Hofräte, Kommis und sonstige Unrechte

Anke Heimberg erwirbt sich mit der Herausgabe eines vergessenen Romans der von den Nazis ermordeten Schriftstellerein Lili Grün ein bleibendes Verdienst

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lili Grün ist eine der viel zu zahlreichen AutorInnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, deren literarische Karriere durch den Nationalsozialismus abrupt beendet wurde. Doch nicht nur ihre Bücher wurden verbrannt. Die einst von der Presse ihrer Heimatstadt gefeierte Wienerin selbst wurde von den Nazis im Mai 1942 gemeinsam mit nahezu tausend weiteren Wiener JüdInnen ins weißrussischen Maly Trostinec verschleppt und dort unmittelbar nach der Ankunft ermordet. Da war sie gerade mal 38 Jahre alt.

Zu denjenigen, die dafür Sorge tragen, dass ihr Werk dem von den Nazis intendierten Vergessen entrissen wird, zählt ganz zuvorderst die Germanistin Anke Heimberg. Ihr ist es zu danken, dass Grüns 1933 erstmals erschiener Roman „Alles ist Jazz“ neu herausgegeben wurde, der damals noch „Herz über Bord“ hieß. Es ist dies das erste der Werke Lili Grüns aus den 1930er-Jahren, das bisher wieder aufgelegt wurde. Dass dies, auch ganz unabhängig von der Biografie und dem schrecklichen Schicksal der Autorin, eine Schande ist, belegt das vorliegende Buch mit jeder Seite. Damit, es herausgegeben zu haben, hat sich Anke Heimberg ein Verdienst erworben, das gar nicht hoch genug zu veranschlagen ist. Ein Verdienst um das Buch und um die Autorin. Aber auch um das Publikum, dem der Roman nun endlich wieder zugänglich ist.

Erzählt ist dieses Stück melancholisch-humorvoller Literatur voller Zeitkolorit überwiegend aus der Sicht der jungen Elli, einem „kleine[n] Wesen voll Ehrgeiz, Arbeitsfreude, Sehnsucht und Hunger“, zu dem ihre Zeitgenossinnen Gilgi und Doris von Unweit herüberwinken. Im Berlin der Weimarer Republik gründet sie mit Gleichgesinnten aus der Spätbohème ein Kabarett. Erscheint sie zu Beginn als fast unterwürfiges kleines Hascherl, so erweist sie sich im Laufe ihrer Geschichte, in der Liebe mehr Leid als Lust bedeutet, als eigentlich starke Frau. Auch wenn sie oft vor Hunger mager ist, was so manchen Männern gefällt. Die wiederum werden von ihr ähnlich kategorisiert wie schon früher von einer Ich-Erzählerin der wunderbaren Reventlow, nur dass es bei Elli nicht Päule und Pedros sind, sondern „Kommis“ und „Hofräte“, jedenfalls aber immer „bloß Unrechte“. „Die Hofräte, das sind die Langweiligen, die Pedanten, die wir deswegen für verlässlich halten, und dann sind sie bloß engherzig… Und die Kommis, das sind die Taugenichtse, die Flaneure, von denen wir glauben, daß sie Phantasie haben, weil sie unbeständig sind, und dann sind sie bloß wahllos!“ Der heißersehnte „Rechte“ neigt hingegen dazu, für immer der zu bleiben, „auf den man wartet, den man sich ausmalt“. Und wenn doch mal ein Angehöriger dieser raren Spezies „daherkommt, ist er schon doof, gewöhnlich und langweilig“.

Nicht nur das Verbrennen und Verglühen von Liebesleidenschaften, auch das Entflammen, Aufleuchten und Erlöschen des kleinen titelstiftenden Kabaretts namens „Jazz“ durchleben die Lesenden mit Elli und ihren GefährtInnen. Trotz eines Happy Ends in Form eines neuen, sogar etwas prestigeträchtigen Engagements, fragt sich die Protagonistin am Schluss, ob „es wirklich der Mühe wert“ ist, „dieses Weiterleben“. Dabei erweist sich das Buch als Roman, der zeigt, dass es im Leben eben nicht so zugeht, wie es dies gemeinhin in der Literatur zu tun pflegt. Und auch nicht beim Sterben.

Wie Heimberg in ihrem kenntnisreichen Nachwort anmerkt, lobte Hilde Spiel Grüns Werk als „zarten Roman“. Ja, das ist er. Auch das.

Titelbild

Lili Grün: Alles ist Jazz. Roman.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Anke Heimberg.
AvivA Verlag, Berlin 2009.
215 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783932338366

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