Der Techniker des Dramas

Peter Hacks’ ‚Berlinische Dramaturgie‘ und sein Auftreten in der „Jungen Welt“

Von Nikolas ImmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nikolas Immer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Die Ästhetik der Bühnenkünste leitet sich vollständig aus der Härte der Stuhlsitze ab.“ Fast hat es den Anschein, als habe Peter Hacks mit dieser ebenso griffigen wie ironischen Formel, die sich in seinem „Versuch über das Libretto“ (1972) findet, alles gesagt, was über Dramenästhetik zu sagen ist. Dass es dann aber doch noch einiges nachzutragen gab, belegt die gegenwärtig vorliegende, gewichtige Edition seiner ‚Berlinischen Dramaturgie‘. Sie enthält die gesammelten Gesprächsprotokolle der von Peter Hacks geleiteten Arbeitsgruppen an der Berliner Akademie der Künste aus den Jahre 1972 bis 1979 und 1988 bis 1990.

Was vom Titel her sofort an Gotthold Ephraim Lessing erinnert, hat dem Anspruch nach auch mit Lessing zu tun. Am 16. März 1989 gibt Hacks zu Protokoll: „Herr Lessing hat ein Buch geschrieben, ‚Hamburgische Dramaturgie‘. Ich glaube, diese Liste beweist, daß es nichts für eine Künstlerseele Unerhabenes ist, über Dramaturgie nachzudenken.“ Während aber Lessing in der Ankündigung seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ (1767-69) mitteilt, ein „kritisches Register von allen aufzuführenden Stücken“ des Hamburger Theaters bieten zu wollen, zielt Hacks nicht auf Vollständigkeit, sondern auf exemplarische dramenästhetische Fragestellungen, die anhand gegenwärtiger und klassischer Stücke sowie bestimmter Dramengattungen erörtert werden. Und während Lessing daran gelegen ist, als Kunstrichter zur Geschmacksbildung seines Publikums beizutragen, geht es Hacks in den von ihm geleiteten Gesprächskreisen um die Vermittlung von technischen und dramaturgischen Aspekten einer zeitgemäßen Bühnenästhetik.

Die von Thomas Keck und Jens Mehrle herausgegebenen fünf Bände der ‚Berlinischen Dramaturgie‘ umfassen zwei Bände zur Dramatik, einen Band zur Ästhetik, einen Band zur Technik des Dramas und einen Kommentarband. Jeder der Textbände enthält die Gesprächsprotokolle von etwa sechs bis neun Sitzungen. Diese Gespräche werden jeweils von einem profunden wissenschaftlichen Apparat begleitet, der Erläuterungen zu historischen und literarischen Anspielungen liefert.

Der fünfte Band gibt nicht nur einen knappen Überblick über die Entstehung der ‚Arbeitsgruppe Dramatik‘ und deren 1978 erfolgte Umbildung zur, Arbeitsgruppe Ästhetik‘, sondern versammelt auch Erinnerungen und Kommentare der ehemaligen Diskussionsteilnehmer. Dabei zeigen die anschließenden Kurzbiografien, dass nicht jeder der einstigen Gesprächspartner der Literatur treu geblieben ist. Das hilfreiche Personen-, Werk- und Sachregister erleichtert die Navigation in den thematisch facettenreichen Debatten.

Wie Mehrle skizziert, reicht die Vorgeschichte der Hacks’schen Akademiegespräche bis ins Jahr 1954 zurück, als Brecht den jungen Dramatiker einlädt, an der Akademie der Künste im Arbeitskreis für zeitgenössische Dramatik mitzuwirken. Diese Zusammenarbeit kommt zwar nicht zustande, doch dringt Hacks im November 1972 selbst darauf, eine Arbeitsgruppe Dramatik einzurichten. Zu den Gesprächsgästen zählen nicht nur einzelne Akadamiemitglieder, sondern auch externe Teilnehmer, da Hacks bestrebt ist, die Diskussionsrunden zu öffnen. So partizipiert beispielsweise Heiner Müller an der ersten Sitzung vom 18. Dezember 1972, in der Hegels Dramentheorie besprochen wird. Doch aufgrund ihrer unvereinbaren ästhetischen Standpunkte finden die Dramatiker Hacks und Müller nicht zueinander. Während Hacks etwa die eher ‚publikumsfreundliche‘ „Macbeth“-Bearbeitung Müllers kritisiert, erwägt Müller, dem Publikum noch weiter entgegenzukommen: „Man sollte vielleicht überlegen, wenn die Leute schon auf harten Stühlen sitzen, ob man die Stühle ändert […]“.

Trotz seiner vielfachen Stellungnahmen gegen die Epoche der Romantik folgt Hacks mit seinen Arbeitsgruppen einer genuin romantischen Praxis: der der Symphilosophie. Zwar ist es nicht sein Ziel, die gemeinsame Konversation zu einer „Kunst“ zu stilisieren, in der, wie Friedrich Schlegel in den „Athenäums“-Fragmenten schrieb, „Individuen […] verschmelzen“. Doch liegt der Akzent durchaus auf der gemeinschaftlichen, mitunter kontroversen Meinungsbildung im Hinblick auf eine konkrete dramenästhetische oder theaterpraktische Fragestellung. Hacks agiert dabei stets als spiritus rector des jeweiligen Diskussionskreises, den er aufgrund seiner beeindruckenden literaturhistorischen Kenntnisse und der Entschiedenheit seiner Urteile oftmals in seinem diskursiven Verlauf dominiert. Gleichwohl votiert er für den produktiven Dissens: „Einer unserer Hauptzwecke besteht darin, Meinungsverschiedenheiten festzustellen.“

Die Entschiedenheit seiner Meinung wird exemplarisch deutlich, als Hacks am 25. Oktober 1976 – auch in Reaktion auf die Romantik-Debatte in der Akademie der Künste – eine Sitzung „Zu Klassik und Romantik in der DDR“ veranstaltet. Romantik wird von ihm unumwunden als „Scheußlichkeit“ diffamiert, was bereits die radikale Stoßrichtung des späten Essays „Zur Romantik“ (2001) vorwegnimmt. Seine in ihrer Absolutheit fragwürdige, jedoch explizit bestehende Aversion begründet er anhand der Gattung des romantischen Dramas. Hacks’ scharfe Kritik am technischen Dilettantismus und an der inhaltlichen Plattheit romantischer Bühnenstücke kulminiert im Hauptvorwurf romantischer Wirklichkeitsabstinenz. Dies wiederum gründet auf Hacks’ ästhetischer Grundüberzeugung, wie Kunst beschaffen sein solle: „Ob sie […] reaktionär ist, ist mir wirklich wurscht. Ob sie […] fortschrittlich ist, auch das kommt vor, ist mir auch wurscht. Wenn Kunst schön ist und dabei Wirklichkeit in den Griff kriegt, dann will ich sie haben.“

Dieser Leitgedanke bildet gleichsam das Zentrum, um das die Gespräche wiederholt kreisen: Welches sind die Gestaltungsprinzipien für eine Kunst, deren Anliegen es ist, Wirklichkeit in den Griff zu kriegen? Freilich lassen sich die Bemerkungen, Kommentare und Vorschläge, die in den Arbeitsgruppen geäußert werden, als literaturästhetische Überlegungen auffassen, die inzwischen in die Jahre gekommen und allenfalls noch aus historischer Perspektive zu würdigen sind. Demgegenüber ist aber auch zu bedenken, dass die Arbeitsgespräche dokumentieren, wie über einen längeren Zeitraum ernsthaft und angestrengt über die „Arbeit der Poesie“ nachgedacht wurde. Dabei lässt die ästhetische Selbstverständigung ein waches Bewusstsein für die eigene literaturhistorische Tradition erkennen, die wiederholt als kritischer Maßstab für die aktuellen Fragestellungen gilt. Die detaillierten und zuweilen unorthodoxen Erörterungen von Hegels Dramentheorie oder Gustav Freytags „Die Technik des Dramas“ (1863) können auch heute noch Impulse für produktive Reflexionen über die Bühnenkunst geben.

Parallel zur ‚Berlinischen Dramaturgie‘ ist im Aurora-Verlag unter der Leitung von Stefan Huth ein Band mit dem Titel „Vorsicht, Hacks!“ herausgekommen, der Texte zum Erscheinungsbild des Dichters in der „Jungen Welt“ von 1999 bis 2009 versammelt. Neben teilweise erstveröffentlichten Hacks-Texten, zu denen Interviews, Briefe und auch Jugendarbeiten zählen, finden sich im Band Hacks gewidmete Nachrufe, Essays, Interviews, Miszellen, Rezensionen und Berichte. Wie Huth in der Vorbemerkung mitteilt, war es offenkundiges Anliegen der „Jungen Welt“, mittels der Vielzahl an gedenkenden und besprechenden Artikeln sowohl kontinuierlich an den Dichter zu erinnern als auch sein Bild „vor Verzerrungen zu bewahren“.

Wichtig für die weitere Hacks-Forschung werden zum einen die darin veröffentlichten Dokumente des Autors sein, etwa wenn Hacks in einem Brief an den Schauspieler Eberhard Esche sein Urteil über Friedrich Schillers „Wallenstein“ (1800) entfaltet. Zum anderen präzisiert und ergänzt Matthias Oehmes aufschlussreiche und „vorläufige Bestandsaufnahme“ über den Nachlass von Peter Hacks, was sich in der Datenbank der Deutschen Literaturarchivs Marbach bereits über den Hacks-Nachlass recherchieren lässt.

Wichtig für eine Vermehrung der Hacks-Leserschaft ist aber ein Besprechung wie „Der Försterballbär“ von Wiglaf Droste, der Hacks überdies auch vertont hat („Der Bär auf dem Försterball. Hacks und Anverwandtes“, 2004). Denn mit einer tiefen Verbeugung beschreibt Droste seine hohe Wertschätzung für das fast gleichnamige Kinderbuch: „Zehn Minuten braucht man, um es zu lesen, der Nachhall dauert ein ganzes Leben lang an.“ Es gibt nicht viele literarische Werke, von denen sich das sagen lässt.

Titelbild

Thomas Keck / Jens Mehrle (Hg.): Berlinische Dramaturgie. Gesprächsprotokolle der von Peter Hacks geleiteten Akademiearbeitsgruppen. 5 Bände.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2010.
2000 Seiten, 126,00 EUR.
ISBN-13: 9783359025122

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Titelbild

Stefan Huth (Hg.): Vorsicht, Hacks! Der Dichter in der "jungen Welt" 1999-2009.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2010.
320 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783359025023

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