrichter schreien, wenn einmal ein freies Wort fällt im eigenen Lager und über eigene Fehler und Schwächen.“

„Zeter und Mordio“ wurde aus manchen Ecken auch noch zu Zeiten Heinrich Bölls, des „‚Urvaters‘ sämtlicher konfessioneller Stilisierungen im Rahmen aktueller Literatur“ geschrien. Böll hat jedoch, so Langenhorst, „bis heute keine direkten literarischen Erben gefunden“. Spuren des Böll´schen Erbes finden sich am ehesten noch in den Werken Hanns-Josef Ortheils, Ulla Hahns und Ralf Rothmanns, wobei Letzterer mit einer „religiös motivierten Poetologie“, einer „stillen Aufmerksamkeitsbeziehung zum Unscheinbaren“ als „vielleicht kreativster literarischer Erbe Heinrich Bölls gelten“ kann, während sein „Konstruktionsprinzip ‚Vergegenwärtigung durch klingende Symbolik‘, seine indirekte Annäherung über die Milieuschilderung an die Gottesfrage Arnold Stadler eher als „ein literarischer Erbe Reinhold Schneiders“ erscheinen lasse.

Nach längeren Ausführungen zum Werk Thomas Hürlimanns und Petra Morsbachs, Bemerkungen zu Christoph Meckel, Markus Orths, Paul Ingendaays und Veronika Peters zieht Langenhorst ein vorsichtiges Zwischenfazit: „Gerade der lange Zeit kulturell marginalisierte Katholizismus wird gegenwärtig zu einer Quelle Literatur produzierender Anregung. Die Reflexion und Spiegelung der Gottesfrage ist bei vielen Schriftstellerinnen und Schriftstellern unserer Zeit gekoppelt an eine konfessionelle Selbstbesinnung, deren konkrete Verortung im weiten Feld von kritisch-affirmativer Zustimmung und Identifikation bis hin zu reflektierter Distanz changieren kann.“

Weit weniger intensiv scheinen derzeit literarische Auseinandersetzungen um religiöse Themen und die Gottesfrage auf evangelischer Seite, auch wenn Autoren wie Kurt Marti, Eva Zeller und Gabriele Wohmann ihre „binnenchristliche Erfahrung in binnenchristlicher Sprache“ neu und verdichtet erzählen und Schriftsteller wie Friedrich Christian Delius, Adolf Muschg oder Elisabeth Altenweger, Claudia Schreiber oder Arno Orzessek sich auf je eigene Weise mit „dem Phänomen der Gottesvergiftung, einer streng bis fundamentalistisch christlich-evangelischen Erziehung“ sich pointiert auseinandersetzen. Auch aus jüdischer Perspektive etwa bei Barbara Honigmann und Matthias Hermann erscheinen religiöse Identität und Gottesfrage alles andere als obsolet.

Im dritten Teil seiner materialreichen Monografie untersucht Langenhorst die literarische „Gottesrede als Sprachsuche“, wobei längere Ausführungen den Texten Patrick Roths gelten, dessen Poetologie die Annäherung an Jesus und über Jesus überwiegend mittels „Verfremdung über Sprache“ vollziehe. Texte von Lewitscharoff und Hoppe werden ebenso beleuchtet, wie das Thema „Religion und Gott auf der Theaterbühne“ und nicht zuletzt „Annäherungen an Gott in der Gegenwartslyrik“. Ausführungen zu Michael Krüger, zu Hans Magnus Enzensberger folgen hier ebenso wie zu Dorothea Grünzweig, Ludwig Steinherr, Dirk von Petersdorff, Christian Lehnert und Jan Wagner.

Wenngleich die in der Hinführung von Langenhorst genannten Konsequenzen der eines beeindruckend weitgespannten Bogens literarischer Gottesrede für die theologische Gottesrede letztlich nur implizit erschlossen werden können, nämlich als Fruchtbarmachung einer „Sehnsuchts-Chiffre“, bleibt Langenhorsts Studie, die in ihrem Titel einen Satz von Andreas Maier aufgreift, eine beeindruckende „Momentaufnahme“ eines breiten Spektrums der „Annäherungen an Gott in der Gegenwartsliteratur“. Theologisch gilt es das zur Sprache zu bringen, was Arnold Stadler in seinen Anmerkungen zu Fotos von Jan von Holleben unter dem Titel „Träumen vom Fliegen“ so umschreibt und um schreibt: „Der Anblick des Sky löst manchmal eine gewaltige Sehnsucht nach Heaven aus. Ja, ich glaube sogar, dass ohne Heaven der Sky nicht viel wert wäre, nichts als ein blaues oder schwarzes Loch, das den Betrachter in Angst und Panik versetzen würde, in einen Horror Vacui. […] Heaven ist Sehnsucht – Hoffnung minus Erfahrung.“ Hiervon ein literarisches Kaleidoskop geliefert zu haben, ist das nicht geringe Verdienst dieser Studie.

Titelbild

Georg Langenhorst: "Ich gönne mir das Wort Gott". Gott und Religion in der Literatur des 21. Jahrhunderts.
Herder Verlag, Freiburg 2009.
328 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783451322266

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