Das Stierlein

Zum Tode von Liselotte Jünger

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

1963 wäre Ernst Jünger beinahe das Opfer der tückischen Strömung im Meer an dem sardinischen Badeort Villasimius geworden. Als er sich, quasi in letzter Minute und völlig entkräftet an den Strand retten kann, wirft sich seine Frau, liebevoll „Stierlein“ genannt, über ihn. Ernst und Liselotte Jünger sind auf diesen Schicksalstag des öfteren zu sprechen gekommen: Seit 1962 erst waren sie miteinander verheiratet, für beide war es die zweite Ehe.

Die im Sternbild des Stieres 1917 geborene Liselotte Bäuerle, verwitwete Lohrer, genoss allgemein Respekt. Von zierlicher Gestalt, dabei lebhaft und humorvoll, ertrug sie gefasst die immer wieder aufs Neue entfachten Debatten um das politisch Anstößige ihres Mannes. Der Schriftsteller hatte die promovierte Verlagshistorikerin zwei Jahre nach dem Tod von „Perpetua“ (Gretha von Jeinsen), seiner an Krebs gestorbenen ersten Frau, geheiratet.

Der Autor und sein Stierlein kannten sich schon vor ihrer Ehe, denn nach ihrer Promotion arbeitete Liselotte Lohrer in Marbach und lektorierte Jüngers Werke für den Klett Verlag. Sie war maßgeblich an der ersten und dann auch an der zweiten Werkausgabe beteiligt und fungierte als Herausgeberin des „Schlusssteins“ der „Sämtlichen Werke“.

Die gelernte Bibliothekarin, die mit einer Geschichte des Cotta Verlages promoviert wurde, hat sich um Jüngers Werk und Person verdient gemacht: Sie führte und ordnete seine Korrespondenz, begleitete Jünger auf seinen Reisen, versorgte seine Katzen, führte ihm den Haushalt, wachte über seine Arbeitsruhe, kutschierte ihn in ihrem PKW. Seine Gäste, Staatsgäste zumal, waren auch die ihren: Resolut wachte sie über die Oberförsterei im schwäbischen Wilflingen.

Sie gab einzelne Texte heraus (zum Beispiel Jüngers Fragment „Prinzessin Tarakanow“), betreute den Vorlass und später auch den Nachlass. Großzügig förderte sie die Forschung, und auf Tagungen gab sie unermüdlich Auskunft, so sehr hatte sie sich die Perspektive ihres Mannes zu eigen gemacht. Als bei der Enthüllung von Gerold Jäggles Jünger-Denkmal am Wilflinger Weiher ein Dummer-Jungen-Streich zum Vorschein kam, war sie es, die durch ein herzliches Lachen den Bann brach.

Oft ist in den Tagebüchern von ihr die Rede, zahllose Briefe in Jüngers Namen hat sie unterzeichnet. In der Nacht vom 31. August auf den 1. September ist sie 93-jährig in Überlingen gestorben.