Philosophie im Rudel

Wie ein Interview mit Daniel Kehlmann zum „Requiem für einen Hund“ wurde

Von Nadja UrbaniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadja Urbani

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es muss ein schönes Bild abgegeben haben: Zwei Männer, im Altersunterschied von Vater und Sohn, sitzen am Tisch und unterhalten sich angeregt, über Stunden hinweg. Unter dem Tisch sitzt geduldig und treu ein Hund, dicht an den Turnschuhen seines Herrchens.

Der Hund heißt Nuschki und gehört Daniel Kehlmann, dem Autor von „Die Vermessung der Welt“. Nuschkis Herrchen wird gerade von dem Chefredakteur der Zeitschrift „Sinn und Form“, Sebastian Kleinschmidt, interviewt. Aber es ist kein gewöhnliches Interview, denn hier wird nicht nur gefragt, sondern gemeinsam über die Welt nachgedacht. Es sind hochintellektuelle philosophische Gespräche, die über Nuschkis Kopf geführt werden.

Dieses harmonische Beisammensein im Rudel liegt jetzt schon ein paar Jahre zurück – Hund, Kehlmann und Kleinschmidt trafen sich 2006 und 2008. Und die schlechte Nachricht gleich vorweg, für alle, die es noch nicht wissen: Nuschki ist inzwischen gestorben. Die gute Nachricht: Nuschki wird in Erinnerung behalten, denn der Hund ist Ausgangspunkt für den Gesprächsband, der diese Unterhaltungen zwischen Kehlmann und Kleinschmidt dokumentiert: „Requiem für einen Hund“. Das tiefgreifende Interview erschien nicht nur in der Zeitschrift „Sinn und Form“, sondern wurde auch als Buch veröffentlicht.

Doch warum sollte jemand ein Interview in Buchform haben wollen? Sonst überfliegt man die Frage-Antwort-Spiele kurz in Zeitschriften, danach landen sie meist im Papierkorb. Was kann einem dieser kleine Gesprächsband geben, der so schön mit einem Foto von Nuschki unter dem Tisch daherkommt? Kurz gesagt: Das, wofür auch Kehlmanns Romane berühmt sind: humorige Intelligenz und treffsichere Anekdoten, die in einen philosophischen Zusammenhang gestellt werden können. Das Langzeit-Interview zwischen Kehlmann und Kleinschmidt fängt beim Hund an und eröffnet in insgesamt zwölf Kapiteln ein Spektrum an Gedanken: über das Menschsein und den Ursprung unserer Probleme, über Leben und Tod, Götter, Genies, Ruhm und vor allem über Kunst.

Neben den philosophischen Themen kann das Buch auch als eine kleine Ästhetik der Gattung Roman gelesen werden. Denn das Interview ist nicht zuletzt ein Gespräch zwischen Leser und Autor. Als Romancier setzt sich Kehlmann mit den unerschöpflichen Möglichkeiten von Literatur auseinander, und Kleinschmidt als Leser interessiert sich für die Schreibmethodik des Bestsellerautors. Was dabei herauskommt, dürfte für Liebhaber des Romans und für Literaturwissenschaftler eine kleine Fundgrube sein.

Auch das Streitthema, das besonders seit Kehlmanns Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2009 die Feuilletons gefüllt hat, wird diskutiert: das Regietheater. Kleinschmidt und Kehlmann sind sich wie so oft im Gespräch auch in ihrem Theaterpessimismus einig: Antiamerikanismus und die Verfremdung von Klassikern seien meist keine Innovation, sondern Willkür. Was im letzten Jahr in den Medien als blinde Wut des Sohns eines gefallenen Theaterregisseurs erschien, erklärt sich hier zwar auch emotional, aber zusätzlich durchdacht und nachvollziehbar.

Mit dem Gesprächsband verhält es sich wie mit Kehlmanns Romanen: Bei allem Tiefgang richtet sich „Requiem für einen Hund“ nicht nur an den literarisch und philosophisch hochgebildeten Leser. Kehlmann vermag es, große Fragen mit plastischen Anekdoten bunt einzufärben und mit Situationen zu verbinden, die sich jeder vorstellen kann. Die Frage nach der Einsamkeit des Genies, seiner Romanfigur Gauß, verdeutlicht er etwa mit folgender Situation: „Wir alle wissen, wie es ist, wenn wir jemandem, der langsam und begriffsstutzig ist, etwas erklären müssen. Daran kann man verzweifeln, da fühlt man sich einen Moment lang sehr allein.“

Ob Kehlmann als Bestsellerautor eben solch ein einsames Genie ist, sei dahingestellt. Er selbst sieht sich vielmehr als zweitklassigen Schöpfer und seine Bücher als zweitklassiges Universum. Einsamkeit dürfte ihn zumindest bei den Unterhaltungen mit Kleinschmidt nicht befallen haben, denn das „philosophische Rudel“ liegt trotz großer Gegensätze ganz auf einer Wellenlänge. Zwei, die gerne denken und ein Hund, der anders als der Mensch die größte Gabe hat: eins mit sich und der Welt zu sein. Bei aller Bescheidenheit, mit der Kehlmann das menschliche Gespräch unter die Existenz des Tieres ordnet, muss doch gesagt werden, dass dieses kleine Bändchen eine herausragende und erfrischende Geistesanregung ist. Das gibt Anlass zu fast tierischer Freude – durch und durch.

Titelbild

Daniel Kehlmann / Sebastian Kleinschmidt: Requiem für einen Hund.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010.
128 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783499254161

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch