Geld!

Dominique Manottis überaus gelungener Wirtschaftskrimi „Letzte Schicht“ wartet mit einem guten Schuss Anarchie auf

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Engführung von Verbrechen und Kapital wird, nachdem die große Zeit der Politliteratur und der Ideologiekritik vergangen ist, in der Regel individualisiert. Der Großunternehmer und Industriekapitän, der mit der großen Politik paktiert und mit den Repräsentanten der Öffentlichkeit, denen Macht die Hauptwährung ist, vor allem die sexuellen Aberrationen teilt: Kinderpornos vor allem, Gewaltsex, Sadomasokram oder was einem durchschnittlichen Krimischreiber dazu noch einfallen mag. Immer zeigt die Neigung zur machtkonnotierten Sexualität der Figuren deren auch im wirtschaftlichen oder politischen abnormes Verhaltensprofil an.

Dass das wahre Verbrechen des Kapitals in seiner Tendenz zur hemmungslosen und alle Rücksichten vernichtenden Gewinnmaximierung besteht, die sich im Alltag in unscheinbare Aktivitäten, Routinen und Handlungsmaximen auflöst, bleibt davon unberührt. Ohne Marxist sein zu müssen, ist im Vergleich dazu die gegenwärtige Tendenz des Wirtschaftsverbrechens, das als Sittenverfall daherkommt, kaum ernst zu nehmen. Es ist eher als Ablenkung von den tatsächlichen Fehlleistungen im System Ökonomie denn als präziser Hinweis darauf zu verstehen.

In diesem Umfeld brilliert Dominique Manottis „Letzte Schicht“ besonders stark. Aus der Tradition der französischen Serie Noir kommend, hart bandagiert, mit einem offenen Faible für die hier nicht einmal mehr als Proletariat bezeichnete Arbeiterschicht, die zudem weiblich und/oder arabisch besetzt wird, steuert Manotti genau den Punkt an, auf den es ankommt: Geld.

Als Folie dient die Prämisse, dass es in der internationalen Ökonomie vor allem darauf ankommt, Geldströme zum Vorteil des eigenen Unternehmens und des eigenen Kontos umzuleiten. Die intensive regionale Förderung der EU, mit der Industrieunternehmen – auch aus dem fernen Osten – dazu motiviert werden sollen, sich in wirtschaftlich schwachen Regionen anzusiedeln, ist dabei das Hauptziel der Aktivitäten.

Im internationalen Wettbewerb zählen nicht mehr Produktivitätsvorteile, sondern das intelligentere und effektivere System, mit dem Geld in die falschen Hände geleitet wird. Nicht mehr die Produktion von Gütern zählt. Die Ökonomie löst sich davon und wird zum reinen, wenn auch korrupten Finanzsystem. Ein Vorwurf, der angesichts der jüngsten globalen Wirtschaftskrise immer wieder formuliert worden ist.

Allerdings ist das im Fall Manottis einfacher gestrickt als die Immobilienrisiken, die sich die Banken international gegenseitig zugeschoben haben, um den US-amerikanischen Bauboom finanzieren zu können. Hier geht es um die ganz normale Korruption.

Im ehemaligen französischen Herzland der Stahlindustrie, Lothringen, betreibt ein koreanischer Konzern eine Bildröhrenfabrik, die permanent defizitär arbeitet. Als nach einer Reihe von Unfällen, die auf die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen der etwas salopp geführten Fabrik zurückgehen, eine der beliebtesten Arbeiterinnen entlassen wird, bricht ein spontaner Streik aus, bei dem erst die Wiedereinstellung der Arbeiterin, dann die Auszahlung von versprochenen Zulagen erzwungen werden soll. Im Laufe des Streiks fliegt schon die erste Korruptionsrunde auf – nämlich verdeckte Provisionszahlungen für die koreanischen Manager. Dann mehren sich die Anzeichen, dass hier Geld in noch größerem Maße verschoben wird als anfangs gedacht. Mehr noch, dass die Fabrik selbst niemals profitabel hat arbeiten sollen, sondern nur als Fassade für Geldschiebereien diente. Französische und koreanische Manager sind dabei gleichermaßen Akteure, auch wenn ihre Interessen unterschiedlich sind (meine Tasche ist eben nicht deine Tasche).

Der Streik eskaliert mehr und mehr, scheint aber in für französische Verhältnisse gemäßigte Bahnen gelenkt werden zu können, als ein Brand ausbricht, der die Produktionshalle der Fabrik vernichtet.

Das aber und der Umstand, dass diese kleine lothringische Fabrik im großen Geschachere um einen zu privatisierenden französischen Staatstrust aus dem Elektronik- und Rüstungsbereich eine prominente Rolle zu spielen beginnt, lässt nun endlich den Ermittler auftreten, der schließlich alles aufdecken soll: Charles Montoya.

Montoya, ehemaliger Drogenfahnder, nun als Versicherungsermittler tätig, soll seine Auftraggeber gegen den koreanischen Konzern munitionieren, der offensichtlich mit den allerhöchsten Stellen des französischen Staates paktiert: Korruption auch dort?

Manotti hat ihren Wirtschaftskrimi rasant, hart und dabei mit genauem Gefühl für die Inszenierung der kleinen wie der großen Wirtschaftswelt geschrieben. Sie folgt ihren Lieblingsfiguren mit offener Zuneigung, zeigt sich aber auch bei den strategischen Spielchen im ökonomischen System konsequent. Dass sie dabei nicht privatisiert, was öffentlich relevant ist – das Verbrechen nämlich – ist ihr gutzuschreiben. Ein ungewöhnlicher, ein außergewöhnlich guter Krimi mit einem ordentlichen Schuss anarchischer Energie.

Titelbild

Dominique Manotti: Letzte Schicht.
Übersetzt aus dem Französischen von Andrea Stephani.
Argument Verlag, Hamburg 2010.
252 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783867541886

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