Chanson einer Dame im Schatten

Brigitta Eisenreich berichtet von ihrer heimlichen Liebe zu Paul Celan

Von Philipp WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Philipp Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beinahe am Ende ihrer Schilderung der gemeinsame Zeit mit dem Dichter Paul Celan fragt Brigitta Eisenreich, „was das Besondere an dieser Beziehung gewesen sei, warum sie mich mehr als andere geprägt habe“. Sie kommt dabei zu einem verwunderlichen Fazit – und zwar weniger bezüglich ihrer Erklärung, dass die Beziehung frei vom „Drang zu besitzen“ gewesen sei, frei von der „Last des Alltags“. Vielmehr ist es ihre Folgerung: „Man könnte dies als eine seltene Konstellation, eine Art von Glück, bezeichnen“. Nach allem, was Eisenreich mit Celan erlebt hat und erleben musste, ist die gemeinsame Zeit ihr noch immer die Erinnerung an „eine Art von Glück“. So lesen sich manche Passagen, neben ihrem eigentlichen Gegenstand – den autobiografischen Erinnerungen an den Dichter – auch als ein erstaunliches Zeugnis über eine außergewöhnliche Liebe.

Zuallererst ist dieses Buch jedoch verfasst worden, um einige Lücken in der Celan-Forschung zu schließen. So sei es bislang nie Absicht der heute 81-jährigen Eisenreich gewesen, Erinnerungen über ihre Liaison mit Celan zu publizieren: „Ich hätte es nicht getan, wenn mir nicht bekanntgeworden wäre, daß einige meiner Briefe und ein Bündel unveröffentlichter Gedichte im Nachlaß Paul Celans, im Deutschen Literaturarchiv Marbach, aufbewahrt und daher im Prinzip zugänglich sind, ohne dass der vielleicht darauf stoßende Forscher wissen könnte, wie sie dorthin gelangt sind: Ich war bisher der Überzeugung, dass Paul Celan sie zerstört hat“. Bertrand Badiou, der in Paris lehrt und Herausgeber zahlreicher Werke und Briefe Celans ist, war es letztlich, der Eisenreich dazu bewog, „das Schweigen der Intimität zu brechen“.

Man muss Eisenreich dafür danken, denn heraus kam in der Tat ein sehr aufschlussreicher und bewegender Einblick in die Pariser Zeit des Dichters und in ihre gemeinsame Beziehung.

Das erste Treffen der beiden im Jahre 1952 arrangierte der Bruder der Autorin, Herbert Eisenreich, der Celan kurz zuvor auf einer Tagung der Gruppe 47 begegnet war. Brigitta war zu diesem Zeitpunkt dreiundzwanzig und verdiente sich ihr Studium als Au-Pair-Mädchen. Als eine „Nacht voller Zauber“ schildert Eisenreich dieses Kennenlernen, bei dem Celan durch das „geheimnisvolle Paris im Herzen des Quartier Latin“ führte. Brigitta zeigt sich sogleich betört von Celan: „er war ein Dichter, aber auch, das steht außer Zweifel, zu jeder Zeit ein Verführer, mit einem feststehendem Repertorium an Zauberkünsten. Er wies auf den herbstzeitlosen Himmel von Paris, er ließ uns hinuntersteigen zum Seine-Ufer und wollte, daß wir den sehr besonderen Klang der Eisenringe hörten, wenn sie auf den Mauern der Quais aufschlugen, Ringe, an denen früher die Schiffe befestigt wurden“.

Solche Ausschnitte sind es, die zweierlei Bemerkenswertes erzielen: Zum Einen vermögen sie den Menschen Celan deutlicher zu konturieren (was verblüffende Seiten aufdeckt – wie etwa gemeinsam verbrachte Gesangsabende). Zum Anderen tauchen Celan’sche Motive (wie hier der „herbstzeitlose Himmel“) nun in deutlicherem biografischen Kontext auf. Stets werden dabei solche Verbindungen kommentiert und versucht, ihre Genese zu erklären.

Sicherlich ist im zweiten Fall zunächst Vorsicht geboten, mancher Bezug scheint (auch das mag nicht verwundern) zu stark persönlich eingefärbt – so ist der Titel von Celans zweitem Gedichtband „Von Schwelle zu Schwelle“ sicher nicht ausreichend mit „dem Überschreiten der Eingänge zu verschiedenen Wohnstätten“ zu erklären. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass diese Sinnschicht in der Genese mitzudenken ist.

„Von Schwelle zu Schwelle“ lebte Celan in diesen Jahren nämlich in der Tat: Im Winter 1952 heiratete der 32 Jahre alte Dichter die Grafikerin Gisèle Lestrange, doch bereits im Herbst des darauffolgenden Jahres ging er erneut eine Affäre mit Brigitta Eisenreich ein. Dabei war gerade dies die Phase kurz nach dem Tod des ersten gemeinsamen Kindes von Paul und Gisèle. Eisenreich bemüht sich dennoch um Verständnis: „Auf Celans zu diesem Zeitpunkt zwangsläufig einsamen Wanderungen durch die Stadt lag ihm meine Wohnstätte, wenn ich so sagen darf, gewissermaßen als Trost- und Haltestelle am Weg“.

Ende 1955 wurde auch Eisenreich von Celan schwanger – sie war mittlerweile als Ethnologin tätig, dennoch war sie beruflich und finanziell nicht abgesichert und Celan zudem verheiratet. Celan beschaffte das Geld, sodass Eisenreich in einer Berliner Klinik eine Abtreibung vornehmen lassen konnte.

Auch bemühte sich Celan später um ein geschwisterliches Verhältnis zwischen seiner Frau und Eisenreich. Er organisierte einen gemeinsamen Abend, doch verständlicherweise blieben die beiden Frauen distanziert.

1962 – zehn Jahre nach ihrem ersten Treffen – trennte sich Eisenreich von Celan. Er ist mittlerweile in einer tiefen Krise, von deren Ausmaß sie zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nichts ahnt, obwohl er sich auch ihr gegenüber mehr und mehr verändert zeigte: Er „wurde fordernd und fast gewalttätig“. Noch im Jahr der Trennung von Celan heiratete Eisenreich einen Österreicher, mit dem sie eine gemeinsame Tochter aufzog.

Ergänzt wird der – nüchtern als „Bericht“ bezeichnete Band – um Briefwechsel und einige weitere Dokumente jener Zeit. So etwa auch durch einzelne Gedichte Eisenreichs, die ein erstaunlich verwandtes Vokabular zu Celan aufweisen. Eisenreich weist jedoch darauf hin, dass es ihr nicht um den Nachweis eines „Dialogs“ oder „eine tiefergreifende strukturelle Nähe“ beider Dichtungen geht. Hingegen legt sie Wert auf zwei speziell auf ihre Verbindung verweisende Gedichte: „Mandorla“ und „Radix, Matrix“, in denen sich die „von der Heimat her Verschwisterte“ zudem wiedererkennt.

Für die Celan-Forschung, in welcher Eisenreich bislang noch keinen Platz besaß, werden sich mit dem Band einige bislang ungeklärte Bezüge erstmals klären. Der sonstigen Rezeption im deutschen Feuilleton wäre indes zu wünschen, dass Celan mit den jüngeren Publikationen nicht zum ‚Boulevard-Dichter‘ verkommt, da nun mehr und mehr intime Zusammenhänge ans Licht treten, hinter denen seine Lyrik ganz zu verschwinden droht.

Für den Bericht um „Celans Kreidestern“ darf man jedoch in jeder Hinsicht dankbar sein – es ist ein erstaunliches Dokument mit einer Fülle an neuem Material für die Forschung und den interessierten Leser. Daneben wird eine authentische, traurige Geschichte von zwei liebenden Menschen erzählt, die sich – von den Schatten der Geschichte überragt – standhaft um „eine Art von Glück“ bemühen.

Titelbild

Brigitta Eisenreich: Celans Kreidestern. Ein Bericht. Mit Briefen und anderen unveröffentlichten Dokumenten.
Unter Mitwirkung von Bertrand Badiou.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
266 Seiten, 22,80 EUR.
ISBN-13: 9783518421475

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