„Dark Deep Darkness“

Ein neuer Bildband präsentiert 99 Lithografien von David Lynch

Von Jens ZwernemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Zwernemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Längst wissen es mehr als nur die eingefleischten Aficionados – David Lynch ist einer jener Begabten, die sich in diversen künstlerischen Medien auszudrücken wissen. Nicht nur als Regisseur enigmatisch-verstörender Filme ist er aktiv, sondern auch als Fotograf und Maler hat er sich längst einen Namen gemacht. Ein ‚künstlernder‘ Prominenter? Da kommen natürlich leicht alle möglichen Befürchtungen auf, und man mag einen weiteren Fall von rücksichtsloser Geschäftemacherei wittern, in dem jemand seine Popularität benutzt, um sich möglichst umfassend selbst zu vermarkten.

Zugegeben: Die Ausstellungsorte seiner Werke geben solchen Unkenrufen vielleicht zunächst noch Rückhalt; so gestaltete Lynch unlängst Schaufenster im schicken Pariser Nobelkaufhaus Galeries Lafayette und stellte in der – nicht minder noblen – Foundation Cartier aus. Dass es diesbezüglichen Ressentiments allerdings an der ästhetischen Grundlage mangelt, wird spätestens beim Blättern in dem von Patrice Forest herausgegebenen Katalog einer noch bis Mitte Oktober diesen Jahres im französischen Gravelines zu sehenden Ausstellung der Lithografien David Lynchs deutlich: Abbildungen von 99 Arbeiten, die zwischen 2007 und 2009 entstanden sind, werden in diesem opulenten und aufwändig gestalteten Band optimal präsentiert: Dabei wird nicht nur jedem Blatt eine eigene Seite gewidmet; einige der Darstellungen sind noch von ganzseitigen Abbildungen besonders hervorhebenswerter Details flankiert.

Die Lithografien selbst sind – niemanden, der jemals auch nur zehn Minuten eines Lynch-Films gesehen hat, dürfte es ernsthaft überraschen – vor allem eines: dunkel. Während Lynch in der ein Dutzend Blätter umfassenden Serie „Paris Suite“ aus dem Jahre 2007 neben Schwarz und Weiß auch Rot und Gelb verwendete, was diesen Darstellungen eine fast schon an Keith Haring erinnernde ‚Heiterkeit‘ verleiht, beschränkt er sich ansonsten auf streng schwarz-weiße Kompositionen, bei denen sich zumeist aus dem dominanten Schwarz des Hintergrunds oftmals krude, fast immer aber surreal-befremdliche Figuren schälen, die einen an das gespenstische Personal in Peter Doigs Bildern denken lassen.

Eine Besonderheit: Lynch schreibt allen seinen Lithografien, die er nicht als Reproduktionen zuvor gemalter Bilder herstellt, sondern mit der schwarzen Tinte stets direkt auf den Stein zeichnet, den Titel mit ein: „Hold you tight“ ist da etwa vage in schwarzen Wolken zu lesen, unter denen eine männliche Figur mit enorm langen, tentakelähnlichen Armen nach dem Gesicht einer scheinbar schreienden Frau greift, oder auch „Oh I love you so much you are like a dream to me“ in einer ansonsten ungegenständlichen Komposition.

Wie albtraumhafte Rohrschachtestbilder wirken einige der Darstellungen, andere, wie „Dark Deep Darkness“, werden von rätselhaften Texten beherrscht. Doch trotz ihres Mangels an Tiefe und der deutlich reduzierten Formsprache werden bei eingehender Beschäftigung immer neue Facetten der Bilder deutlich – die Strukturen, die die verlaufende Tinte auf den Steinen hinterließ, etwa oder auch die gelegentlich eingefügten Handabdrücke Lynchs; „reaching out into the DEEP DARKNESS HE SAW HIMSELF“ heißt es in „Dark Deep Darkness“ – die Lithografie als Mittel der Selbsterkenntnis?

Das mag wohl etwas zu viel verlangt sein, selbst von Bildern, die ein überzeugter Anhänger transzendentaler Meditation wie Lynch hergestellt hat. Als Mittel der ästhetischen Entdeckungen hingegen sind sie zweifellos ausgesprochen geeignet – eine Tatsache, die nicht zuletzt auch durch die hervorragenden Reproduktionen des Bandes unterstützt wird, die selbst die Textur der Originale sichtbar machen. All jenen, die gerne etwas mehr anlegen möchten und können, sei an dieser Stelle allerdings die Vorzugsausgabe des Katalogs ans Herz gelegt, die gar mit einer handsignierten Originallithografie daherkommt.

Begleitet werden die Abbildungen von zwei längeren Texten; zum einen gibt es ein Interview Dominique Païnis mit David Lynch, das bei allem Charme und den Einblicken, die es in Lynchs Arbeitsweise gewährt, doch insgesamt etwas unbefriedigend bleibt – insbesondere, wenn die Herren über Rotwein und Kaffee parlieren – und zum anderen stellt der japanische Künstler und Schriftsteller Chihiro Minato in einem Essay sowohl die Werkstatt von Item Editions, auf deren Druckpressen und Steinplatten vor Lynch schon Picasso und Matisse ihre Arbeiten drucken ließen, als auch die Vorgehensweise des Künstlers näher dar. Beide Texte werden in Englisch und Französisch, nicht aber auf Deutsch präsentiert. Insgesamt bietet „David Lynch Lithos“ gleichermaßen ungewöhnliche wie faszinierende Einblicke in das Œuvre eines Künstlers, der in der Tat in mehr als nur einem Medium erfolgreich zu arbeiten versteht. Dies wiederum macht die Lektüre – beziehungsweise das Betrachten – des aufwändig gestalteten Bandes nicht nur für Fans des Regisseurs Lynch lohnenswert.

Titelbild

Patrice Forest (Hg.): David Lynch. Prints.
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010.
190 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783775726733

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch