Die Hypotenuse schlägt Haken

Mit „Blinde Bienen“ kehrt Kathrin Schmidt zur Gedichtform zurück

Von André SchinkelRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schinkel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über Manches reibt man sich in der Ära galoppierender Oberflächlichkeit die Augen, so auch über die Reaktionen zu diesem Buch. „Blinde Bienen“ ist, will man der abwägenden, vorsichtigen Euphorie der Feuilletons glauben, ein Ereignis. Sofern es einem Gedichtbuch heute noch gelingt, ein Ereignis zu sein: das lässt aufhorchen und nach den Gründen fragen. Sei es das schlechte Gewissen des Groß-Feuilletons, seine in Lyrik-Dingen nicht allzu selten zu Tage tretende Überfordertheit und Ratlosigkeit an einem guten Gegenbeispiel abzuarbeiten –oder sei es gar, dass es tatsächlich einen bestimmten Anteil Lyrikleser in dieser Klientel geben sollte. Man will es zufrieden sein, wenn es denn das richtige Buch, den richtigen Autor zur rechten Zeit trifft.

Die Überwindung des Endgültigen sorgt sogar auf einem vor lauter Abgeklärtheit oft nicht zum Wesentlichen gelangenden Tummelplatz wie dem Literaturbetrieb für Rührung und Erstaunen. Die Rückkehr in die angestammten Jagdgebiete ist zuweilen, durch einen Geröllhang des Schicksals, eine Zeitlang verstellt. Über wenige ernst zu nehmende Schreiber wurde in den letzten zwei Jahren so ausführlich in Bezug auf die Verbindung von Autor und Werk gesprochen wie über Kathrin Schmidt, deren Weg als Lyrikerin begann, aber erst, um ihren 40. Geburtstag herum, mit dem ersten Roman eine entscheidende und überfällige Beschleunigung in Ruhmesangelegenheiten erhielt. Inzwischen hat die Zahl ihrer Romane die der Gedichtbände überflügelt, und doch gibt es eine hartnäckige Anzahl Bewunderer, die Kathrin Schmidts hauptsächliche Qualitäten in der Lyrik sehen.

„Du stirbst nicht“, der Roman einer Krankheitsgeschichte, die der der Dichterin gleicht, sorgte schließlich mit dem Deutschen Buchpreis für eine schöne Sensation. „Blinde Bienen“ setzt, in anderer Weise, an der Stelle des Buches an, wo es um die Frage geht, ob und wie es um ein Fortschreiben am lyrischen Werk bestellt sein könnte. Gewissermaßen erbringt der Gedichtband den Beweis, dass es auch aus der Situation eines absoluten Neuanfangs, der im Roman die Hauptfigur Helene noch verzweifeln lässt, heraus wieder Gedichte geben wird, und Hoffnung.

Die Kenntnis dieses Umstands fordert zunächst zur Vorsicht auf. Allerdings: Von Rekonvaleszenz ist in diesen Texten keine oder allenfalls eine hintergründige Spur auszumachen. Was so manch Anderer gebetsmühlenartig versprechen mag, hier wird es erstaunlicherweise gehalten: knackig und kühl sind die Codes in Kathrin Schmidts „Blinde-Bienen“-Gedichten. Mit poetischem Gesäusel ist in diesem Buch nicht oder kaum zu rechnen, die Einkehr ins Ur-Metier der gebürtigen Thüringerin erfolgt mit Distanz und Gelächter. Nach dem Paukenschlag in Frankfurt im letzten Herbst mit „Du stirbst nicht“ ist das möglicherweise die richtige Strategie, sicher auch, um die damit einhergehende Vereinnahmung durch die Bedürfnisse und Anzüglichkeiten eines eventversessenen Betriebes zu umgehen, dessen vorgebliches Interesse das Buch vielleicht erst ermöglicht.

Krachledern und unwirsch setzt es einen verbalen Hieb am Anfang: „wasn zuletzt?: vogelkloppe / ums tote insekt“ in „ich häflingin du“, das den Ton, das Verwirrspiel der „Blinden Bienen“ eröffnet. Gottseidank hat Kathrin Schmidts Dichtung nur wenig mit der tragischen Unsinnlichkeit und dem eisigen Wortgebröckel diverser schicksalsloser Neutöner zu tun, die bereits zu Lebzeiten mit ihrer aufkommenden Vergessenheit ringen. Vielmehr scheint es in diesen Texten einen feinen Pfad zu geben, der etwa zwischen dem Formbewusstsein einer Sächsischen Dichterschule, ihrer Nachwehen und dem, wie man sich ein auswegfernes Geschäft wie die Lyrik in der so genannten Jetztzeit vorstellen mag, auf eine reizvolle Weise vermittelt. So ist es nicht verwunderlich, dass es in „wer anderen ein ei ins nest färbt“, das über die Umstände des und die erwachende Exzentrik durch das Schreibersein spricht, ‚braunt‘, ‚erbt‘, ‚endlert‘ und ‚kirscht‘ bis zum ‚abmickeln‘. Oder umgekehrt: die Überwindung eben jener bald zu engen Kleider, als die Schmidt die Arbeit der Vorausgänger beschreibt, zeugt, möglicherweise sogar über den Umweg des Sätzezerkrümelns, eine Hinwendung zur Eigenart, die man getrost wieder als Poesie bezeichnet. Der Abschied von Kling („bronchiale stunts“) fällt ähnlich kristallin aus wie oben genannte Nestfärberei an Braun: „ein perlmuttfarbnes haustier ist der tod, sein schildpatt / tarnt ihn. die narkotika am wege, tabak und petunien, / blühn noch nicht, und was mein halfter war, in dem / ich mich bewegte, zählt nicht mehr.“ Am Ende steht jeder Dichter wieder bei sich, kalibriert seinen Hang zu sich selbst.

Zuweilen mag man in dem Gemenge von Frechheit und Kühlheit, das die Gedichte Kathrin Schmidts ausmacht, eine Art Überdruss, einen Hauch Belanglosigkeit ausmachen, obwohl man weiß, dass diese Annahme angesichts der gerade hier augenfälligen Engführung von Autorin und Sprecherin womöglich nicht gerechtfertigt ist. Der Eindruck mag der nahezu durchgehend lakonischen Grundhaltung der „Blinden Bienen“ geschuldet sein, mit dem das Aushalten eines Fatums an der einen oder anderen Stelle förmlich in die zweite Reihe gestellt wird.

Einzig ärgerlich erscheint bei genauerer Betrachtung der sequenzweise recht lax wirkende Umgang mit Wortdopplungen und -verdrehungen, die nicht selten lediglich in der leicht abtörnenden Kraft eines müden Kalauers enden. „haarriss“ und „hassriss“, „feuerzeugnis“ und „fintentinte“ sind, auch wenn sie im Text „spiegelgedoppelt“ von wiederum oszillierendem „mohnwispern“ und den „tiden des irrens“ verfolgt sind, Beispiele für einen Überschwang, der durchaus mal ins Leere geht und der Kathrin Schmidt im Verfolgen ihrer wiedergefundenen Sprach- und Assoziationskraft nicht dauerhaft vonnöten sein wird. Groß ist hingegen der Beginn eines Gedichts wie „saum und sander, zaum und zander“, der das Mittelmaß im Titel auswetzt: „die luft lehnt reglos am geschiebefächer, fossile / chakren depeschieren, fühlbar. die energien / ziehn dir die schuhe aus, du angelst barfuß, wo am saum / des sanders die hechte weiße wassernähte heften.“

Alles in allem ein Buch, das sich an die lyrischen Vorgängerbände, insbesondere „Flußbild mit Engel“, nahezu bruchlos anschließen lässt und das auch deshalb Freude bereitet, weil es auf den kränklichen, näselnden Ton, wie er in der Lyrik der Gegenwart weitläufige Verbreitung gefunden hat, vollständig verzichtet. Auf Weiteres darf (und soll) man gespannt sein.

Titelbild

Kathrin Schmidt: Blinde Bienen. Gedichte.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010.
86 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783462041934

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