Die Vulkane des Marxismus sind noch nicht erloschen

Emil Walter-Busch hat die „Geschichte der Frankfurter Schule“ aufgeschrieben

Von Galina HristevaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Galina Hristeva

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei schwerwiegende Diagnosen haben die vom Schweizer Soziologen Emil Walter-Busch verfasste neue Geschichte der Frankfurter Schule nach sich gezogen: die Überzeugung von der Vitalität und Überlebensfähigkeit dieser Schule sowie die Feststellung, dass „die Vulkane des Marxismus“ nicht erloschen sind.

Der Autor, der bei Theodor W. Adorno promoviert hat und auch von Friedrich Pollock „wohlwollend gefördert“ wurde, wie er dies selbst in seinem Vorwort bekennt, übernimmt es, in einer vom Umfang her sehr übersichtlichen Darstellung einen Überblick über die wichtigsten Ideen und Positionen, die einflussreichsten Vertreter sowie die Hauptstationen der institutionellen Entwicklung der Frankfurter Schule von der Gründung des „Instituts für Sozialforschung“ im Jahre 1924 bis 1970 zu zeichnen.

Eine äußerst konzise, stark satirisch gefärbte ,Geschichte‛ des „Instituts für Sozialforschung“ hat schon Bertolt Brecht in seinem „Arbeitsjournal“ am 12. Mai 1942 entworfen: „mit eisler bei horkheimer zum lunch. danach schlägt eisler für den TUIROMAN [Intellektuellenroman] als handlung vor: die geschichte des frankfurter soziologischen instituts. ein reicher alter mann (der weizenspekulant weil) stirbt, beunruhigt über das elend auf der welt. er stiftet in seinem testament eine große summe für die errichtung eines instituts, das die quelle des elends erforschen soll. das ist natürlich er selber.“

Eine weitere spöttische Bemerkung Brechts, die Walter-Busch ebenfalls zitiert, erklärt die Tätigkeit der Instituts: „[…] auf einer gartenparty den doppelclown horkheimer und pollock getroffen, die zwei tuis vom frankfurter soziologischen institut […] mit ihrem geld halten sie etwa ein dutzend intellektuelle über wasser […] so können sie behaupten, dass ,das geld des instituts zu retten, ihre hauptsächlichste revolutionäre pflicht durch all die jahre war.‘“ (August 1941)

Walter-Buschs Darstellung erweist sich als ein Gegenentwurf zur Polemik des „militanten Marxisten“ Brecht. Dass der Autor Brechts Einwände dennoch ernst nimmt, ist unter anderem an der Gründlichkeit ersichtlich, mit welcher er schon in seinem „einführenden Überblick“ die Motive des jüdischen Großkaufmanns Hermann Weil untersucht, ein marxistisches „Institut für Sozialforschung“ in Frankfurt zu gründen. Hier muss sich der Verfasser auch mit der alten Hypothese auseinandersetzen, der Getreidehändler Weil habe das Institut gegründet, um „die bolschewistischen Machthaber der Sowjetunion, die neuerdings über die Getreideexporte der Ukraine entschieden, günstig [zu] stimmen“. Walter-Busch zufolge gründete Hermann Weil das Institut zum einen, um die „radikal systemkritischen Aktivitäten“ seines Sohnes Felix Weil zu unterstützen, der in den Sog des Marxismus geraten war, und zum anderen infolge seines eigenen „Streben[s] nach öffentlicher Anerkennung der Gemeinnützigkeit seiner geschäftlichen Erfolge.“ Nüchtern und präzis sind die Ausführungen Walter-Buschs über die auch von Brecht angesprochenen finanziellen Angelegenheiten des Instituts und die Anstellungsverhältnisse. Mit ähnlichem Ernst und Verantwortungsbewusstsein entfaltet er auch die Porträts der großen „Meisterdenker“ der Schule Horkheimer und Adorno, sowie diejenigen Friedrich Pollocks, Franz Neumanns, Erich Fromms und gegen Ende des Buches Herbert Marcuses. Außer bei Adorno sind diese Porträts, die Brechts polemische Schärfe entkräften sollen, jedoch etwas farb- und kraftlos geraten.

Als überaus gelungen dagegen ist die Anordnung des besprochenen Stoffes einzustufen, die eine vielseitige und jeden Schematismus vermeidende Betrachtung gewährleistet. Nach der Darstellung der äußeren Parameter der Institutsgeschichte geht Walter-Busch im zweiten Kapitel genauer auf Max Horkheimers Forschungsprogramm ein. Kapitel drei und vier befassen sich mit den voneinander oft stark divergierenden Faschismusanalysen wichtiger Vertreter des Instituts wie Pollock und Neumann in den Jahren 1934-1950 sowie mit den Verzweigungen der Kritischen Theorie im Zeitraum 1950-1970. Darüber hinaus bildet die Autoritarismus- und Vorurteils-Forschung des Instituts einen besonderen Schwerpunkt.

Zu den großen Verdiensten des Buches gehört also, dass es kein homogenes Bild der Frankfurter Schule präsentiert, sondern die Differenzen und Kontroversen erkennen lässt. Das Buch illustriert auch die deutliche Abschwächung der ursprünglichen marxistischen „Glut“ im Lauf der Jahre. Dies zeigt sich wohl am klarsten bei Horkheimer, der in der Nachkriegszeit die marxistischen Aspekte der Kritischen Theorie „nur gleichsam in homöopathisch verdünnten Dosen zu verabreichen“ beginnt. Ganz anders als in den oben zitierten Äußerungen Brechts sind aber auch die „Dosen“ der Kritik Walter-Buschs an den Defiziten und zahlreichen Fehleinschätzungen der Frankfurter Schule und ihrer Vertreter allzu spärlich. Ansätze einer solchen vorsichtigen Kritik leistet sich der Autor lediglich bei Horkheimer. Die besonders interessante Frage nach den „Feinden“ der Frankfurter Schule und nach den Mitteln und Strategien der Auseinandersetzung mit ihnen wird auch nur angesprochen, aber nirgends umfassend beantwortet.

Trotz der detaillierten und plausiblen Darlegung der Auffächerung der Frankfurter Schule hütet sich Walter-Busch davor, innerhalb der Schule oder innerhalb der Entwicklung ihrer Repräsentanten Brüche zu sehen und operiert lieber mit „Positionsverschiebungen“ innerhalb eines breit angelegten Spektrums. So hätten etwa die Konflikte und der Bruch zwischen Erich Fromm und dem Institut für Sozialforschung mehr Aufmerksamkeit verdient – hier begnügt sich Walter-Busch mit kursorischen Bemerkungen über das problematische Verhältnis zwischen Adorno und Fromm sowie über Marcuses Kritik am „neo-Freudianischen Revisionismus“ Fromms, der 1938/39 das Institut „im Unfrieden“ verlassen musste. Wenig überzeugend bleibt nach diesen Hinweisen und nach der Verknüpfung der „Glut und Asche revolutionärer Theorie“ seit den 1960er-Jahren fast ausschließlich mit Herbert Marcuse auch der Versuch des Autors, die Schule dann doch ,auf einen Nenner‛ zu bringen: auf die „geradezu ,physiologisch’ verankerte ,Empörung übers Unrecht’“. Auch wenn er konzedieren muss, dass beispielsweise Adorno diesen für Marcuse und Horkheimer charakteristischen „politisch-moralischen Impuls“ kaum besaß, rückt Walter-Busch die „Empörung übers Unrecht“ in den Vordergrund, um die Frankfurter Schule zu homogenisieren und zu harmonisieren, während die hier dargebotene Geschichte insgesamt eher den Verfall dieser Einstellung offenbart. Auch die eingangs genannte Vitalität der Frankfurter Schule kann aus Walter-Buschs trotzdem verdienstvoller Darstellung der Geschichte der Frankfurter Schule bis 1970 nicht abgeleitet werden.

Titelbild

Emil Walter-Busch: Geschichte der Frankfurter Schule. Kritische Theorie und Politik.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2010.
260 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783770549436

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