Großartige Revolutionsklamotte

Paco Ignacio Taibo II bietet in „Der Schatten des Schattens“ eine grandiose Rückschau auf die mexikanische Geschichte

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Historische Krimis leiden in der Regel daran, dass sie nur Krimis im historischen Gewand sind und sich der Zeit, in der sie spielen, nicht weit genug anzupassen vermögen. Da stimmt die Sprache nicht, die Ausstattung passt nicht, die Figuren handeln wie Figuren unserer Gegenwart. Das ist alles keine Schande, wenn ansonsten der Plot weit genug trägt – fragwürdig macht es das Untergenre allerdings doch, weil ihm letztlich Glaubwürdigkeit fehlt.

Das ist im Falle des berühmten mexikanischen Krimischreibers mit dem wunderschönen langen Namen Paco Ignacio Taibo II, ganz anders. Das aber hängt vor allem daran, dass sich Taibo wie kaum ein zweiter Krimiautor der Gegenwart, der politischen Linken zuordnet.

Wer sonst hat schon einen Thriller vorzuweisen, den er gemeinsam mit einem Sprecher der zapatistischen Guerilla, Subcommandante Marcos, geschrieben hätte? Wer sonst hat sich derart intensiv mit der politischen Geschichte seines Landes beschäftigt? Und wem gelingt es wie Taibo, ein derart schräges Personal zum Leben zu erwecken, wie es ihm in „Der Schatten des Schattens“ gelungen ist?

Im Zentrum des Romans, der im Mexiko der 1920er-Jahre spielt, stehen vier enthusiastisch Domino spielende Herren, die unversehens in einen von Morden und Nachstellungen durchsetzten Politskandal gezogen werden. Ein chinesischer Mexikaner, der in der anarchosyndikalistischen Bewegung engagiert ist, ein verkrachter Dichter, der seinen Lebensunterhalt mit schlechten Versen über noch schlechtere Produkte verdient, ein Anwalt und ein Polizeireporter, der von einer Sensationsstory in die nächste gezogen wird.

Diese selbst wieder anarchische, aber deshalb einander nicht minder verbundene Truppe sieht sich mit merkwürdigen Ereignissen und schließlich offensichtlichen Anschlägen auf ihr Leben konfrontiert, die sie – die sich lieber auf die Strategie des geliebten Tischspiels konzentrieren würden – dazu zwingen, aktiv zu werden.

Es beginnt damit, dass der Dichter beobachtet, wie einer der Musiker einer öffentlich spielenden Kapelle erschossen wird. Wenig später beobachtet der Journalist, wie ein Mann aus einem Fenster geworfen wird, und er sieht zugleich eine Frau in diesem Fenster stehen, die in der folgenden Geschichte eine Rolle spielen wird.

Es folgen Überfälle und Giftanschläge, Schießereien und ein Banküberfall, der vorgeblich der Finanzierung einer politischen Tageszeitung dienen soll, bei dem die vier anarchischen Brüder der vier Musketiere es aber auf ganz andere Dokumenta abgesehen haben.

Die Gegenspieler der vier Helden sind offensichtlich im Polizei- und Militärapparat angesiedelt, dessen Korruptheit nur noch von seiner Gewalttätigkeit übertroffen wird. Mexikanische Militärs, die ihr Land an US-amerikanische Ölbarone verkaufen und dabei einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen. Das sind keine Räuberpistolen, sondern historische Ereignisse der Neuen Welt noch im 20. Jahrhundert. Was es heißen soll, dass ein Rockefeller bei der Eroberung seines Wirtschaftsimperiums nicht eben zimperlich gewesen sein soll, lässt sich hier erahnen.

Der Vertrag von vier mexikanischen Militärs mit Nordamerikanern droht den Beteiligten gefährlich zu werden. Ihre Karrieren sind unterschiedlich verlaufen. Und wie es der Gang der Geschichte will, kommt nun der, dem es am schlechtesten geht, auf die Idee, seine ehemaligen Kumpane zu erpressen. Das aber bekommt ihm nicht gut. Dabei könnte alles bleiben, wenn nicht diese vier unruhigen Zeitgenossen in die ganze Sache hineingezogen würden, die sich eben nicht so leicht abschütteln lassen.

Diese fantastischen Vier sind hartnäckig, nachtragend, gewaltbereit, schießwütig, gewalttätig, dabei immer neugierig und von einem merkwürdigen Ethos, der der Wahrheit verpflichtet ist. Und es ist kein Wunder, dass man das zu schätzen lernt.

Paco Ignacio Taibo II erzählt diese Geschichte, die er von Beginn an als historische Exkursion und damit als lehrreich und zugleich amüsant anlegt, in überschaubaren, teilweise sogar unverbundenen Miniaturen, die nicht selten traumhaften Charakter haben. Sein Ton ist dabei lakonisch, die Hintergründe der Ereignisse bleiben den Lesern lange verborgen, die Handlung selbst fügt sich erst nach und nach zu einem Bild. Das ist gelegentlich irritierend, im Ganzen aber ungemein aufschlussreich und meistens sehr unterhaltsam, nicht zuletzt wegen des äußerst renitenten Personals.

Titelbild

Paco Ignacio Taibo II: Der Schatten des Schattens.
Übersetzt von Harry Stürmer.
Assoziation A, Berlin 2010.
230 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783935936637

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