Eine Hymne an die Musik

Über Wynton Marsalis’: „Jazz, mein Leben“

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Buch des 1961 in New Orleans geborenen Jazztrompeters Wynton Marsalis, des jüngeren Bruders des Jazz-Saxophonisten Branford Marsalis, trägt im Original den Titel „Moving to Higher Ground. How Jazz Can Change Your Life.“ Er bringt den Inhalt des Bands und die Gründe, die Marsalis zu seiner Niederschrift des Buches veranlassten, auf den Punkt.

Sein Ziel war es, die Musik des Jazz als eine grundlegende Ausdrucksform der amerikanischen Kultur und zugleich als Modell für das gelingende Zusammenleben von Menschen in gesellschaftlichen Strukturen zu würdigen. Dieses Anliegen hat er sprachlich und inhaltlich in überzeugender Weise zum Ausdruck gebracht. Mehr noch: Sein Vorgehen kann man fast mit einer gelungenen Jazz-Improvisation vergleichen.

Zunächst stellt er sein Leitmotiv vor, indem er die grundlegende Zusammensetzung einer Jazzband und ihre Spielweise erläutert. Hierbei bildet die Rhythmusgruppe an den Schlag- und Tasteninstrumenten das Rückgrat für das harmonische Zusammenspiel der Gruppe und das Gelingen improvisierter Spielweisen sowie solistischer Auftritte der Musiker, zum Beispiel der Bläser. Marsalis beschreibt Jazzmusik überzeugend mit den Metaphern menschlicher Kommunikation, die aus Sprechen, Zuhören und Antworten besteht.

Zum vertieften Verständnis der Jazzmusik stellt Marsalis ihre grundlegenden rhythmischen und harmonischen Strukturen vor. Diese schildert er anhand persönlicher Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit bedeutenden Musikern des Jazz.

Auf diese Weise gelingt es Marsalis auch farbige Einblicke in die Jazzgeschichte zu vermitteln, so etwa wenn er auf den Blues als genuinen Ausdruck afroamerikanischen Bewusstseins und Grundlage für die Entwicklung des Jazz zu sprechen kommt. Untrennbar hiermit verbunden ist für ihn die Rassenfrage. Hier verwandelt Marsalis sein Bekenntnis zur Musik des Jazz in ein bewegendes Plädoyer zur Überwindung der Rassentrennung – etwa wenn er betont, dass die besten Jazzmusiker keinen Unterschied zwischen Schwarz und Weiß machen, wenn sie gemeinsam auf der Bühne stehen oder voneinander lernen. Dennoch entspringt die Jazzkultur für ihn genuin der afroamerikanischen Tradition und ist Ausdruck des nie versiegenden Freiheitsverlangens der Sklaven. Ihre Wurzeln liegen jedoch auch in der europäischen Kunstmusik, dem europäischen und afrikanischen Kirchenlied. In diesen Zusammenhang thematisiert der Autor auch seine persönlichen Erfahrungen mit Rassismus und dem Kampf gegen Vorurteile.

Marsalis’ konservatives Verständnis als Jazzmusiker schlägt sich einerseits in seiner Polemik gegen die Verflachung komplexer musikalischer Strukturen durch die eingängige Rockmusik und andererseits in seiner Kritik an einem elitären Verständnis der Jazzmusik nieder, in welchem er eine Parallele zur Entwicklung der abstrakten modernen bildenden Kunst sieht.

Abschließend stellt Marsalis das Schaffen wichtiger Protagonisten des Jazz’, unter ihnen Louis Armstrong, Billie Holiday, Miles Davis, Thelonious Monk, anhand von Kurzbiografien und gut ausgewählten Hörempfehlungen vor.

Der an klugen Einsichten in die komplexe Entwicklung des Jazz’ überaus reiche Text garantiert gleichermaßen eine anregende Lektüre für Laien und Enthusiasten und macht unweigerlich Lust auf einen Griff ins heimische Musikregal oder einen ausführlichen Besuch im nächsten Schallplattenladen.

Titelbild

Wynton Marsalis: Jazz, mein Leben. Über die Kraft der Improvisation.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Schmidt.
Siedler Verlag, München 2010.
206 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783886809349

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch