Vom Sinn des Fußballs

Mit „experimenteller Fußballpoesie“ erkundet Klaus Hansen neue Wege in die Welt des Fußalls

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika ist vorüber, und es beginnt nun wieder der fußballerische Alltag in Form der sams- und sonntäglichen Spiele in den Ligen der Profis und Amateure. Mit den Spielen einher gehen die Freuden und Leiden der Mannschaften und ihrer Unterstützer, die immer neue Herausforderung, auf Siege zu hoffen, Niederlagen zu verarbeiten. Es ist gerade diese emotionale Verbundenheit, die dem Spiel soviel Bedeutung und Sinn gibt.

Doch geht die „Sinnlichkeit“ des Spiels noch einen Schritt weiter. Sie betrifft auch ein ästhetisches Moment des Spiels. Das ‚schöne Spiel‘ erscheint als Inkarnation einer alltagsüberwindenden Erfüllung, in der sich die profanen Freuden und Leiden gewissermaßen in einem Ideal des Schönen aufzuheben scheinen. Entsprechend groß ist die Sehnsucht nach dem schönen Spiel, dem das Ergebnis erst in zweiter Linie wichtig erscheint.

Welche Potentiale! Kein Wunder, dass sich immer wieder auch feingeistig-künstlerische Menschen vom Fußball gebannt zeigen und dieser Faszination durch kunstfertige Äußerungen Herr zu werden versuchen. Unter diesen nimmt Klaus Hansen eine außergewöhnliche Position ein. Seine „experimentelle Fußballpoesie“ ist eine ebenso kuriose wie immer wieder anregende Form der literarischen Herangehensweise an das „sinnliche Spiel“. In einer kurzen Einführung, in der er selbstbewusst die eigenen Texte in eine literarische Tradition der Moderne verortet, zu welcher beispielsweise die Fußball-Sonette von Ror Wolf gehören, erläutert Hansen, was gemeint ist: „Im Schreiben über Fußball, in einem Fußball-Text sollte die Sinnlichkeit wenn schon nicht akustisch dann doch zumindest optisch in Erscheinung treten. In meinen Texten knüpfe ich sowohl an das barocke Figurengedicht als auch an die konkrete, visuelle und typografische Poesie des 20. Jahrhunderts an.“ Jeder Text will also „ein Text-Bild“ sein, ein „Schau-Objekt“.

Und tatsächlich ist das Buch ein Bilderbuch. Die Buchstaben formen das Spielfeld neu, zeigen „Was Ecken im Fußball bezwecken?“, sie lassen den Ball im Torjubel kreisen, erklären „Rasen Schach“, setzen „Duftbäumchen für Stinkstiefel“, zeigen die „Schlusstabelle“, rekonstruieren „Heribert Faßbenders Nachtgesang“, oder üben „Standardsituationen“. Doch formen die Buchstaben und Ziffern über die Bilder hinaus auch literarischen Mehrwert. Freilich muss man, um die Gedanken, Aphorismen und satirischen Anspielungen zu entdecken, „Dechiffrierarbeit“ leisten. Der Autor macht vorweg auf diese Mühe aufmerksam und wünscht viel Vergnügen bei der Umwandlung der „Suchstaben“ in Buchstaben. Fürwahr, es ist ein Vergnügen, wenn sich hinter dem Suchstabenbild ein Sinn ergibt. Es ist oft ein feiner ironischer Sinn, mit dem Hansen das Fußballgeschehen wahrnimmt und kommentiert. Denn all seine „Text-Bilder“ beweisen eine Kennerschaft, die auf Leidenschaft gründet. Wer „mit max morlock durch die woche“ geht, der kennt die Fußballgeschichte(n), und weiß, was der Nürnberger Stürmer zu derselben beigetragen hat. Wenn Hansen in melancholisch nachsinnender Manier feststellt: „Die Möglichkeit aus der Krone eine Baumes oder vom höher gelegenen Waldrand her oder von Fenster angrenzender Wohnhäuser ein Fußballspiel zu verfolgen, besteht bei der Allianz-Arena nicht mehr“ – dann formuliert er auch einen aktuellen Protest der Fußballfans gegen die allgegenwärtig überwältigende Macht des Profits. Kurzum: Hansen ist ein Fan. Sonst käme er auch nicht an „Dialoge wie man sie nur im Stadion versteht“: „Ich geh ma pissen.“ „Bring mir eins mit!“

Der vom Mannheimer Kunstanstifter Verlag schön ausgestattete Band wird vervollständigt durch acht Psaligrafien von Alfons Holtgreve. Die markanten Scherenschnitte des Marburger Künstlers mischen sich aktiv ins Spielgeschehen ein.

Titelbild

Klaus Hansen: Sisyphos am Ball. experimentelle Fußballpoesie.
Kunstanstifter Verlag, Mannheim 2010.
110 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783981284249

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