Ein Verlegerleben zwischen Paris und New York

Der amerikanische Linksintellektuellenverleger André Schiffrin zeigt in seinem Lebensrückblick, wie sein Leben und Werk mit der Tradition der französischen Literatur verbunden ist

Von Thomas HummitzschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hummitzsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist einer der ersten frühsommerlichen Abende in diesem Jahr, als der Lektor, Verleger und Autor André Schiffrin in Berlin im kleinen Kreis über seinen mit Literatur gepflasterten Lebensweg und die Zukunft des Verlagswesens spricht. Anlass ist die Vorstellung seiner Autobiografie „Paris, New York und zurück. Politische Lehrjahre eines Verlegers“.

Mit dem Verlegen von Büchern kennt sich Schiffrin wahrlich aus. Bei Pantheon tritt er in die zunächst übergroßen Fußstapfen seines Vaters, bevor er selbst ein Großer unter den Verlegern wird und als Cheflektor linksintellektuelle Großautoren wie Jean-Paul Sartre, Michel Foucault, Studs Terkel oder Noam Chomsky verlegte. Aber auch Hannah Arendt, Herrmann Broch oder Meyer Schapiro erschienen bei ihm. Schiffrin war es auch, der den später preisgekrönten Mouse-Comic von Art Spiegelman für den renommierten Verlag entdeckte und damit einen im internationalen Verlagswesen bis dahin einzigartigen Erfolg mit der Sprechblasenliteratur feierte.

André Schiffrin hat ein Händchen für Erfolgsgeschichten, inzwischen ist er daher sein eigener Chef. Im Zuge der Übernahme der hervorragenden amerikanischen Literaturverlage wie Bloomsbury, Knopf, Pantheon oder Penguin durch riesige Medienkonzerne und der damit einhergehenden Liberalisierung und Monopolisierung des US-Buch- und Verlagsmarkts hatte er vor Jahren seinen eigenen Verlag The New Press gegründet. Lauscht man seinen Berichten aus der amerikanischen Bücherwelt, staunt man über diese Chuzpe. Denn in den USA haben längst Medienkonzerne das Ruder übernommen. Dabei haben sie das Grundmotiv eines jeden Verlegers aufgelöst. Bestseller spielen dort längst nicht mehr das Geld für Liebhaberbände ein, um so zur Mannigfaltigkeit eines Verlagsprogramms beizutragen, sondern Erfolgsbücher werden als One-Dollar-Ware als Publikumsmagneten missbraucht, um überhaupt noch Leser in die Buchläden zu locken. Der Grund, dass dies möglich ist, ist die fehlende Buchpreisbindung. Literarische Kleinodien gibt es daher so gut wie gar nicht mehr, da sich in diesem System jedes Buch rentieren muss. Schon in seinem Sachbuch „Verlage ohne Verleger“ kündigte Schiffrin diese Entwicklung an.

Was all das mit Paris zu tun hat? Eine ganze Menge, denn diese Verhältnisse haben Schiffrin nicht nur in die Stadt seiner Kindheit zurückgebracht – inzwischen wohnt er mit seiner Frau im halbjährigen Wechsel in Paris und New York – sondern sein Aufwachsen in der bibliophilen Tradition der Franzosen haben ihn Demut vor der Literatur gelehrt. Eine wesentliche Rolle spielte dabei auch sein Vater Jacques Schiffrin, der als Verleger in Frankreich und den USA selbst sehr erfolgreich arbeitete und unter anderem enge Freundschaften mit dem Romancier André Gide und dem Fliegerschriftsteller Antoine de Saint-Exupéry pflegte. Jacques Schiffrin wurde 1892 in Baku am Kaspischen Meer geboren. Nach Paris gelangte er über die Stationen St. Petersburg, Genf, Monte Carlo und Florenz. Dort fing er bei Gallimard an und arbeitete sich schnell nach oben. Die „Bibliothèque de la Pléiade“, in der zunächst vornehmlich die Hauptwerke der französischen Literatur kommentiert, preiswert und handlich herausgegeben wurden, ist unter Jacques Schiffrins Aufsicht entstanden. Welche Herausforderung das war, kann man sich allein am Beispiel Marcel Proust vor Augen führen, denn es erforderte eine praktische Lösung, um mehrere tausend Seiten kommentiertes Textwerk im Handtaschenformat herauszugeben. Jacques Schiffrin gelang es, diesen gordischen Knoten zu lösen – nicht nur bei Proust. Die Pléiade-Reihe umfasst heute nahezu die gesamte klassische Weltliteratur.

Doch wie bei so vielen jüdischstämmigen Intellektuellen erfuhr die Familie mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ihren biografischen Bruch. Zwar gelang es den Schiffrins, neben Personen wie Marc Chagall, Hannah Arendt, Max Ernst, Marcel Duchamp, André Breton oder der Familie von Thomas Mann auf eine der Rettungslisten des Amerikaners Varian Fry zu gelangen und auf dem Seeweg nach New York zu fliehen, doch wirklich angekommen sind die Schiffrins dort bis heute nicht. Jacqes Schiffrin konnte dann in New York bei dem deutschen Verleger Kurt Wolff weiter im Literaturbetrieb arbeiten.

„Das verlorene Paradies“ nennt André Schiffrin Paris in seinem Lebensrückblick und meint damit nicht nur die sonnige Pariser Wohnung, sondern das gesamte soziale Leben, das die Familie zurücklassen musste. Dem intellektuellen Freundeskreis entrissen, fristete die Familie in New York ein Exildasein. Schiffrin beschreibt das stille Leiden der Eltern, welches er selbst erst Jahre nach ihrem Tod wahrgenommen hat, in nahezu greifbarer Manier. Er lässt den Leser die Wehmut der Eltern spüren, die ihrerseits genau wussten, dass sie nicht mehr zurückkehren würden. Mit Verwunderung stellten diese in New York fest, wie ihr Sohn trotz seiner Isolation in der paneuropäisch-jüdischen Flüchtlingsgemeinde den amerikanischen Lebensstil annahm, Comics las und begann, sich für Baseball zu interessieren. Um die Bindung an das alte Leben nicht vollends zu verlieren, schickten sie den jungen André nach dem Krieg nach Frankreich. Er sollte den kultivierten französischen Lebensstil kennenlernen. „Später wurde mir klar, dass ich jener Taube glich, die von der Arche Noah ausgeschickt wurde, um das Leben nach der Sintflut zu erkunden.“

Und tatsächlich brachte er etwas aus Frankreich mit, was ihn zum ewigen Exilanten (wenn auch im inneren Exil) machte. Es war die Identität des französischen Linksintellektuellen, die sein ganzes Leben geprägt hat. Diese politische Einstellung wurde noch während seines Studienaufenthalts im britischen Cambridge gestärkt, ein Ort, den er in seinen Erinnerungen wie den Mann’schen Zauberberg beschreibt. „Hier spielt sich offenbar eine Art Lernprozess ab, aber ich habe keinen Schimmer, was für einer.“ Diese Erfahrungen prägen Schiffrin bis heute und machen im Rückblick deutlich, warum er sein ganzes Leben lang eine Heimat neben den USA gesucht und nun in Paris wieder gefunden hat. Auslöser war die Wehmut seiner Eltern nach ihrem Pariser Leben.

Vor dem wenn auch etwas mythisch verklärten Hintergrund des exzessiv kultivierten Europäers ist André Schiffrins Rückblick auf seine „politischen Lehrjahre“ zu lesen. Diese Prägung ließ ihn zu einem Gegner des permanent nach Gewinnmaximierung strebenden Kapitalismus und damit zum wichtigsten amerikanischen Verleger der linksintellektuellen Prominenz werden. Wie ihn dabei seine europäische Identität prägte und welchen Einfluss seine französischen Wurzeln auf seinen Werdegang hatten, kann man in seiner Biografie „Paris, New York und zurück“ wunderbar und einzigartig nachlesen. Dass er sich inzwischen dem Studium der väterlichen „Bibliothèque de la Pléiade“ widmet, ist nur ein weiteres Anzeichen seiner racines bibliophiles, seiner literarischen Wurzeln.

André Schiffrin: Paris, New York und zurück. Politische Lehrjahre eines Verlegers.

Titelbild

André Schiffrin: Paris, New York und zurück. Politische Lehrjahre eines Verlegers.
Aus dem amerikanischen Englisch von Andrea Marenzeller.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2010.
254 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783882216851

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