Willi Windhorst Superstar

Georg Meiers dritter Roman „Mit dem Gibbon und John Lennon nach Ancona“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach seinen beiden ersten Bravourstücken „Alle waren in Woodstock außer mir“ und „Härte 10“ legt Georg Meier einen mit bestechender Leichtigkeit geschriebenen Roman vor, der den beiden Vorgängern in nichts nachsteht. Einzig die Geschichte und die Allgemeingültigkeit, die in den beiden ersten Romanen mit den Themen „Woodstock“ und dem Überleben in der unmittelbaren Nachkriegszeit offensichtlich war, wird nun in „Mit dem Gibbon und John Lennon nach Ancona“ in einen etwas persönlicheren Bereich verlagert.

Trotzdem ist die abermalige Verbindung zum Thema „Woodstock“ und „Popmusik“ schon im Titel angedeutet. Dieser Konnex ist letztendlich der Hintergrund, vor dem Meier seinen neuen Roman spielen lässt: Die Sozialisation seines Protagonisten Willi Windhorst basiert zum größten Teil auf dem Erfahrungs- und Gedankengut der 1968er-Generation. Folgerichtig ergibt sich daraus der berufliche Werdegang des Protagonisten. Willi ist Dealer und ernährt sich seit Jahrzehnten durch einen leider immer mehr zurückgehenden Rauschgifthandel: „Nein, es ist eher so, dass Willi sich seit vielen Jahren auf einer leicht abschüssigen Straße befindet, die sich vor allem durch Schlaglöcher und fehlende Hinweisschilder auszeichnet.“

Willi wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Anfang der Siebzigerjahre, im Zeichen von Hippiebewegung, Studentenunruhen, gesellschaftlichen Veränderungen und RAF war Willi Mitglied einer Gruppe von „Hobbyrevolutionären“, die die Gesellschaft mit Hilfe von Gewalt verändern wollten. Willi trennt sich von der Gruppe, bevor bei einem Streit eines der Mitglieder getötet wird. Ohne sein Wissen wird der Tote auf seinem Gartengrundstück vergraben. Öffentliche Pläne zur Baulanderschließung, die das Grundstück betreffen, scheuchen die ehemaligen Aktivisten auf und man will zusammen mit Willi, der entsetzt über die fast vierzig Jahre zurückliegende Bluttat ist, die Leiche beseitigen, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Der Roman beginnt mit diesem fast vierzig Jahre zurückliegenden Verbrechen, aber durch ungeschicktes Vorgehen, durch Zufall und mangelndes Problembewusstsein verschärft sich die Situation: „‚Und nun hast du in deinem Garten drei Leichen und einen Container mit Essstäbchen‘, sagt Ömer, der sich, wie das seine Art ist, mit dem Thema Zeit gelassen hat. ‚Wer ist der dritte Tote?‘“

Aber einmal abgesehen von der mehr oder weniger interessanten Geschichte, ist diese nur Kulisse für einen Roman, der eine liebenswerte Synthese zwischen Unterhaltung und zeitgeschichtlicher Aufarbeitung der bundesrepublikanischen Vergangenheit um das Jahr 1970 leistet. Die Geschichte liefert mit den liebenswerten Hauptfiguren vor allem Anlass für die brillanten, humorvollen und sprachlich treffenden Beschreibungen, die präzise Gesellschaftsbilder zeichnen und diese mit authentischen Erzählfragmenten aus den 1970er-Jahren verbinden. Dass diese Geschichte eher von einer Randfigur einer Erfolgsgesellschaft handelt, ist der Authentizität des Romans zuträglich. Und diesen Protagonisten und seinem Erzähler nimmt man auch den sarkastischen, aber trotzdem emphatischen Humor ab, wenn er die zeitgenössische Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts treffend charakterisiert: „Aber es gibt auch hochaktive Minderheiten, die sich dem unseligen Trend zum Pessimismus kühn verweigern: hyperaktive Kinder, die ihr Ritalin nicht schlucken, sondern an Abiturienten im Prüfungsstress verkaufen, aggressive, in Testosteron-Schwaden gehüllte Knaben, die Mehmed, Orhan oder Sascha heißen, schwerbewaffnete Albaner und Tschetschenen, die ein Menschenleben so wenig respektieren wie einen Behindertenparkplatz, Islamisten mit umgeschnallten Sprengstoffgürteln, Skinheads und Hooligans, Kreationisten – und natürlich der unsterbliche Johannes Heesters.“

Auch kleine kulturelle Highlights lässt Maier immer wieder einfließen und gibt damit auch sein zeitgeschichtliches, kulturhistorisches und musikgeschichtliches Wissen preis, das nicht zuletzt verantwortlich für die unterhaltsame Lektüre des Romans ist. „Eine antike Musikbox barg zu Willis Entzücken solche Raritäten wie Woo Hoo von den Rock-a-Teens und Home Of The Brave von Jody Miller.“ Und John Lennon? Der kommt in dem Roman gar nicht vor. Aber der Besitz von John Lennon-Alben und John Lennon-CDs spricht in Willis Augen für die moralische und kulturelle Integrität eines Menschen, was wiederum für Herrn Blatschek spricht! Was das bedeutet? Man lese selbst.

Die Aufzählung solcher kleiner Einblicke könnte man noch endlos fortsetzen, aber ihre Verschmelzung zu einem stimmigen, unterhaltsamen und lesenswerten Stück Literatur ist Georg Meier auch diesmal gelungen.

Titelbild

Georg Meier: Mit dem Gibbon und John Lennon nach Ancona. Roman.
Dittrich Verlag, Berlin 2010.
335 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783937717401

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