Wenn der Krieg sich der dörflichen Idylle nähert

Francis Wyndhams 23 Jahre altes Werk „Der andere Garten“ ist jetzt auf deutsch erschienen

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Francis Wyndham, der 1924 in London geboren wurde und bis heute nur drei Bücher schrieb, verbrachte seine Kindheit in der englischen Grafschaft Wiltshire. Die Erinnerungen an die Idylle der Abgeschiedenheit der Dörfer kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges sind Wyndhams Ausgangspunkt für seine Novelle „Der andere Garten“:

Häuser mit Strohdächern und weiß gestrichenen Holztüren werden dort von roten Ziegelmauern umfasst, die von schmiedeeisernen Toren durchbrochen sind. Der Erzähler richtet seinen Blick auf feuchte, grüne Auen, gepflegte Rasenflächen und natürlich den „anderen“ Garten, welchen sein Vater auf der dem Haus gegenüberliegenden Straßenseite angelegt hat – nicht nur einen Streifen Grün, sondern ein Kunstwerk, des Vaters Rückzugsort, zum Sitzen und Träumen. Der Garten ist – angelehnt an französische Barockgärten – eine Anlage von künstlich geometrischer Form, von der der Erzähler sagt, sie sei damals schon nicht mehr modern gewesen und später vollends aus der Mode gekommen. Doch er steht mit seinen gekrümmten und ovalen Blumenbeeten und den zu Tierformen gestutzten Eiben für den geordneten Alltag zwischen Feldern und Wäldern im englischen Hinterland.

Als sich die fernen Schrecken des Zweiten Weltkrieges dem Leben der Dorfeinwohner in Form einer amerikanischen Kaserne in der Nachbarschaft und der Einberufung des Erzählers im Sommer 1943 in die Infanterie nähern, verliert auch der Garten seine wohlgeordnete Form. Der Gemüsegarten wird erweitert, um die Menge der selbst erzeugten Nahrung zu erhöhen. Vogelbäder, Bänke und die Sonnenuhr werden verkauft, die Natur ist sich selbst überlassen. Damit entwickelt sich der barocke Garten unter den Notwendigkeiten der Kriegszeit zum englischen Landschaftsgarten.

In die behütete Welt der scheinbar Unbeteiligten mischt sich Angst vor dem Krieg. Kay, die stille und ruhelose Tochter der Nachbarsfamilie Demarest, versucht die Angst zu überspielen. Konnte sie sich im Garten noch unter den Blicken des rund zwanzig Jahre jüngeren Erzählers sonnen und Tagträumen hingeben, führen Kays Marotten und wechselnde Männerbekanntschaften zum Bruch mit ihrer Familie. Der Erzähler beobachtet sie fasziniert – zunächst ihren Körper in der Sonne und Jahre später ihre Kraft, gegen den Willen der Familie ihren eigenen Weg zu gehen.

Der Erzähler wird schließlich – wie Francis Wyndham auch – wegen Tuberkulose aus dem Militärdienst entlassen. Das Abpunktieren von Flüssigkeit aus der Lunge überlebt der Erzähler, als Kay aber auch erkrankt, besteht keine Hoffnung. So stirbt nicht der Soldat, sondern die scheinbar Unbeteiligte und Ältere. Das Chaos siegt über die Ordnung.

Der Singularität ist Wyndhams Novelle keineswegs verpflichtet. Es wird nicht nur ein einziges Ereignis erzählt. Die Haupterzählung wird immer wieder von nebensächlichen Detailerzählungen unterbrochen. Die langatmigen und detailverliebten Betrachtungen beispielsweise der Marotten Kays – wie ihrer Unfähigkeit, Bücher rechtzeitig in die örtliche Bibliothek zurückzubringen und der daraus entstehenden Konsequenzen – dienen der Darstellung des dörflichen Alltags, stören aber ungemein beim Lesen. Nicht immer findet sich ein Grund dafür, weshalb diese oder jene Geschichte erzählt werden muss.

Weshalb muss die gesamte Novelle nun eigentlich erscheinen? Eigentlich erschien „The other Garden“ in England bereits 1987. Andrea Ott nahm sich nun dem Roman an und übersetzte ihn in die deutsche Sprache. Vielleicht hat den Dörlemann Verlag die im Klappentext prangende Bemerkung aus „The Guardian“, der Roman werde sicherlich „noch von sehr vielen Generationen gelesen“ überzeugt, nach zwanzig Jahren das Wagnis einzugehen und Wyndhams Text für den deutschen Markt zu drucken.

Abzuwiegen hat der Käufer zwischen der Freude über die kleinen sprachlichen Kunstwerke, die Sprache zum Auskosten, und der drohenden Langeweile. Die Kürze des Buches trägt dazu bei, dass die Langeweile keine Chance bekommt, die Oberhand zu gewinnen. Genießen wir und legen das Buch mit Milde zur Seite.

Titelbild

Francis Wyndham: Der andere Garten. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Andrea Ott.
Dörlemann Verlag, Zürich 2010.
180 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783908777571

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