Der bis heute verschwiegene Genozid: Die araboislamische Sklavenhandel war schlimmer als der transatlantische Sklavenhandel der Europäer

Tidiane N’Diayes neues Buch „Der verschleierte Völkermord“ beleuchtet ein trauriges Thema

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Afrikas Verhängnis begann im Jahre 652 unserer Zeitrechnung mit einem so genannten Schutzvertrag, den der numidische Herrscher Khalidurat mit dem arabischen General Abdallah ben Said abschloss. Darin verpflichtete sich der unglückselige Monarch zur jährlichen Versklavung von 360 seiner Untertanen, die nach Ägypten oder Arabien verbracht wurden, womit er sich im Gegenzug den fragwürdigen Schutz der islamischen Waffen sicherte. Es war der Anfang einer 1.300-jährigen Leidensgeschichte des ‚Schwarzen Kontinents‘, der Geschichte eines gigantischen Völkermordes, die offiziell erst im 20. Jahrhundert endete, als der letzte Sklavenmarkt in Marokko geschlossen wurde. Eigenartigerweise spielten diese Fakten bisher in keiner aktuellen Debatte eine Rolle.

Der franco-senegalesische Anthropologe und Kulturwissenschaftler Tidiane N’Diaye hat es nun unternommen, entgegen dem wissenschaftlichen Mainstream der Politischen Korrektheit eine Studie vorzulegen, in der er mit deutlichen Worten den bislang totgeschwiegenen arabomuslimischen Sklavenhandel als wegbereitendes Element und Voraussetzung des transatlantischen Sklavenhandels der Europäer brandmarkt. Nach seiner Ansicht „stellten die Ankunft der Araber und die Islamisierung der zum Dschihad gezwungenen Völker eine dramatische Wende der (durchaus bereits bestehenden) Unterjochungsmethoden in Afrika dar [..]. Sie waren der Ausgangspunkt für einen widerlichen, dreizehn lange Jahrhunderte währenden Vernichtungsfeldzug, in dessen Verlauf Menschen unablässig gejagt, gedemütigt, geplündert und hinterhältig ermordet wurden.“

Die islamischen Berber, die seit dem 8. Jahrhundert in den subsaharischen Raum vordrangen, scherten sich dabei ebenso wenig um die Worte ihres Propheten, der Afrikanern stets respektvoll begegnet sein soll, wie die arabischen Sklavenjäger an der Ostküste des Kontinents, die schließlich Sansibar für mehr als ein Jahrtausend zum Hauptumschlagsplatz ihres unmenschlichen Handels machten. Der stetige Aderlass der autochthonen Bevölkerung Afrikas nahm auch dann nicht ab, als große Teile der zentralafrikanischen Völker bereits zum Islam übergetreten waren. Selbst ein muslimischer gewordener ‚Neger‘ galt den arabischen Rassisten als Mensch zweiter Klasse, zumal diese in ihren religiösen Praktiken kaum den puristischen Vorstellungen der islamischen Orthodoxie entsprachen. N’Diaye kann hierzu eine Fülle eindeutiger Aussagen zeitgenössischer arabischer Autoren zitieren wie etwa den berühmten arabischen Dichter Al Mutanabi, der im 10. Jahrhundert den dunkelhäutigen ägyptischen Regenten Abul Musk Kafur grausam als „Neger mit durchbohrten Kamellippen“ verspottete.

Anders als im Fall des transatlantischen Sklavenhandels kam es jedoch nicht zu nennenswerten Migrationseffekten in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Während in der so genannten Neuen Welt heute immerhin rund 70 Millionen Menschen afrikanischer Abstammung leben, wurde die Sklavenpopulation im arabischen Raum konsequent durch Kastration und Tötung der Nachkommenschaft aus gemischten Beziehungen an ihrer Ausbreitung gehindert. Die Gesamtzahl der von arabomuslimischen Sklavenjägern über die Sahara und das Rote Meer aus Afrika deportierten Menschen schätzt N’Diaye auf rund 17 Millionen, wobei er sich auf die Untersuchungen des amerikanischen Historikers Ralph Austen beruft.

Da indes auf jeden Afrikaner, der den lebensgefährlichen und strapaziösen Transport überstand, drei bis vier Todesfälle kamen, scheint es nicht übertrieben, wenn der Verfasser von einem gigantischen Genozid spricht, der die Entwicklung Afrikas bis heute entscheidend geprägt und gehemmt hat. Als der Amerikaner Henry Morton Stanley in den 1870er-Jahren das Gebiet um den Tanganjikasee bereiste, war er zunächst auf eine große Bevölkerung gestoßen, die er auf etwa eine Millionen Menschen schätzte und die ein Gebiet von ungefähr der Größe Irlands bewohnte. Nur wenige Jahre später war das Gebiet jedoch vollkommen verwüstet. Augenzeugen versicherten dem Forscher, dass nach dem Durchzug arabomuslimischer Sklavenjäger kaum noch 5.000 Menschen dort lebten. „Totenstille herrschte über den Dörfern, die arabischen Sklavenjäger hatten alle Häuser niedergebrannt. Anstelle der Haustiere lebten hier nur noch wilde Tiere. Manchmal lugten mitten aus dem Busch oder aus dem Flussschilf Köpfe hervor, und wenn sie sahen, dass ihnen kein Araber gegenüberstand, streckten sie die Hand aus und baten um etwas Nahrung.“

Es war nicht nur ein massiver Aderlass an Menschen zu beklagen, sondern mit der Implementierung eines umfassenden Sklavenhandels und der Einbeziehung zahlloser Kollaborateure wurden die Wirtschaftssysteme Afrikas zu einer zum Teil bis heute bestimmenden Kriegsökonomie deformiert.

In seiner knappen Studie möchte N’Diaye somit keineswegs den transatlantischen Sklavenhandel der Europäer bagatellisieren, ihm wohl aber den nicht minder verhängnisvollen und über einen viel längeren Zeitraum auf dem Kontinent lastenden arabomuslimischen Sklavenhandel zur Seite stellen. Was indes den letzteren aus der Sicht des Verfassers gerade aus aktueller Sicht besonders verwerflich erscheinen lässt, ist die beharrliche Verweigerung der muslimischen Seite, sich zu diesem fraglos wohl größtem bekannten Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu bekennen. „In der araboislamischen Welt fehlt es seit eh und je schlichtweg an einer Tradition der Kritik oder gar der Selbstkritik, insbesondere wenn es um vom Islam nicht widerlegte Praktiken geht.“ Vor allem aber die eigentümliche Solidarität afrikanischer Forscher mit den Nachfahren ihrer Peiniger, die bislang ausschließlich den europäischen Sklavenhandel thematisieren, kann der Verfasser nicht nachvollziehen.

N’Diaye spricht von einem „Stockholm-Syndrom afrikanischer Art“, in der sich „diese afroislamische schöne Gesellschaft“ auf Kosten des Westens arrangiert. „Alles geschieht, als ob die Nachkommen der Opfer Freunde und Verbündete der Nachkommen der Henker geworden wären, denen sie zu Dank und Verschwiegenheit verpflichtet sind.“

Gerade diese asymmetrische Frontstellung der Nachkommenschaft von Tätern und Opfern gegen den Kolonialismus verstellt nach Ansicht N’Diayes aber auch den Blick auf die frühen und ernst gemeinten europäischen Bestrebungen, die Versklavung der Afrikaner endlich abzuschaffen. Dass die Sklaverei in Afrika zumindest vorläufig aufgehört hat, verdankt sich in letzter und gewiss überraschender Konsequenz sogar dem europäischen Kolonialismus, der es immerhin geschafft hat, den verhängnisvollen Einfluss der Araber in Afrika einzudämmen. Dass aber die Kolonialmächte und insbesondere die Briten trotz ihrer scharfen Verbote beim arabischen Sklavenhandel an der Ostküste Afrikas weiterhin beide Augen zudrückten, verdankt sich wohl ihrem Geschäftssinn – immerhin exportierte man auch über 11 Millionen Schusswaffen in den afroarabischen Raum – und auch einer aus Sicht des Autoren höchst bezeichnenden Islamophilie der Europäer.

N’Diaye hat mit seinem „Verschleierten Völkermord“ eine wichtige Arbeit vorgelegt, die zu weiteren Forschungen, insbesondere unter Heranziehung arabischer Quellen, anregen sollte. Sie strebt zwar keineswegs eine Exkulpierung des europäischen Kolonialismus an, bietet aber gewiss eine neue Perspektive für die Erforschung der Geschichte des Kontinents.

Man hätte sich allerdings als Leser oftmals eine sachlichere Argumentation gewünscht. Dabei stören nicht nur die zahlreichen Widerholungen und Werturteile. Vor allem die diffamierenden Äußerungen über die angebliche Unlust der Araber zu harter Arbeit erscheinen hart an der Grenze zum Rassismus. So resümiert der Autor: „Die Beständigkeit des vom 7. bis zum 20. Jahrhundert währenden Sklavenhandels und der arabomuslimischen Sklaverei in Afrika lag in den Traditionen der Araber selbst, die aufgrund ihres ausschweifenden Lebensstils und ihrer Faulheit nicht auf die Arbeitskraft und das Blut dienstfertiger Menschen verzichten mochten.“ Wenig später heißt es dort kaum weniger pauschalisierend: „Beobachtern zufolge waren die Herren in Arabien recht arbeitsscheu und müßig. Sie verbrachten ihre Zeit im Allgemeinen mit Palavern, Speisen, Rauchen und Beten.“

Ein Verzicht auf diese und ähnliche kaum weiterführenden Werturteile hätte dem sachlichen Anliegen des Verfassers und dem der wissenschaftlichen Redlichkeit viel besser gedient, auch wenn dahinter sein differenzierendes Bemühen erkennbar ist, nicht den Islam als religiöse Lehre und Ideologie zur Hauptursache des arabischen Sklavenhandels zu stilisieren.

Für einen ersten Generalangriff auf die bisher vorherrschenden Forschungsmeinungen wäre es auch nützlich gewesen, wenn der Verlag sich die Mühe gemacht hätte, die vielen Zitate und im Text erwähnten Autoren formal korrekt zitieren zu lassen und den Band mit einem wissenschaftlichen Apparat zu versehen, wozu auch ein Orts- und Personenregister gehören würde. Die argumentative Richtung mag also stimmen, die handwerkliche Umsetzung dagegen genügt wissenschaftlichen Standards nicht.

Titelbild

Tidiane N´Diaye: Der verschleierte Völkermord. Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika.
Übersetzt aus dem Französischen von Christiane und Radouane Belakhdar.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010.
251 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783498046903

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