Die Blutspende in der Coca Cola-Flasche

Christian Schmitt erklärt, wie Pathos großes Gefühlskino erzeugt

Von Jutta LadwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Ladwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Aristoteles gilt Pathos neben Ethos und Logos als Überzeugungsmittel der klassischen Rhetorik. Pathos verleiht einer Rede einen emotionalen Appell, welcher durch gewagte Metaphern und starke rhetorische Figuren erzeugt wird. Ein geübter Redner kann diesen rhetorischen Mitteln durch Stimmführung, Mimik und Gestik seinen Worten zusätzliche Stärke verleihen und so das Publikum von sich überzeugen.

Auch heute noch ist Pathos ein wirkungsvolles Mittel, um gesellschaftliche Wirklichkeiten zu entwerfen. George W. Bushs „Bericht zur Lage der Nation“, der im Zuge der Ereignisse des 11. Septembers verfasst wurde, ist ein anschauliches Beispiel dafür: Mit Wortkonstruktionen wie „Krieg gegen den Terror“, „Achse des Bösen“ oder „Kampf der Freiheit“ soll die Nation Amerika gegen feindliche Übergriffe auf ihr Vaterland mobilisiert werden. Ein derartiges Pathos schafft kollektive Identitäten und Feindbilder und definiert außerdem einen gemeinschaftlichen Werte- und Sinnhorizont, mit dem sich jeder identifizieren kann.

Allerdings ist die Rede nicht das einzige Medium, die sich des Pathetischen bedient. Auch das zeitgenössische Kino greift darauf zurück, um beim Publikum die ganz großen Gefühle zu erzeugen. Aber wie funktioniert Pathos im Film, und mit welchen Elementen kann man ihn erzeugen? Christian Schmitt ist in seiner Dissertation „Kinopathos – Große Gefühle im Gegenwartsfilm“ diesen Fragen nachgegangen. Anhand ausgewählter Beispiele wie etwa Quentin Tarantinos „Kill Bill“, „Pearl Habor“ von Michael Bay oder Michael Moores „Bowling for Colombine“ erläutert Schmitt, wie Pathos in diesen Filmen zum Ausdruck kommt. Außerdem stellt er unterschiedliche Bilder vor, mit denen das Pathetische in Szene gesetzt wird, wie Zitatbilder, Aktionsbilder oder auch Bildsprünge und Berührungsbilder.

Bildzitate spielen in Tarantinos „Kill Bill 1 & 2“ eine große Rolle, um Pathos zu erzeugen: Durch das Zitieren von bedeutenden Szenen aus Sergio Leones Western-Klassikern „The Good, the Bad, and the Ugly“ oder „For a few Dollars more“ werden die Pathos-Formeln des Western – wie Duelle und die Ankunft des Protagonisten oder Antagonisten in der Western-Stadt – beschworen. Tarantino greift verschiedene Szenen auf, die dem Kinobesucher vertraut sind, und passt sie in seinen Film ein. Schmitt spricht hier von einem „Pathos auf zweiter Stufe“.

Michael Bay hingegen gestaltet das Pathetische in seinem Kriegsdrama „Pearl Harbor“ durch Ideologie und mit einem visuell-akustischem Spektakel, den A(ttra)ktionsbildern. Weil die Ampullen ausgegangen sind, wird die Blutspende der beiden Soldaten Danny und Rafe in zwei Coca Cola-Flaschen aufgefangen – ein ausdrucksvolles Bild für den amerikanischen Patriotismus, denn diese Blutspende wird so zu „zum Akt der Aufopferung für das gesamte Vaterland“, welches durch die beiden Coca Cola-Flaschen repräsentiert wird, einem gängigen Symbol für Amerika.

Kritik an derartiger Vaterlandsliebe übt Michael Moore in „Bowling for Colombine“. Szenen aus der Berichterstattung über das Attentat an der Colombine High School und Interviews mit Augenzeugen stellt Moore eine Sitzung der National Rifle Association gegenüber, auf der Hollywoodstar Charlton Heston über das Jedermannsrecht auf Feuerwaffen referiert. Die abschreckende Darstellung der Konsequenzen, die dieses Waffenrecht mit sich bringt, wird mittels der emotionalen Augenzeugenberichte greifbar. Das dadurch hervorgerufene Pathos bewirkt in diesem Fall eine kritische Diskussion.

Schmitt zeigt auf, dass hinter den emotionalen Bildern des Gegenwartsfilms mehr steckt, als es sich dem Zuschauer auf den ersten Blick offenbart. Große Gefühle werden mit pathetischen Formeln erzeugt, die auf den Konzepten der klassischen Rhetorik basieren. In einem umfassenden Theorieteil stellt Schmitt die unterschiedlichen Konzepte des Pathetischen vor. Berücksichtigt werden die antiken Philosophen Aristoteles, Platon und Sokrates, sowie das Pathetisch-Erhabene Friedrich Schillers und das Pathos der Postmoderne. Dieser Teil der Studie ist im Verglich zu den anschaulichen und nachvollziehbaren Filmanaylsen für den Laien schwer verständlich, da die Kenntnis bestimmter Fachbegriffe vorausgesetzt wird. Auch der umfassende Forschungsüberblick spricht überwiegend das Fachpublikum an.

Christian Schmitts Dissertation richtet sich in erster Linie an Studenten, Doktoranden oder Professoren. Jedoch bieten die Untersuchungen von Blockbustern wie „Titanic“, „Gladiator“ oder „Der englische Patient“ dem passionierten Kinofreund interessante (Bild-)Details, die ihm diese Filme aus einen ganz an deren Blickwinkel heraus präsentieren.

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Christian Schmitt: Kinopathos. Große Gefühle im Gegenwartsfilm.
Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2009.
192 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783865053091

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