Erregend und bösartig

Zu John Glasscos Autobiografie „Die verrückten Jahre. Abenteuer eines jungen Mannes in Paris“

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Kanadier John Glassco ist achtzehn Jahre alt, als er sich gemeinsam mit einem Freund und dem Geld seines Vaters auf den Weg nach Paris macht. Für einen homosexuellen Schriftsteller wie ihn bot sich im frühen 20. Jahrhundert keine Stadt als Reiseziel mehr an als die Seinemetropole, in der seit der Jahrhundertwende prominente Figuren wie Oscar Wilde, Ezra Pound, Mata Hari und Marcel Proust der Pariser Schwulenszene zu einem gewissen Renomeé verhalfen. Bis in die 1920er- Jahre bildete sich hier parallel zu Berlin, dem „Sodome – sur – Spree“, eine schwule Szene, die sich vor allem in der Vergnügungsgastronomie bemerkbar machte. „Die Stadt verfügte über zahlreiche auf mannmännliche Sexualität spezialisierte Bordelle und Badehäuser. In den Intellektuellenkreisen [war] es nicht ungewöhnlich, sich untereinander männliche Prostituierte für ein sexuelles Abenteuer zu schenken.“

Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass John Glassco bereits kurz nach seiner Ankunft den zahlreichen Verlockungen in solchem Maße nachgibt, dass an diszipliniertes Arbeiten kaum mehr zu denken ist. Statt am Schreibtisch zu sitzen, verbringt John seine Abende schon bald in illustrer Gesellschaft, mit ausreichend Alkohol, Sex und Drogen.

Die Autobiograpie, die der Autor damals zu schreiben begann, blieb erst einmal liegen. Er hat sie, auch wenn er in dem Text etwas anderes behauptet, erst Jahrzehnte später fertig gestellt. Vielleicht war also die Ablenkung tatsächlich zu groß, vielleicht auch nur die Distanz zum Geschehenen zu gering. Fakt aber ist, dass es dem Werk nicht geschadet hat, einige Jahrzehnte in der Schublade gelegen zu haben. Sein autobiografischer Bericht ist ein herrliches Zeugnis des spontanen Lebens und des literarischen Paris der 1920er-Jahre. In „Die verrückten Jahre“ erzählt John Glassco „charmant und unverfroren in einer Mischung aus Dichtung und Wahrheit aus der Zeit, in der Paris noch ein Fest fürs Leben war.“ Wer die Literatur Klaus Manns mag, gerne in die goldenen Zwanziger abtaucht und ein Faible für Paris hat, der wird John Glasscos Roman höchstwahrscheinlich verschlingen. Denn „,Die verrückten Jahre’ ist eines der fröhlichsten Bücher über die Jugend – über das Erregende, das Abenteuerlustige, das Bösartige daran“ – da kann man Michael Ondatje, dem Autor des „Englischen Patienten“, der sich derart positiv über das Machwerk von John Glassco äußerte, nur zuzustimmen. Liest man „Die verrückten Jahre“, erscheint es einem tatsächlich so, als könnte es nichts Schöneres geben, als jung und in Paris zu sein.

Titelbild

John Glassco: Die verrückten Jahre. Abenteuer eines jungen Mannes in Paris.
Übersetzt aus dem Englischen von Matthias Fienbork.
Carl Hanser Verlag, München 2010.
335 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-13: 9783446232723

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